DOUBLE TAP #16
Peter Frederiksen

29. Juli 2020 • Text von

Peter Frederiksen macht nostalgisch. Dabei ist der Künstler sich der Gegenwart denkbar bewusst. Er stickt oldschool Cartoon-Motive und denkt dabei das Digitale mit. Mit gallerytalk.net spricht er über seinen beängstigenden Namenszwilling, Unmengen an Salz und die guten alten Zeiten, die es womöglich nie gegeben hat.

Stickerei von Peter Frederiksen. LInks: Eine menschliche Hand. Rechts: Die Hände der Cartoon-Figur Sylvester halten eine Zeitung.

Peter Frederiksen: “Took a chance, lost a bundle”. 2020, 9″x12″. Freehand machine embroidery on linen. Courtesy of UNION Gallery, London.

gallerytalk.net: Ich entschuldige mich vorab, unser Interview so zu beginnen, mache es dann aber trotzdem: Ich habe dich selbstverständlich gegooglet und dabei entdeckt, dass du einen dänischen Namensvetter hast. Dieser Peter Frederiksen hat furchtbare Gewaltverbrechen begangen. Wie lebt es sich mit dieser Situation?
Peter Frederiksen: Hahaha, oh, ich bin mir dessen SEHR bewusst. Die Geschichte tauchte erstmals in den Nachrichten auf, als ich gerade mit Online-Dating angefangen hatte. Sagen wir es mal so: Ich habe sie nicht jedes Mal als Ice-Breaker benutzt, aber immer, wenn ich es gemacht habe, hat es auch funktioniert! Gut, dass der andere Peter Frederiksen jetzt hinter Gittern ist. So habe ich die Gelegenheit, bei den Suchergebnissen an die Spitzenposition vorzurücken.

Du bist ja bereits mit meiner Vorliebe fürs Ausgraben skurriler Personen-Fakten online. Von dir zum Beispiel habe ich auch den ein oder anderen Prosatext entdeckt. Der letzte war allerdings von 2017. Schreibst du noch?
Meistens schreibe ich, wenn ich im Urlaub bin oder irgendwie sonst weg von meiner Nähmaschine. Das passiert nicht mehr so häufig, aber ich bin noch dran! Zuletzt habe ich eine Kurzgeschichte inspiriert von einer wahren Begebenheit verfasst: Die Lagerhalle von Morton Salt in Chicago war zu voll. Deswegen ist eine Wand eingebrochen und Unmengen von Salz haben sich über parkende Autos ergossen, die vom benachbarten Autohandel gerade repariert worden waren. Auf dem Dach von Morton Salt stand der Slogan „When it rains, it pours” – welch Ironie! Ich habe daraus eine Erzählung über eine Stadt gemacht, die eines Winters Salzknappheit erfährt. Alle Straßen sind zugefroren, jede Mahlzeit schmeckt fad. Hier ist der Anfang der Geschichte:

“Predictions of plummeting, biting cold resulted in a stockpile of road salt; preparations thought educated, almanacs consulted and mines mined, hard little spheres dusted in themselves were stored away in the tons; mountainous alabaster packed tight inside concrete walls for a closing chill and the collecting flakes that follow, much in the spirit of the slogan ​“When it rains, it pours”​ printed proudly on the roof of the warehouse, visible only to those in flight or from the neighboring tollway. Production of other forms halted to meet the demand presented. Popcorn would have to do without for fear of a city in snow.”

Der Künstler Peter Frederiksen trägt eine schwarze Brille und ein olivefarbenes Polo-Shirt.

Peter Frederiksen.

Welche Lektüre hat dich zuletzt bei deinem künstlerischen Schaffensprozess inspiriert?
Alles, was ich lese, fließt irgendwie in diesen Prozess ein. Ich habe kürzlich eine Sammlung von Kurzgeschichten von Ted Chiang gelesen, „Exhalation“. Eine der Geschichten ist mir besonders in Erinnerung geblieben, “The Lifecycle of Software Objects.” Es geht um virtuelle Tiere und künstliche Intelligenz – und schließlich um die Verantwortung, die all diejenigen tragen, die etwas Neues in die Welt setzen. Den Tieren wurde ihre Intelligenz von ihren Erfinder*innen aufgebürdet. In der nahen Zukunft werden sie aufgrund des technischen Fortschritts überflüssig werden. Die Geschichte ist eine schöne Würdigung lebloser Objekte. Mich hat daran das Konzept interessiert, ein altes Design zu verbessern. Was passiert, wenn etwas Altes neu erschaffen wird?

Jetzt nähern wir uns thematisch mal dem eigentlichen Grund für dieses Interview: deinen Kunstwerken. Oldschool Cartoon-Motive sind darin omnipräsent. Was fasziniert dich so daran?
Diese Cartoon-Figuren sind die Basis meiner gesamten Ästhetik. Mir gefällt, dass sich diese Bildsprache bereits in die Köpfe der Menschen eingeschrieben hat. Als Kind habe ich am Samstagmorgen wie viele andere auch immer „Looney Tunes“ mit meinem Vater geschaut. Es sind wirklich schöne Filme – handgezeichnet, farbenfroh und lustig. Sie sind Kunst, so einfach ist das. Allerdings sind diese Cartoons auch superbrutal und oft rassistisch. Man merkt, dass sie ganz offensichtlich einer anderen Zeit entstammen. Ich arbeite mit der Bildsprache des sogenannten „Golden Age of American Animation“.

Also die späten 1950er und 1960er Jahre in den USA, als viele berühmte Cartoon-Figuren entstanden, darunter Mickey Mouse, Donald Duck, Bugs Bunny, Sylvester, Betty Boop oder auch Tom und Jerry.
Genau. Der Begriff „Golden Age“ wirkt heute wie eine Provokation: Das Konzept einer vergangenen, besseren Zeit, die einen darüber nachdenken lässt, was alles hätte sein können, führt zu nichts. Die Dinge laufen nicht gut gerade. Aber es ist verrückt, zu glauben, vor 50 oder 60 Jahren wäre es irgendwie besser gewesen. Für mich ist die Cartoon-Ästhetik ein Weg mich mit dieser Idee auseinanderzusetzen.

Stickerei von Peter Frederiksen zeigt die Hand der Cartoon-Figur Sylvester, die unter einem lilafarbenen, zusammengebrochenen Flügel hervorlugt.

Peter Frederiksen: “Peril!”, 2020, 9″x12″. Freehand machine embroidery on linen.

Stickerei wird traditionell als weibliche Technik wahrgenommen. Viele Textilkünstler*innen greifen diesen Hintergrund in irgendeiner Weise in ihrer Arbeit auf. Wie stehst du zur Geschichte des Mediums?
Wenn man von Stickerei als „Frauen-Handwerk“ spricht, ist das ein Versuch, die Arbeit kleinzureden. Als sei das alles nur Deko, keine Kunst, wenn überhaupt eine niedere Kunstform. Es ist so cool, dass Sticken gerade beliebt ist. Und es gibt wirklich viele Künstlerinnen, die auf komplexe und einzigartige Weise mit dem Medium arbeiten. Ich bin ein Cis-Mann und ich sticke auch. Ich hoffe, dass es nicht so wirkt, als würde ich mir das Medium irgendwie aneignen.

Wie meinst du das?
Es wäre schön, wenn Kunstformen nichts mit Gender zu tun hätten, aber die Kunstgeschichte hat uns Gegenteiliges gelernt. Kunst von Männern wird zum Beispiel mehr Wert zugeschrieben als Kunst von Frauen oder nicht-binären Personen. In Bezug auf meine Arbeit wünschte ich, ich hätte eine bessere Antwort als: „Ich bin mir des Problems bewusst.“ Mir kommt es nicht vor, als würde ich mir eine Kunstform unerlaubt aneignen. Aber genau das ist ja die Krux: Es ist gar nicht an mir als weißem Cis-Mann, das zu entscheiden. Historisch gesehen haben wir ja nie das Gefühl, uns etwas zu nehmen, was uns nicht zusteht, und genau das ist das Problem. Ich wertschätze Stickerei als eine feminine Kunstform und ich bemühe mich, mich immer wieder aktiv daran zu erinnern, dass ich in der Tradition derer stehe, die vor mir da waren. Puh, komplizierte Antwort auf eine komplizierte Frage.

Wieso hast du denn ursprünglich mit Stickerei angefangen?
Mir hat an der Kunsthochschule mal jemand geraten, es auszuprobieren. Und dann habe ich mal einen Kurs bei einer Person gemacht, die eine wirklich großartige Stickerin war. Es hat sich einfach so ergeben. Früher habe ich gesagt, ich sei Maler und Sticker. Heute sage ich nur noch, dass ich Sticker bin. Wobei ich meine Arbeit durchaus weiterhin als Malerei begreife.

Stickerei von Peter Frederiksen. Links: ein Haus bei Nacht. Rechts: verschiedene Gegenstände auf einem braunen Holzstuhl gestapelt.

Peter Frederiksen: They’ll never be the wiser…, 2020, 8″x10″, Freehand machine embroidery on linen. Courtesy of UNION Gallery, London.

Weißt du noch, wie Keramikarbeiten vor ein paar Jahren quasi über Nacht superbeliebt wurden? Mir kommt es vor, als passiere gerade etwas Ähnliches mit Textilkunst. Woran liegt das wohl?
Ganz ehrlich? Instagram! Es gibt einfach so viele Leute, die sticken, und viele von ihnen teilen ihre Ergebnisse in sozialen Netzwerken. Diese Arbeiten werden dann von noch mehr Leuten gesehen. Aufgrund dieser hohen Sichtbarkeit des Mediums ging es verhältnismäßig schnell, Stickerei auch als legitime Kunstform zu etablieren. Und das wiederum hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen an dem Medium versuchen. Man darf auch nicht vergessen, dass Sticken nicht so teuer ist. Man kann in einen Laden gehen, einen Rahmen, Nadel und Faden kaufen und einfach anfangen. Es kennt ja jeder die Grundlagen: Ein Faden geht rein in einen Stoff und kommt wieder raus. So einfach ist das. Es hat mich wesentlich mehr überrascht, dass Keramik so angesagt geworden ist. Damit lässt sich viel schwieriger arbeiten!

Du erzielst eine ziemlich hohe Interaktionsrate auf Instagram. Was ist deine Taktik? Ich bin mir sicher, andere Künstler*innen wüssten nur zu gern Bescheid!
Ich wünschte, ich wüsste so genau, was ich da mache. Ich setze Hashtags?! Ehrlicherweise war meine Interaktionsrate vor der Pandemie nicht besonders hoch. Dann kam die Initiative „Artist Support Pledge”: Unter einem Hashtag haben Künstler*innen ihre Arbeiten angeboten, um ihr Geschäft am Laufen zu halten. Durch die Teilnahme hat man sich verpflichtet, immer wenn man fünf Arbeiten verkauft hatte, eine Arbeit von einer anderen Künstler*in zu kaufen. Ein super Konzept!

Stickerei von Peter Frederiksen zeigt eine Tür, an die eine Leiter gelehnt ist. Eine Katze entwischt soeben durch das gekippte Fenster der Tür.

Peter Frederiksen: “They’ll never be the wiser…”, 2020, 8″x10″. Freehand machine embroidery on linen. Courtesy of UNION Gallery, London.

Weil es nicht nur für Einnahmen, sondern auch für Sichtbarkeit gesorgt hat?
Genau. Darüber muss ich ein paar gute Abonennt*innen gewonnen haben. Ansonsten versuche ich, nicht zu oft zu posten, aber auch nicht zu unregelmäßig. Und ich versuche, mit den Leuten so viel wie möglich zu interagieren. Ich bin nicht irgendeine mysteriöse Figur. Wenn jemand fragt, wie ich irgendetwas gemacht habe, teile ich mein Wissen gern.

Hast du so etwas wie eine langfristige Strategie für deine Karriere als Künstler?
(lacht) Nein. Ich arbeite gerade mit verschiedenen Galerien zusammen – für mich noch neues Terrain. Ich möchte Kunst machen, die Leute besitzen wollen. Ich möchte immer bessere Kunst machen. Und ich möchte ein Künstler sein, für den sie sich interessieren. Aber wie genau einem das gelingt, ist mir ein Rätsel.

Was hast du dir denn als nächstes vorgenommen?
Ich würde gern meinen Studienkredit zurückzahlen können. (lacht) Und ich möchte mich noch mehr mit gestickter Animation befassen. Es ist wahnsinnig schwierig und braucht ewig. Aber mich amüsiert schon allein, dass ein Zwei-Sekunden-Video das Ergebnis vieler Stunden Arbeit ist. Welch herrliche Folter!

Mehr von Peter Frederiksen gibt es auf seiner Website und natürlich auf Instagram.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.

#15 Maja Djordjevic
#14 Emma Pryde
#13 Rene Wagner
#12 Erin M. Riley
#11 Lydia Blakeley
#10 Jill Senft
#9 Arno Beck
#8 Tim Berresheim
#7 Aaron Scheer
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte
#5 Andy Kassier
#4 Amber Vittoria
#3 Richie Culver
#2 Leah Schrager
#1 Esteban Schimpf