Gekühlte Kunst und Ananas im Glas
Unsere Empfehlungen zum Kunstfestival ortstermin21 in Moabit

23. August 2021 • Text von

Die Corona-Pandemie hat vielen kulturellen Bereichen bildlich gesprochen den Stecker gezogen. Das Kunstfestival ortstermin21 steht in diesem Jahr unter dem Titel “RESET” und sucht nach Lösungen für einen Neustart nach der Pandemie. An 94 Orten in Berlin-Moabit präsentieren fast 200 Künstler:innen am kommenden Wochenende Ideen und Ansätze zum Thema – von vertikalen Foren bis hin zu künstlerischen Ausstellungen in Getränkekühlschränken.

ortsttermin 21, Kurt Kurt: Fast Forward. Foto: Fiction of a Non-Entry // Fiktion einer Nicht-Einreise, Egypt + Israel // Ägypten + Israel, 2019, ©Mischa Leinkauf, Archival Pigment Print, 100 x 66 cm, Edition: 3 + 2 AP, courtesy Mischa Leinkauf, alexander levy, VG Bild-Kunst

Immer weiter, immer schneller – diesem Credo hat die Pandemie in den vergangenen eineinhalb Jahren Einhalt geboten, zumindest kurzfristig. Im Moabiter Projektraum Kurt Kurt reflektieren sechs künstlerische Positionen die Dimension Zeit, die in der Pandemie für viele durch das Warten auf ein Ende der Krise zu einer zähen Masse verkommen ist. Mit dabei durchweg spannenden Künstler:innen: Tom Früchtl, Mischa Leinkauf, Peter Müller, Silke Panknin, Sonya Schönberger, Heidi Sill. 

Alle sechs Künstler:innen reflektieren und relativieren die Zeit in ihrem ganz eigenen Medium, von Fotografie und Zeichnung über Objektkunst, Installation und Malerei bis hin zu Video. „Fast Forward“ lautet der Titel der Gruppenausstellung, der die Frage aufwirft: War der pandemiebedingte Stillstand am Ende doch nicht mehr als ein kurzes Innehalten vor erneuter Beschleunigung? 

Kurt-Kurt, Fast Forward, Lübecker Straße 13, 10559 Berlin

ortstermin 21, Nina Plaskova, Pharaz Azimi, Yunsun Kim und Anneliese Greve, Getränkekühlschrank, 2021, Foto: Yunsun Kim / Asynchronicity of Now_Objekte von Yunsun Kim und Nina Plaskova, Foto: Anneliese Greve & Pharaz Azimi

Kein Bier mehr im Kühlschrank! Was für viele (zurecht) erst einmal wie eine ziemlich schlechte Nachricht klingt ist der Titel eines ziemlich originellen Beitrags beim ortstermin21: Die Künstler:innen Pharaz Azimi, Anneliese Greve, Yunsun Kim und Nina Plaskova setzten sich für ihren Beitrag beim Moabiter Kunstfestival mit dem Begriff der „Terrapolis“ von Wissenschaftsphilosophin Donna Haraway auseinander. Das Ergebnis präsentieren sie in einem ausrangierten Getränkekühlschrank in der Umgebung der St. Johanniskirche.

Die Arbeiten betrachten die Kunst dabei als eigenständigen Mikrokosmos, entkoppelt vom Rest der Welt, die Menschheit überdauernd. Wie durch Kühlung haltbar gemachte Mumien liegen die von ihnen geschaffenen Werke da, im Schein des kühlen Kühlschranklichts. Von den Künstler:innen heißt es zum Festival-Thema: „In unserem verbleibenden Kosmos entsteht anhand unserer Werke eine neue Welt, in welcher menschliche, technische Relikte, Pflanzen und Kunst zusammen koexistieren. Gleichzeitig steht RESET für die Rückbesinnung auf das inhaltliche und materielle Fundament unserer künstlerischen Arbeiten.“ Das Ausstellungsprogramm wird am Eröffnungsabend von einem Konzert/einer Performance begleitet.

St. Johanniskirche, Alt-Moabit 25, 10559 Berlin 
Veranstaltung: 27. Aug, 20.00 Uhr, „Hannelore“ (Catherine Lorent und Tom Früchtl), Live-Konzert/Performance

rtstermin 21, Well Gedacht Publishing, Firas Shehadeh, The View from “No-Man’s Land”, Foto: Ralph Bergel

Der Verlag Well Gedacht Publishing mit Sitz in Berlin und Wien wurde von Ipek Burçak und Eren Ileri gegründet und ist auf die Veröffentlichung von Künstler:innenpublikationen aus diasporischen Communities spezialisiert. Während des ortstermin21-Festivals präsentiert der kleine Verlag in einer Art skulpuralem Kiosk die eigenen Publikationen und stellt diese zum Teil kostenlos und als direkten Free Download bereit. 

Zum Festivalthema „RESET“ passend wird pünktlich zum ortstermin21 auch die neueste Ausgabe des Well Gedacht Magazins präsentiert. Darin setzen sich verschiedene Künstler:innenbeiträge kritisch mit dem Thema Reisen auseinander. Ebenso wie Kunst und Kultur war und ist das Erleben von Reisen während der Pandemie nur mäßig bis stark eingeschränkt möglich. Die Frage, wie es in diesen Bereichen nach der Krise weitergehen könnte, findet sich zum ortstermin21 in der Heilandskirche vereint, die – by the way, fun fact – an der kürzesten Allee Berlins liegt.

Heilandskirche, Thusnelda-Allee 1, 10555 Berlin

ortstermin 21, SLAVS & TATARS, Knot Know, Foto: Ralph Bergel 

Die Pickle Bar wurde im vergangenen Jahr als Kooperation des Künstlerkollektivs Slavs and Tartars und des KW Institutes for Contemporary Art eröffnet. Seitdem wird an dem Ort in Berlin-Moabit erforscht, erkundet und reflektiert – und zwar oft aus sehr ungewöhnlichen Perspektiven und mit recht ungewöhnlichen Mitteln. Den gesamten Sommer über schon erforscht das Projekt „Knot Know“, wie traditionelles Kunsthandwerk als Nährboden für Solidarität und queere Überzeugungen in Zentralasien und China gelten kann. 

Zum ortstermin21 wird es in diesem Zuge die Soundinstallation/Performance „Pineapple in a Jar“ geben. Dabei werden sich der bei Slavs & Tatars ansässige Klangkünstler Sarvenaz Mostofey und der Forscher und Kurator Krzysztof Gutfranski gemeinsam mit dem brasilianischen Schriftsteller Guilherme Lessa mit dem Tabu der Laktosegärung in Brasilien befassen und die Ananas als Allegorie dafür und für alles Exotische sowie als Referenz für die Geschmäcker und Aromen verwenden.

Pickle Bar, Stephanstraße 11, 10559 BerlinSoundinstallation „Pinapple in a Jar“, 27.8. 19.30 Uhr; Tickets gibt‘s hier

WANN: Das Festival ortstermin21 eröffnet offiziell am kommenden Freitag den 27. August in der Festivalzentrale Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten mit Programm und dauert bis einschließlich 29. August.
WO: Die einzelnen Festivalorte sind hier aufgelistet.

In freundlicher Zusammenarbeit mit ortstermin21. 

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