Nägel mit Köpfchen Wenn Fingernägel zur Ausstellungsfläche werden
17. März 2021 • Text von Carolin Kralapp
Rotlackierte Fingernägel sind doch Schnee von gestern.
Da geht mehr! Wir zeigen euch, welche Vielfalt in Nail Art steckt und wie man seine eigenen Fingernägel zur Ausstellungs- und Projektionsfläche für politische Botschaften und kreative Ideen machen kann. Wir schauen auf Hang Nguyen, Texto Dallas, Sonja Yakovleva und Nadja Buttendorf.
Nagellack ist etwas, für das ich mich durchaus begeistern kann. Ich mag die kleine Extra-Lackschicht an Farbe in meinem Leben. Mal Rot, mal strahlendes Tipex-Weiß oder ein ruhiges Khaki – ich bin einigen Farben gegenüber aufgeschlossen. Wenn es “wilder” zugehen soll, darf es auch mal ein bisschen Glitzer on top sein. Mit Nail Art hat das aber recht wenig zu tun. Selbst bei einigen Besuchen im Nagelstudio – den Profis also – wurden keine großen Experimente eingegangen. So nicht bei den Nägeln, die wir uns in diesem Beitrag genauer anschauen wollen. Hier wird klar: Nail Art kann vielfältig und überzeugend sein!
Durch und durch ästhetisch geht es bei Hang Nguyen zu, die auf ihrem Instagram-Kanal verspielte Designs in allen Formen und Farben teilt. Blümchen, Smileys, Sterne und Herzen, aber auch politische Botschaften, wie “just vote” als Aufforderung zur US-Präsidentschaftswahl, sind darunter. Abstrakte, mehrfarbige Kombinationen aus Farben, Formen und Linien auf den Nägeln verstärken zudem den Eindruck, es handle sich hierbei um Miniatur-Kunstwerke. Trotzdem repräsentieren die Kreationen von Hang Nguyen wohl das, was wir am ehesten unter Nail Art verstehen oder in eben diese Kategorie einordnen würden – schön gemachte und gepflegte Fingernägel.
Doch Nail Art kann weiter gehen. Verrückter und zugegeben etwas weniger alltagstauglich sind da die verspielten Kreationen von Sonja Yakovleva, die auf ihrem Instagram-Account unter anderem aufwendig gestaltete Vulven in verschiedenen Formen und Größen präsentiert – die “Cunt Nails”, die sicherlich von niemandem mehr übersehen werden können und eine politische Dimension in sich tragen. Sie erinnern an das große Sujet der Gleichberechtigung oder Pornoindustrie, die ein unrealistisches und viel zu einheitliches Bild der weiblichen Geschlechtsmerkmale vermittelt. Wie wäre es außerdem mit den “Funghi Nails”, die tatsächlich auf Finger- und Fußnägeln aussehen wie stark ausgewachsener Nagelpilz. Ja, das ist irgendwie ein bisschen eklig. Aber auch das ist möglich.
Der französische Künstler Texto Dallas widmet seinen Instagram-Feed fast ausschließlich seiner fetzigen Nagelkunst. Die Kreationen sind eine Mischung aus seinen ganz eigenen Ideen und denen seiner Klient*innen, die mit bestimmten Visionen an ihn herantreten. Für ihn ist die Verlängerung des Fingers das zentrale Motiv in den Arbeiten. Es geht vielmehr darum, den menschlichen Körper zu erweitern, als “einfach nur den Nagel zu verschönern” und ein bestimmtes Topping draufzusetzen. Lange Krallen in Neonfarben, mit aufgesetzten Glubschaugen oder scherenartigen Auswüchsen finden hier ihren Ausdruck – präsentiert auf einem Lachsfilet oder neben verrückten Frisuren.
Ein ähnliches Potenzial sieht auch die Künstlerin Nadja Buttendorf in Nail Art. Angefangen hat alles mit der Idee der “Magnetic Nails”, wo einzelnen Nägeln ein Magnet aufgesetzt wird. In Interaktion mit anderen Menschen zieht man sich entweder an oder stößt sich ab – das eigene Körpergefühl wird auf sonderbare Art um eine weitere Ebene ergänzt. Auch Buttendorf betrachtet den künstlerischen Umgang mit Nägeln als eine Form der Körpererweiterung und vor allem als ein Ausstellungsraum, der immer wieder unterschiedlich bespielt werden kann. “Fingernägel können mehr sein als lang und bunt”, so die Künstlerin. “Antivirus Nails”, die einen vor den Bakterien des eigenen Smartphones beschützen, Fingernägel als Pendant zur Geburtstagstorte mit aufgesetzten brennenden Kerzen, “Piss Nails”, die den pH-Wert während des Urinierens feststellen oder Fingernägel, die wie ein Ausstellungsobjekt mit einer Aufhängung an die Wand genagelt und so zum gemeinschaftlichen Happening werden – den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.
Fingernägel bieten außerdem die optimale Fläche für den eigenen Protest. Wir alle kennen Plakate, die von Demonstrant*innen vor dem Besuch einer Protestveranstaltung gestaltet werden, um den eigenen Überzeugungen einen Ausdruck zu verleihen. Warum dafür nicht auch die eigenen Fingernägel nutzen und den Protest über den Demonstrationszeitraum hinaus mit sich tragen? Je häufiger man den eigenen Protest vor Augen hat, desto mehr verändert sich vielleicht auch die Beziehung zu ihm.
Eine andere Form ermöglicht auch immer einen anderen Zugang. Unsere Fingernägel funktionieren sowohl online als auch offline und können zum perfekten Ausstellungsraum unserer eigenen Ideen werden – seien es politische Botschaften oder einfach nur witziger Firlefanz. Lasst uns Nägel mit Köpfchen machen und beim nächsten Mal vielleicht nicht einfach nur zum roten Nagellackfläschchen greifen. Und Schwamm drüber, sollte euer erster Versuch als Nagelkünstler*in nicht direkt gelingen!
WANN: Nadja Buttendorfs Videoarbeit zu ihren “Soft Nails”, die sich mit jeder Bewegung verbiegen, ist derzeit noch bis zum 14. April im Paula Modersohn-Becker Museum im Rahmen der Ausstellung “Berührend. Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis” zu sehen.
WO: Paula Modersohn-Becker Museum, Böttcherstraße 4, 28195 Bremen.
Wer noch mehr zu den “Soft Nails” sehen und hören möchte, kann hier auf Youtube vorbeischauen. Jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen, kriege ich alleine beim Gedanken daran schon wieder eine Gänsehaut.