Glatt wie ein Babypopo Anna Uddenberg bei Kraupa-Tuskany Zeidler
5. Mai 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Ist das nun eine Babytrage, ein Folterinstrument oder ein Sexspielzeug? Anna Uddenbergs Ausstellung „BIG BABY“ lässt starke Männer zu Kleinkindern werden. Bei Kraupa-Tuskany Zeidler zeigt die Künstlerin, wie es aussieht, wenn Muskelprotze Schleifchen tragen.
Auf den ersten Blick lassen sich die hölzernen Skulpturen, die an den Wänden der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler montiert sind, schwer einordnen: Ihre Form ähnelt Kugelhanteln oder Lenkrädern. Erst bei genauerer Betrachtung wird klar, dass es sich bei den Holzarbeiten um zehn überdimensionale Schnuller handelt, die so in die Wand gesteckt scheinen, als würden sie dort lauter gierige Münder zustöpseln. Anna Uddenberg hat die Skulpturen in mehreren 3D-Programmen modelliert. Durch ihre Materialität wirken sie rustikal, zumindest, bis die lasziven Schnitzereien ins Auge fallen, die sie tragen: Männerkörper räkeln sich in aufreizenden Posen, ihre strammen Hintern strecken sich den Betrachter*innen entgegen, Geschlechtsteile zeichnen sich ab, muskulöse Beine stecken in berüschten Unterhosen. Das Ganze ergibt eine interessante Mischung aus zart-beschleiftem Kleinkind-Duktus und aufdringlicher Maskulinität.
Eine Parallele, die auch in dem 1973 produzierten Horrorfilm „The Baby“ eine Rolle spielt, auf den im Ausstellungstext explizit Bezug genommen wird. Darin untersucht eine Sozialarbeiterin den verstörenden Fall der Familie Wadsworth: Die Mutter und ihre zwei Töchter halten den Sohn, mittlerweile zum Erwachsenen gereift, in einem Zustand der Infantilisierung gefangen. Der Mann, der den schlichten Namen „Baby“ trägt, darf sich lediglich wie ein Kleinkind verhalten. Sobald er spricht oder andere Dinge tut, die seinem Alter angemessen erscheinen, wird er geschlagen und gequält. So verharrt er in einem Zustand der Abhängigkeit, in einem Gefängnis der aufgezwungenen Fürsorge.
Die Ambivalenz zwischen Kindlichkeit und biologischer Reife wird auch in der Ausstellung „BIG BABY“ deutlich: Zu Uddenbergs Inspirationen zählen unter anderem die cartoonesken, hypermaskulinen Comics des japanischen Künstlers Jiraiya. In seinen Illustrationen, die besonders in der Gay-Manga-Szene beliebt sind, schmiegen sich glatte, glänzende Körper aneinander. Die infantilen Gesichter stehen den stets deutlich betonten Geschlechtsteilen im krassen Kontrast gegenüber.
Aber auch die verschlungen Möbelentwürfe des tschechischen Jugendstil-Möbeldesigners Bořek Šípek haben Uddenberg zu ihren Holzarbeiten angeregt: Die rustikalen Details der verschlungenen Rattanmöbel und die Verspieltheit des Korbgeflechts finden sich auch in ihren Schnullerschnitzereien wieder. Uddenberg quetscht übergroße Körperteile in Apparaturen, die deutliche Bezüge zu Šípeks Entwürfen aufweisen. Einen kompletten Blick auf die Szenerien erhalten die Betrachter*innen jedoch nicht: Körper und Posen werden nur ausschnitthaft gezeigt. Während man sich noch fragt, ob man nun eine Babytrage, ein Folterinstrument oder ein Sexspielzeug vor sich hat, wird die Körperlichkeit auch in den Materialien deutlich: Das sanft geschliffene Holz verleitet zum Anfassen und verleiht der Aussage „Glatt wie ein Babypopo“ einen merkwürdigen Beigeschmack.
In Uddenbergs Arbeiten verschmelzen Muskelprotze und Kleinkindschema, Abhängigkeit und Unterwerfung. Werktitel wie „Pampered Behind“ spielen offensichtlich auf die Vielseitigkeit eines blanken Hinterteils an. Die überbetonte Sexualität menschlicher Körper kennt man bereits aus den verrenkten Frauenfiguren der Künstlerin. Eine davon ist im zweiten Raum der Galerie zu sehen. Auf einen Tisch gelehnt streckt sie ihr pralles Hinterteil gen Himmel. Mit Kunstfell, Plastikaccessoires und futuristischen Apparaturen geschmückt, scheint sie das komplette Gegenteil zu den hölzernen Skulpturen Uddenbergs darzustellen.
Dennoch finden sich bestimmte Elemente in beiden Werkgruppen: Neben popkulturellen Bezügen wie den klobigen Crocs an den Füßen der Dargestellten, sind ihnen auch die Exponiertheit ihrer Körper, die sich in nahezu unmöglichen Posen verbiegen, und die Zurschaustellung körperlicher Reize gemein. Mit ihrer ironisierten Sexualität stehen Uddenbergs Arbeiten an der Schnittstelle zwischen völliger Abhängigkeit und Selbstbestimmtheit. „BIG BABY“ zeigt auf spannende Weise, wie weit die Fetischisierung von Macht, Material und Körperlichkeit gehen kann.
WANN: Die Ausstellung „BIG BABY“ läuft bis Sonntag, den 20. Juni 2021.
WO: Kraupa-Tuskany Zeidler, Kohlfurter Straße 41/43, 10999 Berlin.