Aufstand der Masturbatoren
Peaches im Kunstverein in Hamburg

18. September 2019 • Text von

Was haben die Menschen nicht schon alles unterjocht – ganze Landstriche, ganze Völker. Wo der Mensch Mensch ist, ist irgendwas weniger. Und im Fall von „Whose Jizz Is This?“ sind das die Masturbatoren. In der Ausstellung von Peaches Nisker wollen die „Fleshies“ genannten Dinger mehr sein als Wichsgehilfen.

DEU, Hamburg, 2019, Peaches “Whos Jizz is this?” – Ausstellung im Kunstverein Hamburg, Copyright photo: Fred Dott

Willkommen, willkommen. Heute stecken wir mal nichts in das Glory Hole. Stattdessen wandeln wir durch die Glory Hall. Die leuchtet so schön schummrig. Ein instagramable Kurzflur, der betreten werden will. Bei so viel fotogener Schummrigkeit fällt erst einmal gar nicht auf, was den Weg der Besucherin säumt. Es sind Sex-Toys – kurzhantelgroße Silikonteile mit Öffnung zu beiden Enden, einmal Vulva, einmal Lippen. Peaches Nisker hat sie Fleshies getauft. Sie spielen die Hauptrolle in der ersten institutionellen Einzelausstellung der Performance-Ikone. „Whose Jizz Is This?“ heißt die Show im Kunstverein in Hamburg. Ihr Besuch ist ein Akt der Unterwerfung.

Ein Ausstellungsraum wird abgeschritten. So ist man das gewohnt. Es gibt einen Anfang und ein Ende. Geradeaus, im Uhrzeigersinn, auch mal in die entgegengesetzte Richtung. Die Route ist vorgegeben, das Tempo darf man wählen. So hat sich das etabliert. Nicht so bei Peaches. Wer den Ausstellungsraum betritt, muss im Dunkeln erst einmal klarkommen. Licht ist mal hier, mal da. Und es wird einem auch gern mal ausgeknipst gerade in dem Moment, in dem man sich eine Arbeit näher vorknöpfen wollte. Wummernde Bässe, dann wird wo anders etwas angeleuchtet. Man kann das aushalten, im Dunkeln ausharren, bis der Scheinwerfer einem wieder wohlgesonnen ist. Oder aber man lässt sich treiben, wohin das Lichtkonzept eben führt.

Peaches: “Whose Jizz Is This?”, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2019, Foto: Fred Dott.

Peaches ist Performerin. Zu ihrem Hit „Fuck The Pain Away“ rasten noch knapp 20 Jahre später alle aus. Ihre genitalinspirierten Bühnenoutfits haben Kultstatus. Und auch wenn Peaches im Ausstellungsraum nicht zugegen ist, so tritt sie doch irgendwie immer auch ein kleines bisschen mit auf, wenn ein Farbspot eine der Installationen beleuchtet. „Whose Jizz Is This?“ ist Performance ohne Performer. Das ist spannend – erstmal. Innerhalb des Unerwarteten wird dann vieles recht erwartbar. Metallketten und Latexvorhänge – das sieht alles ganz wunderbar aus, bedient aber in pinkfarbenes Licht getaucht auch wirklich alle Klischees der Fetischkultur und zwar in einer Weise, die dem Mainstream geradeso zumutbar ist. Vulven floaten per Screen über den auf Schaumstoff gebetteten Besucher*innen, Vulven sprudeln als Fontainen. Hihi. Tuschel. Ach, die moderne Zeit.

Der Erlebnisparkour „Whose Jizz Is This?“ gewinnt wesentlich an Substanz durch die Video-Arbeit, die man hinten links in die Ecke verfrachtet hat und der man im Übrigen ruhig hätte einen etwas größeren Bildschirm oder ein etwas ansprechenderes Setting organisieren können. „I am a tool“, klagt ein animiertes Fleshie aus dem Werkzeugkasten. Und auch seine Artgenossen fühlen sich benutzt. Sie üben Empowerment mit Sätzen wie: „I can decide when and how I give pleasure!“ Die Fleshies scheinen für andere entworfen, doch jetzt wollen sie sich selbst genug sein. Unter dem Hashtag #FuckHumans rotten sie sich zusammen: „We’ve got mouthes, we’ve got tongs, we’ve got pussies – fuck humans!“

DEU, Hamburg, 2019, Peaches “Whos Jizz is this?” – Ausstellung im Kunstverein Hamburg, Copyright photo: Fred Dott

Wieder Lichthupe. Szenenwechsel. Angestrahlt ist jetzt ein Masturbatoren-Bündel auf einem Podest. Bereit für die Accapella-Nummer? „We’ll make it on our own“, singen die Fleshies. Immer wieder: „We’ll make it on our own“. Und auch wenn durch permanente Wiederholung natürlich nichts wahrer wird, so ist man doch irgendwie ganz ergriffen und wünscht den fleischfarbenen Gefährten ihr bisschen Freiheit. Nach einer Stunde mit „Whose Jizz Is This?“ ist man ganz in der Atmosphäre der Show aufgegangen. Die Ortswechsel – immer dem Spot nach – funktionieren wie selbstverständlich. Dass ein Masturbator ein Loblied auf Cindy Sherman singt, scheint nur konsequent. Die Ausstellung ist aufregend, ein körperliches Erlebnis, nicht irre klug, auf jeden Fall ein spannendes Indiz für eine ganz bestimmte Mentalität. Es ist, als sei man für die Revolution in den Club gegangen. Und draußen wird es wieder hell.

WANN: Die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ von Peaches Nisker läuft noch bis Sonntag, den 20. Oktober.
WO: Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, 20095 Hamburg

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