Kunst auf den Gleisen
"16 Hintergleisflächen" von Stefan Marx im U-Bahnhof Hansaplatz

25. Januar 2024 • Text von

Berlin bietet nach wie vor einen fruchtbaren Boden für kreative Ideen: Mit Grotto Berlin hat sich eine neue Initiative gegründet, die das Hansaviertel als Kulturstandort beleben und etablieren will. Mit der Ausstellung “16 Hintergleisflächen” von Stefan Marx legt sie einen fulminanten Start hin und bringt Kunst in den öffentlichen Raum, in den U-Bahnhof Hansaplatz, und stärkt den barrierefreien Zugang zur Kunst.  

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GROTTO Berlin.

Das Berliner Hansaviertel lässt die Herzen von Architekturliebhaber*innen höherschlagen, so ist es doch eine Ikone der modernen Architektur und Stadtplanung der 1950er Jahre. Abgesehen von der Akademie der Künste, die neben Berlin Mitte auch hier ihren Sitz hat, und dem GRIPS Theater ist das Viertel rund um den U-Bahnhof Hansaplatz, das im Rahmen der Bauaaustellung “Interbau” entstanden ist, heutzutage nicht gerade für sein Kunst- und Kulturangebot bekannt. Bis jetzt!

Leonie Herweg, die Kuratorin hinter Grotto Berlin, hat jüngst die leerstehende Ladenfläche des Bürgervereins des Hansaviertels bezogen, die nach Abschluss der Renovierungsarbeiten im Februar für das Publikum geöffnet werden soll. Das erste Ausstellungsprojekt der neu gegründeten Initiative ist bereits seit dem 6. Januar zu sehen: Wo sonst riesige Werbebanner hängen, schmücken noch bis Ende des Monats die “16 Hintergleisflächen” von Stefan Marx die U-Bahnstation Hansaplatz. Die schwarz-weißen Plakate mit den tanzenden Buchstaben werben um die Aufmerksamkeit der Wartenden und Reisenden.

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Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, 2024, GROTTO Berlin.

Im Gespräch mit gallerytalk.net bezeichnet Leonie Herweg das Hansaviertel liebevoll als “Disneyland der Moderne”, das zwar auf den ersten Blick trist erscheint, jedoch viel Potenzial bietet. Obwohl Kulturräume so dringend gebraucht werden in Berlin, stehen hier viele Räumlichkeiten leer. Grotto, das italienische Wort für “Höhle”, das von der Künstlerin Hannah Sophie Dunkelberg als Name vorgeschlagen wurde, versteht sich als Ort der Fantasie und Kreativität, als eine noch kleine, aber wachsende “urbane Höhle”. Mit dem selbstfinanzierten Projekt “16 Hintergleisflächen” bringt Grotto nun Kunst in den öffentlichen Raum, direkt zu den Menschen – kostenlos und fast rund um die Uhr zugänglich. Raus aus der elitären Bubble und mitten rein ins Stadtgeschehen.

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Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, 2024, GROTTO Berlin.

Stefan Marx, der mit seinen typografischen Arbeiten bereits international bekannt geworden ist, in Berlin aber bisher noch wenig ausgestellt hat, hat für seine “16 Hintergleisflächen” zunächst Tuschezeichnungen im Format 26 x 36 angefertigt. Diese wurden eingescannt, vergrößert und schließlich auf die großen Leinwände übertragen, die sonst von Draussenwerber an Werbepartner vergeben werden. Der Künstler, der sonst vor allem in englischer Sprache arbeitet, bringt hier Satzfragmente und Gesprächsfetzen in verschiedenen Sprachen auf die Leinwand – japanisch, ukrainisch, vietnamesisch, arabisch, englisch, deutsch. Eine Vielsprachigkeit, die im öffentlichen Raum und gerade in Berlin durchaus Sinn macht, ist hier im U-Bahnhof versammelt.

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Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, 2024, GROTTO Berlin.

Der U-Bahnhof Hansaplatz, durch den die U9 fährt, ist in das denkmalgeschützte Ensemble integriert und bietet zahlreiche offene Sichtachsen. Die monochromen Arbeiten von Stefan Marx fügen sich einerseits durch ihre Großflächigkeit und Farbigkeit optisch in den urbanen Untergrund ein, stellen andererseits aber auch einen Bruch auf den gefliesten Wandflächen der U-Bahnstation dar. Sie ergänzen die Transitsituation, die entsteht, wenn man den Hansaplatz durchquert. Parallel zur Ausstellung im Untergrund wurde eine Postkarten Edition aufgelegt, die in kürzester Zeit ausverkauft war.

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Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, 2024, GROTTO Berlin.

Die Textfragmente von Stefan Marx beschreiben nichts Konkretes, eher einen flüchtigen Moment im Vorübergehen. Sie können der Beginn einer Assoziationskette sein oder einen Impuls zum Nachdenken geben. Mit Musik in den Ohren vor den ukrainischen Worten “I’m here to sing you songs/ Ich bin hier um dir Lieder zu singen” stehen oder beim Warten auf die nächste U-Bahn mit den japanischen Worten “Danke dir fürs Warten” konfrontiert werden. Kurz bevor die nächste Bahn den Tunnel durchquert, wird eine gute Nacht gewünscht oder den falschen Plänen ab sofort abgeschworen. In einer Großstadt wie Berlin, wo täglich tausende Menschen den Untergrund passieren, im Schnelldurchlauf die Bahnen wechseln und in ihren eigenen Gedanken versunken durch die U-Bahnhöfe stapfen, verändern die 16 Plakate den Blick auf das Alltägliche, bieten neue Perspektiven und einen kurzen Moment des Innehaltens in einer schnelllebigen Transitsituation an.

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Stefan Marx, 16 Hintergleisflächen, 2024, GROTTO Berlin.

Grotto Berlin lädt das Publikum ein, das Hansaviertel abseits der bekannten Kunst-Hotspots der Stadt zu erkunden und mit Kunst in Berührung zu kommen – ohne Druck, ohne Barrieren, ohne Eintritt. Die Initiative verfolgt einen demokratischen Ansatz und bringt die Kunst zu den Menschen, nicht umgekehrt. Die Ausstellung “16 Hintergleisflächen” ist ein Angebot, mit offenen Augen durch die U-Bahnstation zu flanieren und die Arbeiten auf sich wirken zu lassen. Es werden jedoch keine Erwartungen an die Besucher*innen gestellt. Man darf gespannt sein, welche Projekte von Grotto uns als nächstes überraschen werden.

WANN: Die Ausstellung ist nur noch bis Mittwoch, den 31. Januar zu sehen.
WO: U-Bahnhof Hansaplatz / GROTTO Berlin, Bartningallee 5, 10557 Berlin.

Die Finissage findet am Mittwoch, 31. Januar, ab 19 Uhr mit einem Vortrag von Stefan Marx über seine Künstlerbücher in der Hansabibliothek statt. Anschließend ist die Ausstellung ein letztes Mal in der U-Bahnstation zu sehen.

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