Vom Comic zur Kunst
Sophie Ullrich vereint Strichmännchen und Malerei

23. April 2021 • Text von

Sie verrenken sich beim Yoga, spielen mit Wasserpistolen oder halten Raviolidosen in die Höhe. Ihre comicartig stilisierten Figuren lässt die Künstlerin Sophie Ullrich in allerhand Posen auf ihren Leinwänden lebendig werden und schafft gleichzeitig einen spannenden Bogen zwischen figurativer und abstrakter Malerei. Anlässlich ihrer Ausstellungen in Mailand und Hamburg trafen wir Sophie Ullrich und sprachen über die Grenzen von Malerei, belgische Comics und den wohl provokantesten Nippel-Griff der Kunstgeschichte.

Zwei Bilder mit pastellfarbigen Tönen von Sophie Ullrich
Sophie Ullrich, diskussion, 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich // Sophie Ullrich, Heinrichs Träume, 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich.

gallerytalk.net:  Das Gemälde “Bored Queen overlooks her fields”, das du aktuell in deiner Ausstellung in Mailand zeigst, ist wirklich großartig. Das Originalbild “Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern” (1594) aus dem Pariser Louvre, aus dem der Ausschnitt stammt, ist eines meiner Lieblingsbilder. Diese gespreizten Finger sind so amüsant. Inwieweit spielt Rezeption in deinem Werk eine Rolle?
Sophie Ullrich: Der Ausschnitt mit dem Nippel-Griff war auf dem Cover der “art”, die mein Bruder mir mitgebracht hatte. Das Bild fand ich auf gewisse Weise modern und provokativ, obwohl es ja aus dem 16. Jahrhundert stammt. Interessant ist, dass dieser Nippel-Griff als gemalter Ausschnitt auf Instagram nicht zensiert wird. Ein Foto, auf dem man diese Pose nachgestellt hätte, würde jedoch sofort gemeldet werden.

Das stimmt, gemalte Nacktheit ist in dieser Form gar nicht so anstößig.
Das ist eine spannende Frage – wie fotorealistisch müsste man diesen Ausschnitt malen, dass es der Algorithmus auf Instagram zensiert? Mich hat das Cover der “art” damals sehr provoziert, aber auf eine positive Art. Ist die dargestellte Frau schwanger? Oder was bedeutet es überhaupt, dass ihr jemand den Nippel kneift? Auf eine komische Art ist das Gemälde auch emanzipatorisch, weil es nicht erotisch inszeniert ist. Kein Akt, der auf einem Bett liegt, sondern eben diese beide Frauen, die nebeneinander in der Badewanne sitzen.

Zwei Bilder mir grünen und rosa-farbenen Elemente.
Sophie Ullrich, o.T (bewässerung), 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich // Sophie Ullrich, Rasendünger, 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich.

Die beiden Ladies sind total köstlich. Auch in deinem Werk zieht sich eine amüsante “comicartig stilisierte Figur”, durch deine Gemälde. Wie bist du darauf gekommen?
Ich bin ein kompletter Comic-Freak. Vor allem die belgischen Comics aus der Hand von Hergé. Ich bin in der Schweiz geboren und dort mit den französischen Tintins aufgewachsen. Die schwarzen Umrandungen fand ich schon als Kind faszinierend. Wie dort eine Nase gemalt ist, ein Busch, man sieht richtig, dass noch mit Tusche gezeichnet wurde. Außerdem hing bei uns früher in der Küche ein Poster von Max Beckmanns Bild “Der Eiserne Steg”. Letzteres hat auch richtig starke schwarze Linien. Das hat mein ästhetisches Sehen wohl sehr geprägt, so dass ich nun auch immer alles schwarz umrande. Und natürlich war meine Klassenwahl an der Akademie in Düsseldorf entscheidend.

Du hast als Meisterschülerin bei Eberhard Havekost an der Akademie abgeschlossen. Inwieweit hat dich seine Lehre geprägt?
Durch Havekost konnte ich vor allem Selbstbewusstsein hinsichtlich meiner Malerei aufbauen. Er war technisch extrem versiert. Er hat sofort gesehen, mit welchen Pigmenten oder Pinseln man gemalt hatte. Während des Orientierungsbereiches habe ich viele Comics gezeichnet, obwohl mir anfangs gesagt wurde, dass Comics keine Kunst wären, „diese wurden einmal im Zuge der Pop-Art durchgekaut und das würde nicht mehr funktionieren“. Havekost hat mich dazu gebracht, dass ich aber gerade zu meinem Anfang, also den Comics zurückgegangen bin. Das war sehr wertvoll.

Sophie Ullrich in ihrem Atelier
Sophie Ullrich im Atelier © Sophie Ullrich.

So kam es zu den Strichmännchen auf deinen Leinwänden?
Ich bin ein absoluter A. R. Penck-Fan, der ja auch Strichmännchen auf eine expressive Art gemalt hat. Das ist sowohl modern als auch gestische Malerei und trotzdem mit einem Narrativ verbunden, das wie Piktogramme universal lesbar ist. Egal, wo du herkommst, du verstehst ein Strichmännchen. Die Frage nach der Reduktion fand ich spannend. Wie weit kannst du etwas reduzieren, dass es trotzdem lesbar ist. Am Anfang waren es eher schwarze Umrisslinien aber es taten sich immer mehr Möglichkeiten auf. Dann dachte ich, stimmt, Havekost hat Recht. Mal gucken, was da noch geht? Die Herausforderung war, wie man den Comic in die bildende Kunst bekommt. Da gibt es die Klassiker wie Keith Haring oder eben Penck, denen das gelungen ist. Im Figürlichen finde ich letztere besonders gut, aber auch Frauen wie Tatjana Doll mag ich sehr. Im Abstrakten gibt es Joane Mitchell oder Helen Frankenthaler, die eine Inspiration sind, aber bis jetzt kannte ich noch keine Frau, die Strichmännchen so benutzt hat. Daher denke ich, dass man es noch ausformulieren kann.

Die Rezeption des Comics bringt auch eine gewisse Ironie in dein Werk. Mich erinnert das sehr an die Kunst von Martin Kippenberger.
Ja, der Aspekt, dass man die Dinge nicht so ernst nimmt. Der Respekt vor dem gemalten Bild oder der Bildenden Kunst ist ja teilweise sehr hoch. Viele nehmen sich sehr wichtig. Nach dem Motto, „oh, das ist jetzt der große Gestus!“ (lacht). Ich mag es, wenn ein Bild sich selbst kommentiert. Am Ende ist es wichtig, dass man sich nicht so ernst nimmt. Ich fange aus einem Impuls heraus zu malen an und habe einfach Spaß dran.

Zwei Gemälde von Sophie Ullrich.
Sophie Ullrich, stay home! Masturbate!, 2020, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich // Sophie Ullrich, teppichyoga, 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich

Findest du es schwierig, dich in dem klassischen Feld der Malerei neben Künstler und Künstlerinnen zu positionieren, die sich mit Neuen Medien beschäftigen?
Nein gar nicht. Ich finde Neue Medien und jetzt gerade die Auktion bei Christies mit den NFTs spannend. Ich finde das absolut genial! Aber meine Passion ist die Malerei. Das ist wie ein Fetisch. Ich liebe Wachs, Öl, Pigmente, das Handwerk. Das erfüllt mich. Jede Erweiterung der Kunst im zeitgenössischen Sinne, wenn es immer digitaler wird, befruchtet mich in der Hinsicht zu sagen, vielleicht gibt es auch in der Malerei noch eine Grenze, die bisher nicht überschritten ist. Klar, es findet auf einer zweidimensionalen Ebene statt. An diese Haptik bist du gebunden. Künstlerinnen wie Pipilotti Rist finde ich genial, deren Arbeiten als Projektionen auf Wände oder Boden funktionieren.

Im Station Berlin ist gerade die Ausstellung „Van Gogh – The Immersive Experience“ zu sehen, in der Van-Gogh-Gemälde an die Wand geworfen werden. Würde es für dich funktionieren, wenn man deine Bilder derartig projizierte?
Das wäre eine ganz andere Erfahrung, weil dann allein auf das reduziert wird, was man sieht. Es wäre ein anderes Kunstwerk. Wenn man sagt, dass es ein eigenes Kunstwerk ist, aber jemand hat sich bedient an den Farben und den Motiven von Van Gogh, in Ordnung. Aber ein Van Gogh wird es niemals sein. Ich finde es aber auch für die Originalbilder nicht bedrohlich. Die einzelnen Kunstgenres klauen sich dabei nichts. Eigentlich freut es mich immer zu hören, wenn Leute, die bisher kein Interesse an Kunst hatten, sich plötzlich dafür interessieren, weil sie tolle Erfahrungen im Digitalen oder mittels Virtual-Reality gemacht haben.

Zwei Gemälde von Sophie Ullrich
Sophie Ullrich, Ravioli, 2020, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich // Sophie Ullrich, Wasserpistole, 2021, Öl auf Leinwand © Sophie Ullrich.

Da gebe ich dir Recht! Und was zeigst du in deiner Ausstellung bei Evelyn Drewes, die gestern in Hamburg eröffnet hat?
Die Ausstellung in Hamburg ist sehr poppig. Das Heinz-Ketchup-Tütchen und die Wasserpistolen sind unter anderem ausgestellt. Ich bin richtig gespannt, wie die Eröffnung verläuft. Das ist doch das, was man vermisst. Eröffnungen und Weißwein-hopping! (lacht)

WANN: Die Ausstellung “Sophie Ullrich Lab” eröffnete am gestrigen Donnerstag, den 22. April, und läuft bis Dienstag, den 25. Mai. Parallel läuft Sophies Einzelausstellung “Queen overlooks her field” in der TUBE Culture Hall bis Sonntag, den 30. Mai.
WO: Evelyn Drewes Galerie, Brandshofer Deich 52, 20539 Hamburg und TUBE Culture Hall, Piazza XXV Aprile 11/B – piano interrato, 20154 Mailand, Italien.

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