Gedanken bei der Gruppenmasturbation Talaya Schmid und Jordan Müller bei Horse & Pony
22. Januar 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Wir trinken zusammen Wein bei Skype, sitzen in der Vorlesung auf Zoom und streamen unsere Weihnachtsfeier. Warum also nicht auch gemeinsam zum Höhepunkt kommen? Ein Testbericht von vor dem Bildschirm.
Die Neugier siegte: Nachdem mir die „Guided Group Masturbation“ von Talaya Schmid und Jordan Müller in den Instagram-Feed gespült worden war, sah ich sie plötzlich überall. Die Veranstaltung war Teil der von Horse & Pony ausgerichteten Veranstaltungsreihe „love letters: stories of distant proximities“. Per Mail konnte ich mich für die „Immersive Sound Sculpture“ anmelden und erhielt kurze Zeit später die ersten Vorbereitungstipps in mein Postfach: Einen Kokosfett-Eiswürfel einfrieren, ein Outfit auswählen, einen Schal bereitlegen. Jegliche Spielzeuge und Kinks waren natürlich erlaubt. Die overall Message lautete: Hierfür soll sich Zeit genommen werden.
Ein paar Stunden vor Beginn der angeleiteten Gruppenmasturbation erhalte ich den YouTube-Link zur Live-Übertragung. Vorsorglich klebe ich meine Kamera ab. Kurz vor dem Start sind wir etwa 20 Teilnehmer*innen und ich merke, dass das so ganz anders ist als ein Klick auf die nächstbeste Pornoseite. Oder als mein letzter Zoom-Call. Vielleicht hat da ja auch schon mal jemand heimlich masturbiert. War ich überhaupt schon mal an einem Ort, an dem 20 Menschen gleichzeitig ihren Höhepunkt erleben? Während dieser Gedankenspiele wächst die Zuschauer*innenzahl auf das Doppelte.
Es läuft wie folgt ab: Jordan Müller erzeugt den Live Sound, Talaya Schmid führt durch das Klangerlebnis. Die anfängliche Geräuschkulisse ähnelt der einer Galerieeröffnung oder einer gut gefüllten Bar. Das ist wegen akutem Mangel an Social Events ein bisschen traurig. Nun soll ich mir vorstellen, dass meine Nachbar*innen auch gerade mitmachen. Oh Gott, ne. Ich bin ganz froh, dass ich hier niemandem in die Augen sehen muss. Kurz darauf umgeben mich Sounds von knisterndem Feuer, Katzenschnurren und Zungenschnalzen.
Das Ganze erinnert an eine Mischung aus ASMR und autogenem Training. Schnell wird mir klar, dass hier nicht primär der Orgasmus, sondern die bewusste Entspannung und Körpererfahrung im Fokus stehen. Während Schmid ein Zwiegespräch mit ihrer Zunge hält, stöhnt es vielstimmig im Hintergrund. Ich habe derweil ein bisschen Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen: Wie ist das eigentlich sonst so mit der Self-Love in der Kunst?
Unwillkürlich muss ich an Betty Dodson denken: In den 1970er Jahren veranstaltete sie die so genannten „Bodysex Workshops“, bei denen Frauen ihren Körper erforschten und gemeinsam masturbierten. Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch Betty Tompkins „Fuck Paintings“, auf denen die Künstlerin Close-ups von (Self-)Sex darstellt.
2005 performte Marina Abramović „Seedbed“, das 1972 ursprünglich von Vito Acconci erdacht worden war: Der Künstler masturbierte unter einem Zwischenboden, über den die Galeriebesucher*innen liefen und teilte ihnen dabei durch ein Mikrofon seine sexuellen Fantasien mit. Erst kürzlich war die Ausstellung „Solitary Pleasures“ im Freud Museum in London zu sehen, die unter anderem Werke von VALIE EXPORT und Emma Talbot zeigte.
Die „Guided Group Masturbation“ ist der absolute Gegenentwurf zu „solitary“: Während es in der Kunstgeschichte sehr viel Selbstliebe zum Angucken und wenig zum Partizipieren gab, bin ich hier Teil eines angenehm anonymen, gemeinschaftlichen Vergnügens. Ich linse auf meine 48 Mitteilnehmer*innen und hoffe, dass sie Spaß haben. Und dann tauche ich endgültig ab zwischen Atmern und binauralen Beats.
“Guided Masturbation – Immersive Sculpture” performt von Talaya Schmid und Jordan Müller war eine einmalige Veranstaltung in Kooperation mit Horse & Pony“, kuratiert von Lea Schleiffenbaum und Marie DuPasquier. Die nächste Perfomance findet im Mai im Rahmen des Festivals La Fête du Slip in Lausanne statt. Über die Instagram-Accounts von Talaya Schmid und Jordan Müller bleibt ihr auf dem Laufenden.