Deliziös ästhetisch
"Tutti Frutti" in der Galerie Sainte Anne

13. Juni 2023 • Text von

Die Galerie Sainte Anne gibt künstlerische Erfrischung: „Tutti Frutti. A new harvest on the classics” ist, was der Name verspricht: eine experimentelle, juicy Neuinterpretation des Fruchtstilllebens. Dabei verbindet die Ausstellung das 17. Jahrhundert mit dem Zeitgenössischen und religiöse mit konzeptuellen Gesten.

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Esquisse Sans titre 5* (2017) by Maya Inès Touam.

30 Grad Celsius Außentemperatur, im nicht mehr ganz kühlen Galerieraum der Galerie Sainte Anne glänzen die Früchte unverändert. Mit der Ausstellung „Tutti Frutti. A new harvest on the classics” zeigt die Galerie erstmals Malerei und vereint Stillleben vom 17. Jahrhundert bis ins Zeitgenössische

Im Erdgeschoss der Galerie geben sechs Arbeiten, datiert zwischen 1640 und 2023, den Charakter eines intimen Separees. Maya-Inès Touams „Retable, Délices du temps“ ist ein Tafelaltar im Stile Jan van Eycks. Das fotografische Stillleben zeigt Früchte, Blumen, Metallkelche, Textilien hängen von der oberen Kante des Bildes herab. Neben diesen klassischen Tropen finden sich afrikanische Masken, ein Baumwollstrauch, eine arabische Limonadenfalsche und ein Rugby-Ball mit Louis-Vuitton-Motiv, präsentiert à la Fabergé. Das Bild ist seltsam leer, der Prunk kommt lokal.

Touams Praxis basiert auf ihrer Erfahrung als Enkelin algerischer Einwanderer in Frankreich. In ihren Arbeiten thematisiert die Künstlerin Aspekte beider Kulturen und Fragen der Migration. Die Werke in „Tutti Frutti“ orientieren sich am Motiv der Reise und Vertreibung. Der Rugby-Ball und die Limonade scheinen seltsam ort-los, die Masken im wörtlichen Sinne fehl am Platz. Der durch Rugby-Ball und Blumenpracht dargestellte Reichtum wirkt leblos und beliebig, auf den Außentafeln des Altars sind die Blumen verwelkt. Reichtum ist unbedeutend, oder: memento mori.

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Installationsansicht “Tutti Frutti. A new harvest on the classics”, 2023, Galerie Sainte Anne, Paris.

Gegenüber gibt sich der Prunk in anderer Gestalt: „Pineapple, grapes, plums and peach on a red marble ledge“ von Jan-Frans van Dael zeigt Obst in Topform. Das Stillleben auf weißem Marmor ist ein seltenes Werk des belgischen Malers. Berühmt für seine opulenten Blumenstillleben war er ein Liebling der Kaiserin Josephine Bonaparte. Das Früchtearrangement scheint frisch drapiert, der Stiel der Ananas ist Zeichen für Frische und Reichtum. Ebenso wie der rot auf weiß gemalte Marmor.

Panfilo Nuvolones „Still life with two apples and lemon“ ist das bescheidene Gegenstück. Die drei Früchte liegen nüchtern im Raum, das Braun des Hintergrundes erinnert mehr an eine Erdlandschaft als an Marmor oder Metall. Der Stil des Bildes verweist auf römische Fresken oder Paul Cézanne. Die Ruhe der Darstellung vermittelt Nähe zum Motiv und betont den intimen Charakter des Ausstellungsraumes.

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Anastasia Finders.

Die Arbeiten im Obergeschoss gehen ins Dreidimensionale. Die Installation von Anastasia Finders ist ein überbordendes Ereignis für Augen und Sinne, bunte Stoffbahnen, Glas- und Metallkelche, Blumen und Früchte bilden eine lebensechte Version der gemalten Werke im Erdgeschoss. Die Pfirsiche duften, die Fliege fliegt, die Kirschen weisen erste Verwesungsspuren auf.

„Swoosh“ von Artur Silva ist ein nicht-definierbares Objekt zwischen Strandspiel, exotischer Pflanze, Zitronennetz und Staubwedel. Die Arbeit ist Teil der gleichnamigen Serie, welche Handelswege zwischen China und Europa und veränderte Produktionsmodelle reflektiert. Ungeachtet ihres ernsten Themas vermitteln Form und Farben der Arbeit Freude und Ironie.

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“Sacra Conversazione” by Mateo Revillo.

Wie auch das klassische Stillleben ist die Ausstellung durchzogen von religiösen Motiven. Mateo Revillos „Sacra Conversazione“ verbindet den Druck einer Mariendarstellung, mit Megafon, Pappbox und Schneckenhaus. Die ursprünglich heilige Geste des Titels und der Mariendarstellung ist ins Ironische geführt, Schecke und Megafon komplementieren sich wie Maria mit den Heiligen und die Pappbox. Der Effekt ist gleichzeitig ästhetisch und philosophisch. Revillos Arbeit „Reliquaire, citron, verre et escargot“ changiert zwischen persönlichem Reliquiar, Konzeptkunst, und Küchenregal und verbindet ebenso Mystik mit dem Profanen.

Zu Beginn und beim Verlassen der Galerie rahmen zwei Landschaften von Manuel Stehli die Ausstellung. Die Formen gleichen Sandhügeln mit einfachen Behausungen und wiederholen das Motiv der Reise, die Brauntöne korrespondieren mit Panfilo Nuvolones Stillleben im hinteren Teil des Raumes. „Untitled (hill at night 7)“ und „Untitled (hill at 8)“ sind die nötige Ruhe nach einem tutti frutti Sommertag. Wie die Ausstellung insgesamt vereinen die Bilder Reflexion und visuelles Vergnügen.

WANN: Die Ausstellung „Tutti Frutti. A new harvest on the classics” geht bis zum 18. Juni.
WO: Galerie Sainte Anne, 44, rue Sainte Anne, 75002 Paris.

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