DOUBLE TAP #18
Hannah Epstein

3. Februar 2021 • Text von

Hannah Epsteins Teppichkreationen zeigen Monster und Memes sowie popkulturelle Motive aus Comics und Videospielen. Mit ihrer bunten Neuauflage folkloristischer Teppichweberei zeigt Epstein neben sehr viel Niedlichkeit und Flausch aber auch immer ein bisschen Zweideutigkeit und Grusel. Mit gallerytalk.net spricht die Künstlerin über Machtstrukturen und das Gefühl, ständig online zu sein.

Wandteppiche von Hannah Epstein. Links reitet eine Frau mit Fackel in der Hand einen Drachen, rechts eine Art Drachenkopf.
Kill Your Captors. Installation view, Steve Turner, Los Angeles, 2021.

gallerytalk.net: Deine aktuelle Ausstellung bei Steve Turner heißt “Kill Your Captors” – das ist wahrscheinlich metaphorisch gemeint?
Hannah Epstein: Nur um das klarzustellen, ich plädiere nicht für Mord. „Kill Your Captors” fordert das metaphorische Töten von unterdrückenden Kräften, die in vielen Formen auftreten können. Selbstzweifel und Angst zum Beispiel, aber auch Luxuswohnungen und Kaffee-Bestell-Apps. Hinter dem Schleier des radikalen Titels steht die Konsequenz, die folgt, wenn man seine Geiselnehmer tötet: Macht. Wer die Freiheit wählt, muss plötzlich die volle Verantwortung für alle Entscheidungen übernehmen und kann niemandem mehr die Schuld für das geben, was schief läuft. Macht ist real und kann freigeschaltet werden. Und der erste Schritt ist das Töten dessen, was uns zurückhält.

Links eine Arbeit von Hannah Epstein, ein T-Shirt auf dem steht "I'm with cancelled". Rechts ist die Künstlerin selbst in zweifacher Ausführung in dem Shirt zu sehen.

Deine Teppichkreationen kombinieren Tradition und neue Technologie. Wie können wir uns deine Arbeit am Webstuhl vorstellen? Hörst du nebenbei Podcasts oder Musik?
Definitiv! Ich mariniere durchgängig in einer Dollarstore-Tupperbox, die mit Millionen Formen von Medien gefüllt ist: Ich bin auf Reddit und Instagram, während ich den Podcast „Red Scare“ höre, H3H3 auf YouTube ansehe und, seit kurzem, an der Börse handle. Ich habe einen Laptop, auf dem ich Investitionen verfolge, und einen anderen für Filme und Fernsehen, plus mein Telefon und all den Schnickschnack. Ich bin an diese unsichtbare Welt gefesselt, die Gliedmaßen wie festgebunden, jede Gehirnzelle mit etwas anderem beschäftigt. Währenddessen hängen an dem Rahmen, den ich zum Aufhängen meiner Teppiche verwende, etwa fünfzehn verschiedene Garne. Irgendwo gibt es eine Verbindung zwischen den virtuellen und den analogen Fäden. Ein echtes Wirrwarr.

Viele bunte Wandteppiche von Hannah Epstein in der Galerie Steve Turner in Los Angeles.
Kill Your Captors. Installation view, Steve Turner, Los Angeles, 2021.

Du hast dieses Jahr eine kanadische Kirche gekauft, in der du lebst und arbeitest. Welche Rolle spielt Religiosität für dich?
Ich bin eine Mischung aus christlich-heidnisch und jüdisch, was bedeutet, dass ich mit dem Feiern von Weihnachten, Chanukka und der Wintersonnenwende aufgewachsen bin. Ich scherze manchmal, dass ich eine Hexe bin, die in einer Kirche mit einer Mezuzah (im Judentum übliche Schriftkapsel am Türrahmen, Anm. d. Red.) an der Tür lebt. Eigentlich ist das gar kein Witz. Ich bin keine Anhängerin einer bestimmten Religion, sondern eher von dem, was mein Therapeut mal als “spirituelle Wissenschaft” bezeichnet hat. Geleitet von meiner Intuition fühle ich mich im Dialog mit etwas Unsichtbarem und versuche immer zu ergründen, was das sein könnte.

Deine Arbeit “Unbridled“ erinnert an ein Altartriptychon.
Die Frau, die dort auf einem Drachen reitet, ist ein Teil von mir selbst, im Rausch der Macht, auf dem Gipfel des Energieflusses. Das sind quasi spirituelle Momente des Wahnsinns, ein Gefühl, mit dem sich viele Frauen identifizieren können. Aber die Religion und Institutionen im Allgemeinen haben es weitgehend versäumt, die Existenz und Bedeutung dieser inneren Erfahrungen anzusprechen. Galerien können eine Art Kirche zu sein, die Raum für solche Triptychen bieten.

Wandteppiche von Hannah Epstein, im vordergrund eine katzenartige Fratze.
Kill Your Captors. Installation view, Steve Turner, Los Angeles, 2021.

Beleuchtete Teppiche mit Soundeffekten, ein Lavaboden – du erschaffst in deinen Ausstellungen oft ganze Environments! Welche Art von Atmosphäre willst du in Galerieräumen herstellen?
Ja, ich liebe raumfüllende Installation, vor allem dann, wenn sie mit interaktiven Elementen versehen sind. Ich nenne sie “Gamestallations”. Auf dem Lavaboden, den du ansprichst, konnte man auf Steinen herumspringen und “Der Boden ist Lava!” spielen. Die Errichtung von Räumen, in denen die Kunstbetrachtenden zu Spieler*innen werden, ermöglicht eine andere Art, Kunst zu sehen und mit ihr zu interagieren. Ich möchte Kunst machen, die zum Handeln auffordert.

Die Arbeit „James Franco. Cumedy Genius” zeigt den Schauspieler mit seinem Penis in der Hand. Können wir in Zukunft mit noch mehr Schwanzteppichen rechnen?
Ja! Penisse sind schon immer auf meinen Teppichen aufgetaucht. Sie sind eins meiner Lieblingsthemen. Francos Darstellung wollte ich auf OnlyFans verbreiten um die Selbstausbeutung, die viele Frauen auf der Plattform betreiben, umzukehren. Anstatt meinen Körper dort zu veröffentlichen, stelle ich den von James Franco und hoffentlich vielen Weiteren zur Verfügung. Betrachtet das gerne als eine Aufforderung an eure Leser*innen, männliche Promi-Dickpics zu veröffentlichen.

Drei Wandteppiche von Hannah Epstein. Auf einem ist der Schauspieler James Franco mit erigiertem Penis zu sehen.
Kill Your Captors. Installation view, Steve Turner, Los Angeles, 2021.

In einem deiner sehr unterhaltsamen YouTube-Videos bezeichnest du dich selbst als „22nd century girl“. Was sind deine Erwartungen an das kommende Jahrhundert?
Wir sind so verliebt in digitale Technologie, dass viele von uns blind sind für die kommende Welle ihrer Nutzung für totalitäre Zwecke. Es gibt einen Diskurs, ja, aber wir befinden uns auf einem führerlosen Zug und teilen eine Vorliebe dafür, zu sehen, wie schlimm es werden kann. Das einzige, was ich über die Zukunft weiß, ist, dass die, die jetzt gerade Macht haben, eines Tages Staub und Knochen sein werden. Unvorstellbare Veränderungen sind unvermeidlich. In diesem Punkt finde ich Trost.

Die Arbeit „At the Gates of 2020″ zeigt ein Höllenszenario, ein Tor zur Unterwelt. Blicken wir in dieser Darstellung auf das letzte Jahr zurück oder in die Zukunft?
Ich denke, dass alle Toren gleichzeitig ein Kommen und ein Gehen bedeuten können. Direkt vor dem Tor steht eine weibliche Figur, die einen Speer umfasst und uns den Mittelfinger zeigt. Obwohl schon viele Schlachten geschlagen wurden, wie die Leichenberge hinter ihr zeigen, wissen wir immer, dass noch weitere bevorstehen. Das Werk fordert dazu auf, die Messer zu wetzen und sich vorzubereiten. Ihr wisst schon, das Pfadfinderinnen-Motto “be prepared” – aber mehr metal.

Mehr von Hannah Epstein gibt es auf ihrer Website oder bei Instagram.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.

#18 Qualeasha Wood
#17 Bianca Nemelc
#16 Peter Frederiksen
#15 Maja Djordjevic
#14 Emma Pryde
#13 Rene Wagner
#12 Erin M. Riley
#11 Lydia Blakeley
#10 Jill Senft
#9 Arno Beck
#8 Tim Berresheim
#7 Aaron Scheer
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte
#5 Andy Kassier
#4 Amber Vittoria
#3 Richie Culver
#2 Leah Schrager
#1 Esteban Schimpf