Die zwei Seiten des Schlaraffenlandes „La Grande Bouffe“ bei Lovaas Projects
2. März 2022 • Text von Lisa Stoiber
In der aktuellen Ausstellung bei Lovaas Projects kommen fünfzehn Künstler*innen aus Frankfurt, Antwerpen und München an einem Tisch zusammen und inszenieren ein ausschweifendes Setting aus Völlerei, Vergnügen und Vergänglichkeit.
Tische sind Orte der Kommunikation. Sie können Symbole von Macht und Herrschaft sein, ebenso soziale Strukturen und zwischenmenschliche Beziehungen offenlegen. Die Menschen, die an ihnen Platz nehmen, um gemeinsam zu essen, sich zu vergnügen oder um wichtige Entscheidungen zu treffen, bilden temporäre Gemeinschaften.
Bei Lovaas Projects in München fungiert derzeit eine provisorische, lange Tafel als Ausstellungsdisplay, wo fünfzehn Künstler*innen zu einem vorübergehenden Kollektiv verschmelzen: Charles de Bisthoven, Johannes Büttner, Stjin ter Braak, Živa Drvarič, Maximilian Haja, Anka Helfert, Verena Issel, Marie Jaksch, Kristina Lovaas, Paulina Nolte, Rosanna Marie Pondorf, Nico Sauer, die Weberei, Nicholas Warburg und die Musikerinnen von „bis einer weint“. Die einzelnen Positionen formieren sich ohne Abgrenzungen voneinander zu einem bewusst evozierten Durcheinander aus Ambiguitäten. Genuss trifft auf Ekel, hochwertige Materialität auf Lebensmittel mit Verfallsdatum und festliche Atmosphäre auf Melancholie und Endzeitstimmung.
Die Installation erinnert zunächst an eine ausgelassene Partynacht. Zigaretten, dreckiges Geschirr und halbvolle Weingläser sind auf und um den Tisch verteilt. Jemand hat sein Handy vergessen, jemand anderes seine Kreditkarte. Was auf den ersten Blick den Eindruck von Eskalation erweckt, ist in Wirklichkeit ein sorgsam kuratiertes, detailreiches Arrangement aus Kunstwerken, Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen.
Zwischen Popcorn, Kohl und Weintrauben gibt viel zu entdecken auf der rot-weiß karierten Tischdecke, die an heimelige italienische Restaurants denken lässt. Die einzelnen Arbeiten spiegeln gesellschaftliche Strukturen und soziale Unterschiede wider und verorten die Gesamtkompositionen zwischen vornehmem Diner und wildem Exzess. Die Künstler*innen reflektieren über soziale Konditionierungen und kulturelle Formungen, die im elementaren Bedürfnis der Nahrungsaufnahme sichtbar werden.
Unter einer Speisehaube kommt ein USB Stick mit einem NFT von Nicholas Warburg zum Vorschein, während eine aus Marmor bestehende Handyhülle, eine Kreditkarte und ein Kuchen aus geschreddertem Geld von Rosanna Marie Pondorf Dekadenz und Überfluss der Konsumwelt auf die Spitze treiben. Die sorgfältig zu Servietten gefalteten Stoffe von Maximilian Haja stehen in Kontrast zu dem dreckigen Geschirr aus Abfall von Stijn ter Braak. Über den ganzen Tisch und auf den Stühlen verteilen sich Objekte von Ziva Drvaric, die wie Besteck und Geschirr anmuten, während Kerzen und Kerzenhalter, wie beispielsweise von Paulina Nolte, den Besucher*innen eine gemütliche Atmosphäre suggerieren.
Nico Sauer präsentiert aus Silikon und Silber bestehende „Ohrohrringe“, die auf aufmerksames Zuhören zu Tisch verweisen. Die Künstlerinnen Kristina Lovaas und Anka Helfert kreierten aus Bronze, Keramik oder Bienenwachs vermeintlich genießbare Nahrungsmittel. Der Künstler Johannes Büttner kombinierte in seinen Arbeiten mittlerweile hart gewordene Brotwaren mit Flesh Tunnels und Cockrings. Nicht nur auf der Tafel, sondern auch auf den Stühlen, findet man detailreiche Arrangements aus oftmals skurril anmutenden Objekten, wie die überdimensionalen Zigaretten und Zigarettenschachteln von Noël Saavedra, die in Zusammenarbeit mit seiner Textilwerkstatt „Die Weberei“ entstanden sind oder einem bemalten Ölfass als Vase von Charles de Bisthoven.
Das inszenierte Bankett spielt bewusst mit Sinnenfreude und Ekel. Die verderblichen Lebensmittel verändern die Gesamtinstallation im Laufe der Ausstellung immer mehr und schaffen damit eine zusätzliche zeitliche Ebene, die sowohl visuell, als auch olfaktorisch erfahrbar ist. Nicht nur die Nahrung, sondern auch einzelne Kunstwerke haben einen ephemeren Charakter, wie beispielsweise die Arbeit „Valentineswine“ aus Kuchenteig der Künstlerinnengruppe „bis einer weint“ oder „La Grande Bouffe“ von Verena Issel, das unter anderem aus Baguettes und Fleischwaren besteht.
Die Ausstellung bei Lovaas Projects birgt nicht nur Leichtigkeit und Völlerei, sondern auch Melancholie und Nostalgie in sich. Die Stühle sind leer, die Gäste verschwunden, nur die bunte Lichterkette ist noch an. Die menschenleere Inszenierung ermöglicht Raum für eigene Assoziationen und lässt darüber spekulieren, was sich womöglich an diesem Tisch ereignet haben könnte. Besonders in einer Zeit, in der man sich nach ausgelassenen Abenden ohne begrenzter Personenanzahl oder Schnelltest sehnt, wirkt „Das große Fressen“ bei Lovaas Projects wie die Inszenierung einer unwirklichen und dennoch vertrauten Erinnerung. Zugleich funktioniert die Ausstellung wie ein Blick nach vorne ins utopisch Ungewisse. Sie gibt Hoffnung darauf, dass es vielleicht doch schon bald wieder so ist, wie es vor zwei Jahren einmal gewesen ist.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Leontine Köhn.
WANN: Die Ausstellung „La Grande Bouffe“ ist noch bis 11. März 2022 zu sehen.
WO: Lovaas Projects, Fürstenstrasse 6, 80333 München.