Unbehagen im Scheinwerferlicht Nassim L'Ghoul im Eigen + Art Lab
4. August 2023 • Text von Katrin Krumm
In seiner Ausstellung im Eigen + Art Lab zeigt Nassim L’Ghoul 3D-animierte Videoarbeiten, in denen er reale Beobachtungen mit fantastischen Kulissen kombiniert. In nicht-linearer Erzählweise führen diese durch sein surreales, traumartiges Universum und hinterlassen ein beklemmendes Gefühl.
“Lore” ist ein englischer Begriff, der den Hintergrundkosmos eines fiktiven Universums, wie beispielsweise eines literarischen Werks oder eines Spiels bezeichnet. Diese speziellen Gegebenheiten einer Welt werden meist indirekt erzählt, sind in sich geschlossen und folgen einer eigenen Logik. Im Eigen + Art Lab führt Nassim L’Ghoul Betrachter*innen in die surreale Logik seiner visuell-assoziativen Welten ein. Der in Frankfurt lebende Künstler zeigt dort animierte Videoarbeiten sowie Prints und 3D-gedruckte Skulpturen.
Seine jüngste Videoarbeit namens “Teapots Waltz“ besteht aus einer kurzen, geloopten Videoanimation, die mittels Kameraschwenk durch eine Art spärlich beleuchtete Flohmarkt-Halle führt. Auf den mit weißen Tischdecken belegten Verkaufsflächen befinden sich allerdings nur noch wenige Objekte. So sieht man beispielsweise Besteck, Becher und ein Album, das ein Babyfoto ziert. Mittig auf dem Tisch gibt es eine Bewegung: eine anthropomorphe Teekanne tanzt auf der Stelle. Es ist eine unheimliche Szene, die durch den Kontrast zwischen starrer Kulisse und animierten Objekt noch verstärkt wird. “Teapots Waltz” kann als Einführung in L’Ghouls fiktive Welten gelesen werden und etabliert die beklemmende Atmosphäre der bevorstehenden Beobachtungen.
Seine 2-Kanal-Videoinstallation “soft links” ist eine weitere Arbeit, in der L’Ghoul Figuren und Landschaften mit belebten Objekten kombiniert. Als Basis dienen dem Künstler Erzählungen und Re-Konstruktionen bestimmter Erlebnisse, die ihre Ursprünge oft im Realen haben. So orientiert sich die Arbeit zu Beginn an einem Fahrsimulator einer Frankfurter U-Bahn. Die ruhige Kamerafahrt führt weiter durch eine anonymisierte Großstadt-Kulisse mit mehrstöckigen Häusern, Autos und Parkanlagen.
Darin wechseln teils alltägliche Beobachtungen mit traumartigen, surrealen bis hin zu post-apokalyptischen Kulissen: ein überschwemmter Stadtteil, in dem eine starre Figur in einem Boot treibt oder beispielsweise eine Taube, die einen Wagen vor sich herschiebt. L’Ghoul, der alle seine Figuren und Szenen selbst modelt, erzählt dabei aus der Ich-Perspektive eines nicht näher bestimmten Charakters, durch dessen Augen die Betrachter*innen blicken.
Mit jedem visuell eingeleiteten Blinzeln entsteht ein Szenenwechsel, der weiter durch die graue Stadt und an zwielichtigen Figuren vorbeiführt. Das Gefühl von inhärenter Feindseligkeit wird auch dadurch gestärkt, dass L’Ghouls Erzählweise Charakteristiken des Neo-Noir aufweist. Diese entzieht sich einer konventionellen Storyline, indem sie vielmehr aus assoziativen Kurzgeschichten besteht, die sich aus einzelnen nicht-linearen Szenen zusammensetzen.
Ein besonderes visuelles Merkmal entsteht durch die Komposition der Szenen, die sich aus einem Zwischenschritt im Renderprozess der 3D-Bildberechnung ziehen. So sind einzelne Figuren oder Objekte scheinwerferartig ausgeleuchtet und werfen starke Schlagschatten. Die sie umgebende Szenerie ist meist komplett abgedunkelt, der Horizont schwarz.
Dies wird besonders in seiner Inkjet-Print-Serie “I Know What I Saw” im hinteren Bereich des Raums deutlich. Darin wiederholt L’Ghoul Figuren und Szenen aus seinen Videoarbeiten und setzt sie zu kinematographischen Momentaufnahmen zusammen. Das Sampling und Übertragen seiner Figuren auf mehrere Medien erinnert an im Internet verbreitete Grusellegenden. Beim Betrachten entsteht ein unbehagliches Gefühl, das trotz der humoristischen Elemente nicht aufgefangen werden kann.
Diese gibt es nämlich auch, wie beispielsweise in seiner knapp zweiminütigen Videoarbeit “Pig From Head To Toe”. Darin sieht man, wie sich ein Mitleid erweckendes Schwein während einer Schachpartie gegen einen abgetrennten Fuß geschlagen gibt und bitterliche, dicke Tränen weint.
Zwar lassen L’Ghouls Figuren Betrachter*innen an ihren Emotionen teil, allerdings sind diese Momente nur von kurzer Dauer. Die Verbindung zwischen Betrachterin und Protagonistinnen wird auch dadurch gestört, dass sich die Szenen in steril wirkenden, nicht-texturierten Umgebungen abspielen – und auch Figuren und Objekte sind durchgehend grau.
Im Ausstellungstext von Ellen Wagner heißt es, dass es in L’Ghouls Arbeit nicht darum geht, zu einem bestimmten Kern vorzudringen. Vielmehr umkreisen seine Arbeiten Situationen aus der Rolle des Beobachters. Zwischen L’Ghouls Figuren und Objekten und den Besucher*innen der Ausstellung entsteht eine Identifikations-Lücke. So bleiben auch Betrachter*innen seiner Arbeiten in der Beobachterposition.
WANN: Die Ausstellung “Three Years Later He Was Still Dancing” läuft bis Samstag, den 19. August.
WO: EIGEN + ART Lab, Torstraße 220, 10115 Berlin