Edle Einfalt, stille Größe
Erwin Wurm über Lächerlichkeit und antike Skulpturen

7. März 2022 • Text von

Erwin Wurm ist für seine ungewöhnlichen Darstellungen des täglichen Lebens und seinen unkonventionellen formellen Ansatz bekannt. Mit seinen Arbeiten hinterfragt er die Absurditäten und Paradoxien unseres Alltags. In Wien zeigt er nun neue Skulpturen, die klassische Bildhauerei mit dem Wiener Würstelstand verbinden. Wir sprachen mit ihm über Lächerlichkeit und Heimat.

Erwin Wurm: Subject, KOENIG GALERIE IM KHK, 2022, Vienna, Foto: Simon Veres.

gallerytalk.net: Ich würde gerne mit einem Zitat von Thomas Bernhard einsteigen: „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“ Würdest du da zustimmen?
Erwin Wurm: Allerdings. Wir müssen nur lernen, mit dieser Lächerlichkeit umzugehen, diese als Teil von uns zu akzeptieren, denn wir alle haben einen lächerlichen Teil in uns. Aber wenn wir fähig sind, diesen Aspekt zu akzeptieren und anzunehmen, dann können wir aus einer gewissen Distanz anders auf uns selbst sehen und das besser ertragen. Wir sind nicht immer ‚Helden‘ und können dieser Vorstellung von Heldentum auch nicht gerecht werden. Ich habe mir am Anfang die Frage gestellt, ob es möglich ist Peinlichkeit oder Lächerlichkeit nicht als Symbol darzustellen, sondern sie konkret zu erzeugen. Ist es möglich eine Skulptur zu machen, die Peinlichkeit darstellt.

Deine Arbeiten sind humorvoll, strahlen aber immer auch eine gewisse Tragik aus. Wie geht das zusammen?
Die humoristische Zuschreibung lehne ich eher ab, es geht vielmehr um eine gewisse Absurdität, das Paradoxe. Und ja, einige Elemente sind durchaus komisch. Aber man lacht auch oft, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt. Über meine Arbeit „Narrow House“ wird oft gelacht, aber da ist nichts zu lachen. Diese Arbeit bildet ein Haus aus einer bestimmten Zeit der österreichischen Gesellschaft ab, die alles andere als lustig war. Wenn man die Skulptur betritt, hat man sofort klaustrophobische Gefühle. Es erinnert an das Österreich der fünfziger, sechziger, siebziger Jahre: Eine restriktive Gesellschaft, in der vieles in die Vergangenheit gerichtet war und viele Nazis untergekommen sind und ein verstecktes Dasein führen konnten. Es ist also alles andere als lustig.

Erwin Wurm: Subject, KOENIG GALERIE IM KHK, 2022, Vienna, Foto: Simon Veres.

Ist deine Kunst also auch der Versuch, dich von gewissen biographischen Erlebnissen zu emanzipieren?
Wenn man jung ist, merkt man ja zunächst nicht, wo und wie man lebt. Es ist alles normal für einen selbst, man hat noch keine Relationen, kennt es nicht anders. Erst später durch Reflexion und andere Erfahrungen auch in unterschiedlichen Ländern fängt man an, zu hinterfragen. Da spielen natürlich auch Philosophie und Literatur eine Rolle. Enge ist leider immer ein Teil unserer Gesellschaften.

Wie war das für dich?
Meine Eltern waren wunderbare, liebende Eltern, aber das Rundherum war sehr speziell. Das muss man aber erst erkennen. Die Wahrnehmung der Verhältnisse, der gesellschaftlichen Bedingungen, in denen man aufwächst, verändert sich. Man sollte es sich jedoch erlauben, die eigene Zeit und Vergangenheit kritisch zu betrachten. Dann erkennt man verschieden Dinge, die anders waren als sie es heute sind. Das heißt nicht, dass die Gesellschaft heute nur großartig ist. Es gibt immer noch ähnliche, fragwürdige Mechanismen. Aber ich erlaube es mir als Künstler, über die Zeit damals Kommentare zu machen, zu arbeiten und zu sprechen.

Erwin Wurm: Subject, KOENIG GALERIE IM KHK, 2022, Vienna, Foto: Simon Veres.

Die Gesellschaft ist immer noch über Status und Macht organisiert. Das thematisierst du auch in deiner künstlerischen Praxis. Ist dein „Fat Car Convertible (Porsche)“ ein Kommentar auf Statussymbole?
Es ist eher ein Machtsymbol. Gerade dieser Porsche führt Selbstgespräche, ausschließlich mit Phrasen aus der Gangstersprache, über Drogen und Waffen. Das Auto kann zwar ein herrliches Mittel zur Fortbewegung und zum Vergnügen sein, aber mittlerweile hat sich die Einstellung dazu, auch bei mir, radikal verändert. Das schöne, angenehme wird schwer, das Auto wird eher als Bedrohung gesehen. Aber auch das ist Teil meiner Arbeit, der Konsumzwang, der Wahnsinn, immer jung und begehrenswert sein zu müssen spielen da auch mit hinein.

In deiner aktuellen Ausstellung „SUBJECT“ in der König Galerie geht es nicht um Machtobjekte, sondern eher um Dinge aus dem österreichischen Alltag. Ist Essen ein wichtiger Teil des Konzepts „Heimat“?
Heimat ist mir ein verdächtiger Begriff, aber lassen wir das mal so stehen. Nahrungsmittel haben in meiner Kunst immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich gehe immer vom Begriff des Bildhauerischen aus und nähere mich so der Gegenwart. Ich glaube, dass man unsere Zeit mit den Begriffen des Skulpturalen abfragen kann und man ein anderes Resultat bekommt als mit einer normalen Betrachtung. Zum anderen waren das Zu- und Abnehmen als bildhauerisches Grundprinzip immer ein Thema meiner Arbeit. Die Veränderung von Volumen, Zuwachs und Wegnahme. Wenn sich das Volumen ändert, verändert sich auch der Inhalt.

Erwin & Michael Wurm: Subject, KOENIG GALERIE IM KHK, Vienna, 2022, Foto: Simon Veres.

Wie hast du das für die aktuelle Ausstellung umgesetzt?
Die Bilder in der Ausstellung sind Klassiker des Wiener Würstelstandes, etwa Salzstangen, Debreziner Würste oder Semmeln. Diese sind alle in Marmor dargestellt. Der österreichische Würstelstand ist eine Institution, wo männliches und veraltetes Gedankengut weitergegeben wird, quasi eine nach hinten gerichtete Nahrungsmittelinstitution. Es hat mich interessiert das aufzunehmen und zu untersuchen, was passiert, wenn ich diese Nahrungsmittel in Marmor darstelle, quasi eine Verdingung und Subjektivierung dieser Lebensmittel und dieser Gegenstände.

Wie verändert es unseren Blick, wenn diese alltäglichen Objekte zu glatten, perfekten Skulpturen aus Marmor werden?
Genau das hat mich interessiert. Was passiert, wenn ich das mache. Was passiert, wenn ich eine Frankfurter Wurst aus Marmor mache. Und da passiert schon was. Es verändert sich radikal. Es wird absurd, es wird paradox. Die Wurst, die man nicht essen kann, wird zum Sinnbild, zur Ikone. Plötzlich erkennen wir diese einsam stehende Würste als frühe Idole der europäischen, der asiatischen oder der afrikanischen Kultur. Plötzlich werden sie zu Idolen, zu minimalisierten Körperdarstellungen, Figurendarstellungen. Plötzlich passiert da sehr viel.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 17. April zu sehen.
WO: König Galerie im KHK, Friedrichstraße 7, 1010 Wien, Österreich.

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