Wer ist Milo?
Thomas Liu Le Lann bei Dittrich & Schlechtriem

10. Mai 2021 • Text von

Einem Flirt in Wien hat Thomas Liu Le Lann einst versprochen, seine erste Einzelausstellung in Deutschland nach ihm zu benennen. Das Ergebnis ist nun bei Dittrich & Schlechtriem zu sehen und die Besucher*innen können herausfinden, was es mit „Milo“ auf sich hat. Vor allem erfährt man aber viel über den Künstler selbst. Eine Spurensuche.

Im Vordergrund sitzen sieben Puppen mit langen Gliedmaßen auf Dreirädern, die im Kreis aufgestellt sind. Im Hintergrund sind weitere Werke von Thomas Liu Le Lann zu sehen.
Thomas Liu Le Lann, Ausstellungsansicht “Milo” © Thomas Liu Le Lann / Images courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Eine Ausstellung nach einer ehemaligen Liebschaft zu benennen, klingt wildromantisch. Thomas Liu Le Lann hat es gemacht und mit dem Titel maximale Neugier geweckt: Wer ist dieser Milo und was wird die Ausstellung über ihn erzählen? Gespannt auf Antworten steigt man in die Galerieräume von Dittrich & Schlechtriem hinab und wähnt sich zuerst in einem Jugendzimmer. Auf dem Boden windet sich eine ungewöhnlich lange Kuscheltierschlange, dazwischen sind drei Skateboards aufgetürmt. An der Wand hängt Liu Le Lanns „Deftones #2“, übrigens auch der Name einer Nu Metal Band aus den USA. Der passende Soundtrack ist also gegeben und den Ohrwurm wird man erstmal nicht mehr los. Automatisch hat man einen Teenager im Kopf, der Anfang der 2000er die Idee hat, aus drei Plüschtieren eins zu kreieren und somit die ultimative Würge-Gift-Schlange zu erschaffen. So ungefähr lief das wohl auch bei Liu Le Lann. Vielleicht finden wir ja im nächsten Raum mehr Informationen über das Phantom Milo?

Im Vordergrund sind drei Skateboards zu einem Stapel aufgetürmt, dahinter windet sich eine auffällig lange Kuscheltierschlange. An der Wand hängt ein Bild des Künstlers Thomas Liu Le Lann.
Thomas Liu Le Lann: The Weakling, 2021 / Deftones #2, 2021 © Thomas Liu Le Lann / Images courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Auf dem Gemälde „Young Faun Playing Flute“ hat Liu Le Lann ein Gedicht über das erste Treffen mit Milo niedergeschrieben. Eventuell gab es Cordon Bleu und ein Glas Muskateller, vielleicht ist das aber auch dichterische Freiheit. Darüber prangt ein großes, missmutiges Gesicht. War es also kein schönes Date? „Viele meiner Werke langweilen sich in der Ausstellung. Die wollen was erleben“, erklärt der Künstler. Die Ambivalenz zwischen Lust und Lustlosigkeit zieht sich durch die gesamte Ausstellung.

In der Mitte des Raums fahren sieben „Soft Heroes“ auf Dreirädern im Kreis. Soft, das sind die lebensgroßen Puppen wirklich: Ihre Gliedmaßen hängen schlapp auf den Boden. Mit ihren Harlekin-Masken sehen sie spitzbübisch aus, als wären sie auf der Suche nach Ärger. So maskiert könnten sie auch auf dem Weg zum nächsten Banküberfall sein. Und doch wirkt die Szenerie spielerisch. Vielleicht liegt es daran, dass die Skulpturen, die Milo und seine Freunde darstellen, cool angezogen sind: Alle sieben tragen PMS-Shirts der Künstlerin Marlie Mul, haben aber trotz dieser Uniform individuelle Charaktere. Da gibt es den samtigen Eliot, den aalglatten Allen, Denim-Justin und den extravaganten Y.

Zwei der so genannten "Soft Heroes", lebensgroße Puppen aus unterschiedlichen Materialien, sitzen auf Dreirädern. Ihre langen Gliedmaßen hängen auf den Boden.
Thomas Liu Le Lann: Eliot (Eliot wears a light grey PMS shirt and INNER LIGHT 2019 pants), 2021 / Nacho (Nacho wears a kiwi green PMS shirt), 2021 © Thomas Liu Le Lann / Images courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Und auch ein bisschen Fetisch ist mit von der Partie: Ein riesiger Schnuller aus Glas glänzt den Besucher*innen herausfordernd von einem Stapel Paletten entgegen. Das rohe, unbehandelte Holz steht in krassem Kontrast zu dem glatten Nuckel, der ein angenehmes Leckvergnügen verspricht. Hoch über den Köpfen der Besucher*innen ist „Levitrax“ montiert. Wie in einem Schwall tropft aus dem grauen Frottee-Phallus monochromes PVC herab. Die Arbeit sei schwarz-weiß, weil er das Gefühl gehabt habe, seine Arbeiten seien zu bunt, zu karnevalistisch, so der Künstler. Unwillkürlich sieht man aus dem Augenwinkel die „Soft Heroes“ winken.

Liu Le Lanns Werke sind mal flauschig-weich, mal dehnbar, dann wieder kühl und glatt. Frottee trifft auf Glas, Samt schmiegt sich an Vinyl. Es scheint, als erhasche man einen kurzen Einblick in das Gehirn des Künstlers: Dort fahren ehemalige Bekanntschaften im Kreis, es gibt eine Menge Süßes und Saures und sexy Materialien zu bestaunen. Und doch ist man irgendwie rausgewachsen aus den unschuldigen Kindheitsträumen: Die zusammengenähte Kuscheltierschlange erinnert an den Horrorfilm „The Human Centipede“ und auch der Anblick des Glas-Schnullers ist mehr unheilverkündend als verlockend. Zwischendurch gibt es immer wieder Hinweise auf Menschen, die Liu Le Lann mal nah waren. Die Schuhe zum Beispiel, die den Künstler an Milo erinnern und mit einem Glasboden versehen sind, in dem man sich spiegeln kann.

Ein riesiger rosa Schnuller aus Glas liegt auf einem Stapel Holzpaletten.
Thomas Liu Le Lann: Training part 3, 2021 © Thomas Liu Le Lann / Images courtesy DITTRICH & SCHLECHTRIEM, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

„Milo“ ist eine Liebeserklärung. Nicht nur an die ehemalige Romanze des Künstlers, sondern auch an viele andere Menschen, denen er im Laufe der Zeit begegnet ist. Zu jedem Werk gibt es eine Geschichte und jede ist spannender als die vorherige. Die Frage, die bleibt: Weiß Milo von der nach ihm benannten Ausstellung in Berlin? Tut er. Und er wird zu gegebener Zeit einen Katalog bekommen. Wenn man aus den im Untergeschoss liegenden Galerieräumen wieder an die Oberfläche steigt, fühlt man sich, als tauche man aus einem Ausflug in die Gehirnwindungen Liu Le Lanns auf, eine Sammlung von Erinnerungen und Dingen, die Spaß machen, im Gepäck.

WANN: Die Ausstellung „Milo“ läuft bis 27. Juni 2021.
WO: Dittrich & Schlechtriem, Linienstraße 23, 10178 Berlin.

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