DOUBLE TAP #17
Bianca Nemelc

7. Oktober 2020 • Text von

Bianca Nelemelc malt nackte Frauen – ohne Kopf, in der Natur und aus ungewöhnlichen Perspektiven. gallerytalk.net erzählt sie, wie das Aktzeichnen sie gelehrt hat, ihren eigenen Körper zu lieben, und ob sie sich manchmal sorgt, ihre Figuren könnten fetischisiert werden.

Bianca Nemelc: Bianca Nemelc gallerytalk “She Eats What She Grows”, 48×72. Courtesy of the artist.

gallerytalk.net: Weibliche Nacktheit ist omnipräsent. Welchen Aspekt möchtest du herausstellen?
Bianca Nemelc: Ich finde, wir sollten mehr über die Verbindung von Körpern und Natur sprechen. Es muss eine gemeinsame Erzählung von beidem geben. In unserer heutigen Welt fehlt es an Räumen für Frauen, vor allem für Women of Color, in denen sie sich sicher fühlen und wachsen können. Dasselbe gilt interessanterweise für die Natur.

Ich empfinde deine Bilder als ungemein beruhigend – die Abendsonne, saftig grüne Blätter, die sachte, die Haut deiner Figuren berühren … Was macht die Interaktion von nackten Körpern und Natur so besonders?
Wir sind die Natur! Ich glaube, wenn ich nackte Figuren in dieser Umgebung male, dann regt sich ganz tief drin in den Betrachter*innen etwas, das sie vielleicht vergessen hatten. Wasser, Bäume, der Himmel – all das sind Verlängerungen unseres Seins. Der Mensch in der Natur kann den Beschränkungen unserer Gesellschaft entfliehen. Natur kann Sicherheit geben, wo sie im Alltag fehlt.

Bianca Nemelc: “Between The Mountains”, 30×30, 2020. Courtesy of the artist. // Bianca Nemelc: “Floating”, 50×50. Courtesy of the artist.

Du zeigst Frauen aus ungewöhnlichen Perspektiven – ganz anders, als man ihre Körper zu sehen gewohnt ist. Wie erarbeitest du die Posen?
Ich verbringe ziemlich viel Zeit vor dem Spiegel. Ich bewege mich hin und her, finde neue Wege, mir physisch zu begegnen. Weil ich meine Figuren immer nur vom Hals abwärts zeige, kommt es bei meiner Malerei enorm auf Körpersprache und Farbigkeit an, wenn ich in einer Arbeit ein bestimmtes Gefühl zum Ausdruck bringen möchte. Ich finde es richtig schön, wenn dabei Formen und Perspektiven entstehen, auf die ich vorher noch nicht gekommen bin. Mich fordert es auch selbst heraus in meiner Vorstellung darüber, wie weibliche Körper aussehen können oder sollten.

Wieso malst du deine Frauen eigentlich immer ohne Kopf?
Bevor ich richtig angefangen habe, zu malen, habe ich oft meinen Körper gezeichnet – vor allem meine Brüste und meinen Torso. Eigentlich war das alles, was ich gezeichnet habe. Ich habe mich so auf eine Weise kennengelernt, die es mir erlaubt hat, mich in jede Kurve und jede Falte meines Körpers zu verlieben. Keine dieser Zeichnungen hatte mein Gesicht, denn diesen Teil von mir hatte ich bereits verstanden. Als ich mit der Malerei begonnen habe, habe ich das ganz selbstverständlich übernommen – deswegen haben meine Frauen heute auch keinen Kopf. Es kommt auch nicht auf ihre Gesichtszüge an. Sie ist ein kollektiver Körper: Andere Frauen können sich in ihr wiedererkennen.

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Machst du dir manchmal Sorgen darüber, ob die Körper, die du malst, fetischisiert werden?
Früher hat mich das sehr beschäftigt. Und auch heute habe ich es immer im Hinterkopf, wenn ich male. Mir ist natürlich bewusst, dass ich nicht-weiße Körper male. Und die wird irgendjemand fetischisieren – egal, was ich mache. Ich kann das nicht kontrollieren! Ich finde, es liegt in der Verantwortung der Betrachter*innen, den eigenen Blick ein bisschen herauszufordern und es nicht bei der erstbesten Interpretation meiner Arbeit zu belassen. Die Frauen, die ich male, existieren in einer idealisierten Umgebung. Sie treiben auf dem Wasser, liegen im Schatten und zeigen sich dabei verletzlich. Diesen Moment möchte ich einfangen!

Was hast du durch das Zeichnen nackter weiblicher Körper gelernt?
Ich habe gelernt, wie mächtig und wie verschieden die Erfahrung des Frau-Seins ist. Jede einzelne Frau tritt an meine Gemälde mit ihren eigenen Erfahrungen heran. Keine zwei Geschichten gleichen sich. Die Gründe, wieso ihnen meine Arbeiten gefallen, sind völlig unterschiedlich. Das finde ich richtig cool! Ich lerne auch wahnsinnig viel über mich selbst, wenn andere mir erzählen, wie sie meine Malerei sehen.

Bianca Nemelc: “View From The Top”, 40x 30. Courtesy of the artist.

Welche anderen Darstellungen weiblicher Nacktheit inspirieren dich?
Ich liebe Fotografie. Gerade inspiriert mich die Arbeit von Laura Aguilar. Sie hat sich im Verlauf ihrer Karriere immer wieder selbst nackt fotografiert – an unterschiedlichen Orten, in der Wüste, im Flussbett. Aus meiner Sicht gelingt es ihr, genau diese Verbindung zwischen Körper und Natur einzufangen, die ich mit meiner Arbeit ausdrücken möchte. Und mich inspirieren die ganz alltäglichen Fotos, die in meinen Social-Media-Feeds aufploppen: Frauen, die stillen, die Kinder zur Welt bringen. Für mich ist das ein Zeichen der Kraft des weiblichen Körpers. Das bringen die damit verbundenen Posen zum Ausdruck. Eine Mutter, die ihre Brust in der Hand hält oder kniet, in Begriff zu Gebären. Mich inspirieren die Schönheit und die Geschichten hinter Bewegungen wie diesen.

Mehr von Bianca Nemelc gibt es auf ihrer Website und natürlich auf Instagram.

In unserer Interview-Reihe DOUBLE TAP zeigen wir euch, in welche Instagramer wir uns beim Scrollen im Bett verguckt haben.

#16 Peter Frederiksen
#15 Maja Djordjevic
#14 Emma Pryde
#13 Rene Wagner
#12 Erin M. Riley
#11 Lydia Blakeley
#10 Jill Senft
#9 Arno Beck
#8 Tim Berresheim
#7 Aaron Scheer
#6 Louis-Philippe van Eeckhoutte
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