DOUBLE TAP #20
Urara Tsuchiya

9. April 2021 • Text von

Urara Tsuchiya ist die Meisterin der kuriosen Keramiken. Schlüppis im Schaufenster, Sex-Orgien in Schüsseln – man kann gar nicht anders, als hinzugucken. Uns verrät sie, ob sie ihre Werke erotisch findet und wie sie sich mit Arbeit die Angst vom Leib hält.

Zwei Keramikschalen von Urara Tsuchiya mit nackten Menschen, Staubsauger und Gießkanne.
Urara Tsuchiya. Installationsansicht “Der abscheuliche Kuss”, Kunstverein Dresden, 2020. Photo: Werner Lieberknecht.

gallerytalk.net: “Ach, wie niedlich“ – das war mein erster Gedanke, als ich deine Keramiken gesehen habe. Was erstmal unschuldig aussieht, ist oft sexuell aufgeladen. Würdest du deine Kunst als erotische Kunst bezeichnen?
Urara Tsuchiya: Erotisch finde ich meine Arbeiten nicht. Ich zeige gern sexuelle Fantasien und Akte, aber ich achte darauf, darauf, dass diese Szenarien nicht zu realistisch oder brutal erscheinen. Ich benutze sanfte Farben. Das Ganze soll einen Hauch von Beatrix Potter (bekannt für ihre Kinderbücher, zum Beispiel Peter Rabbit; Anm. d. Red.) und britischem Porzellan-Kitsch haben, so wie bei Figuren, die man im Haus einer alten Dame in Großbritannien finden würde. Mir ist die ästhetische Balance bei diesen Arbeiten sehr wichtig.

Da ist also kein Funken Provokation?
In letzter Zeit habe ich viel über Fetischisierung und Objektifizierung aufgrund von Race oder Gender in Großbritannien und in Europa nachgedacht. Ich glaube, diese Überlegungen spiegeln sich in meinen Werken wider. Es ist, als würde ich versuchen, in der Kunst Gegebenheiten umzuformen, die ich im echten Leben nicht verändern kann.

Keramiken von Urara Tsuchiya. Schalen und ein Baum mit nackten Figuren.
Urara Tsuchiya: “Homebound”, 2020, installation view at ADA, Rome courtesy of the artist and ADA, Rome. Photo: Roberto Apa.

Du spielst mit sexuellen Tabus. In Schalen arrangierst du Menschen mit Tieren oder Personen, die als Babys verkleidet sind. Welche Reaktionen willst du in Betrachter*innen hervorrufen? Sollen sie sich unwohl fühlen? Oder vielleicht gar inspiriert?
Ein peinlich berührtes Lachen wäre schön. Das machen doch Menschen, wenn sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen. In meinen Schalen sind die fiktionalen Charaktere genauso viel wert wie die realistisch dargestellten Personen. Vielleicht geht es mir um eine utopische Vision, in der alle gleich und glücklich sind, eine Art eskapistische Fantasie.

Du arbeitest mit unterschiedlichen Medien, Keramik, Performance oder Video. Ein einendes Element deiner Werke scheint mir eine gewisse Absurdität zu sein. Woran liegt das?
Ich bin einfach eine wirklich seltsame Person. Ich mag schwarzen Humor und schaffe gern alternative Welten.

Urara Tsuchiya. Courtesy of the artist. // Portrait of Urara Tsuchiya. Courtesy of the artist.

Im vergangenen Jahr hast du in der Galerie ADA in Rom Keramikunterwäsche im Fenster installiert. Worin besteht der Reiz, etwas jedenfalls symbolisch Intimes maximal öffentlich zu präsentieren?
Die Ausstellung bei ADA sollte das Ambiente italienischer Hausfrauen aufgreifen. Also habe ich Putzmittel, Wischmopps und Wäschekörben aus Keramik gefertigt – und eben Unterwäsche. Vorbild dafür waren Teile, die ich auf Märkten vor Ort günstig erstanden hatte. Das Fenster der Galerie sollte aussehen wie einer dieser altmodischen Unterwäscheläden, in denen noch allerlei Haushaltsutensilien verkauft werden. Der Nachbar, ein Bäcker, konnte es nicht fassen, dass das alles nicht echt war. (lacht)

Links: Unterwäschekeramiken von Urara Tscuhiya im Schaufenster von ADA, rechts: ein Badezimmer mit Putzmitteln aus Keramik.
Urara Tsuchiya: “Homebound”, 2020, installation view at ADA, Rome courtesy of the artist and ADA, Rome. Photo: Roberto Apa.

Du hast mal gesagt, dass du deine Arbeiten nicht so gern in typischen Ausstellungsräumen zeigst. Was ist dir lieber?
Die vergangenen fünf Monate über war ich in Japan. Eigentlich war geplant, dass ich da Arbeiten in einem öffentlichen Bad zeige. Aber das hat zeitlich nicht ganz hingehauen. Es sind schon ein paar Video- und Fotoarbeiten für das Projekt entstanden. Ich hoffe, einige davon werden noch in dem Bad gezeigt.

Ich habe gelesen, dass du arbeitsintensive Kunstwerke besonders schätzt. Braucht es Zeit und Mühe, um Wertigkeit zu schaffen?
Das gilt vor allem hinsichtlich Keramiken – die brauchen eben ihre Zeit. Wobei das im Grunde auch für meine Performances gilt. Ich mache alles selbst, die Kostüme, das Essen, was auch immer es braucht. Möglich, dass ich mir einfach zu viele Gedanken mache. Indem ich Zeit und Mühe investiere und handgearbeitete Elemente integriere, halte ich mir die Angst vom Leib.

Keramikschale von Urara Tsuchiya mit nackten Menschen und Staubsauger.
Urara Tsuchiya. Installationsansicht “Der abscheuliche Kuss”, Kunstverein Dresden, 2020. Photo: Werner Lieberknecht.

Zum Schluss nochmal zurück an den Anfang unseres Gesprächs und zu deinen berüchtigten Schalen: Würde es dich stören, wenn Sammler*innen daraus tatsächlich ihre Suppe löffeln?
Das kümmert mich nicht. Die gehören doch dann ihnen!

Mehr von Urara Tsuchiya gibt es auf ihrem Instagram-Account. Die Werkansichten im Artikel sind in der Ausstellung “Der abscheuliche Kuss” im Kunstverein Dresden entstanden.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.

#19 Hannah Epstein
#18 Qualeasha Wood
#17 Bianca Nemelc
#16 Peter Frederiksen
#15 Maja Djordjevic
#14 Emma Pryde
#13 Rene Wagner
#12 Erin M. Riley
#11 Lydia Blakeley
#10 Jill Senft
#9 Arno Beck
#8 Tim Berresheim
#7 Aaron Scheer
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte
#5 Andy Kassier
#4 Amber Vittoria
#3 Richie Culver
#2 Leah Schrager
#1 Esteban Schimpf