Souvenirs im Kopf
Hannah Sophie Dunkelberg im Kunstraum Potsdam

11. September 2021 • Text von

Hannah Sophie Dunkelberg zeigt im Kunstraum Potsdam ihre Solo-Show “L’Esprit Nouveau”. Ihre skulpturalen Arbeiten ziehen sich als Gesamtinstallation durch die großen Ausstellungsräume. Ganz subtil spielen sie mit ihrer Umgebung und den Betrachtenden. Wir haben mit der Künstlerin über die Entstehung ihrer Werke und eine ironische Nacherzählung der neu zu schreibenden Kunstgeschichte gesprochen. (Text: Pola van den Hövel)

Hannah Sophie Dunkelberg: “L’Esprit Nouveau”, Installationsansicht. Kunstraum Potsdam, 2021. Courtesy of the artist. Foto: Marjorie Brunet Plaza.

gallerytalk.net: Im Kunstraum Potsdam eröffnet heute deine Solo-Show „L’Esprit Nouveau“. Wie fühlst du dich eigentlich vor Ausstellungen? Macht sich da auch sowas wie Lampenfieber breit?
Ich freue mich, zu sehen, wie die Arbeiten jetzt ihr eigenes Leben führen, auch wenn es schwer ist, sie loszulassen. Es ist auf jeden Fall ein unwirkliches Gefühl.

Was würdest du gerne etwas ändern am Kunstmarkt oder an Kunstwelt allgemein?
Eine Kunstwelt, die ohne Markt funktioniert, das wäre doch das Paradies oder nicht?
Dass der Markt vor allem weniger die institutionellen musealen Ausstellungen bestimmt und KuratorInnen und Ausstellungshäuser frei von Trends und Trendsettern sowie Markt agieren und denken.

Wie bist du überhaupt zur Kunst gekommen? Gab es da einen turning point für dich?
So einen besonderen Moment gab es nicht direkt. Was ich jetzt tue, habe ich schon immer gemacht – nur in anderen Kontexten. Ich habe Philosophie und Illustration in Hamburg studiert und gleichzeitig bei einer großen Zeitung gearbeitet. Ich war ein bisschen schockiert über den Alltag dort: Alle schreiben Headlines ab und wollen die ersten mit Informationen sein. Das hat etwas in mir ausgelöst. Ich habe gemerkt: “Wow, so funktioniert die Menschheit. Alle wetteifern und wollen die ersten sein.” Da dachte ich, dass es das nicht gewesen sein kann. Also habe ich angefangen, zusätzlich Kunst zu studieren.

Hannah Sophie Dunkelberg. Foto: Marina Hoppmann. // Hannah Sophie Dunkelberg: “L’Esprit Nouveau”, Installationsansicht. Kunstraum Potsdam, 2021. Courtesy of the artist. Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Wie fängst du denn mit deinen Arbeiten an? Beginnst du oft mit einer kunsthistorischen Recherche, bevor deine Werke entstehen?
Das ist von Arbeit zu Arbeit unterschiedlich. Ich habe das Gefühl, das passiert einfach. Ich entspanne mich, lehne mich zurück und mache Notizen. Skizzen von Dingen, die geschehen. Für meine Reliefs, die eine Abformung oder Wiederholung von Zeichnungen sind, ist eine tatsächliche Skizze der Ausgangspunkt, vergrößerte hieroglyphenartige Gesten, Formzitate aus unserer Umgebung. Ich notiere mir aber auch mindestens genauso viele Worte. In meinem Buch steht beispielsweise als letztes geschrieben “Baumorange” und “Hellgraulila”. Ich glaube, an dem Tag hatte es geregnet und die sommergetrockneten Stämme der Kiefern schienen auf einmal in diese Farbe getaucht. Der Zugang ist also meist irgendein banales Ding oder ein Zustand, der mich überrascht, den ich in eine andere Form bringen möchte. Wie Souvenirs, die in meinen Gedanken kreisen.

Was für Arbeiten zeigst du im Kunstraum Potsdam?
Es werden sechs neue Werkgruppen gezeigt, hauptsächlich skulpturale. Alle Arbeiten, wie zum Beispiel Lampen, eine Ofenskulptur oder Art Car Modelle, sind im letzten halben Jahr entstanden. Auch Reliefs, die ich zeige, sind von anderer modularer Art. Ich freue mich, dass es durch die Größe der Räume eine Möglichkeit gab, eher skulpturale Sachen zu erarbeiten und diese in einer Gesamtinstallation zu zeigen.

Kannst du uns mehr zum Titel der Ausstellung erzählen?
Ich habe der Ausstellung den Titel “L’Esprit Nouveau” gegeben, also „Der neue Geist“. Der Titel ist bezogen auf ein Magazin, das zwischen 1920 und 1925 von Le Corbusier und Amédée Ozenfant herausgegeben wurde. In diesem haben sie ihre Ideen über den neuen Geist in Architektur, Musik und Literatur publik gemacht. Ich benutze den Titel mit einem Augenzwinkern. Der Mensch wetteifert darum, modern und neu zu sein und den neuen Geist zu beschreiben. Das ist ja auch in der Kunst ziemlich oft so. Vielleicht ist es auch eine ironische Nacherzählung der neu zu schreibenden Kunstgeschichte.

Ein kleines buntes Rennauto vor blau-weißem Hintergrund.
Hannah Sophie Dunkelberg: BMW Artcar Hilma af Klint 3.0 CSL 1976″, 2021, 32 x 12 x 9 cm. Foto: Andrés Galeano.

Bei den Art Cars oder dem „Milchmädchen“ ist ein deutlicher Bezug zur Weiblichkeit zu sehen. Und auch bei deinen Sofas, die sich auf Ohnmachtsliegen beziehen, welche im 19. Jahrhundert extra für Frauen entworfen wurden, die angeblich Schwächeanfälle erlitten. Was für eine Rolle spielen Frauen denn generell in deinen Arbeiten?
Zunächst ist das meine angeborene Perspektive, aus der heraus ich die Welt erfahre und betrachte. Vielleicht fiel mir zum Beispiel daher auf, dass im Garten des Glienicker Schlosses eine Skulptur steht, die schon längst zu einem wiederholten Symbol geworden ist und oft kopiert wurde. „La Laitière“, das Milchmädchen, das eine Fabel von Jean de La Fontaine illustriert. Es geht um eine Frau, die zu viel von der Freiheit träumte und dabei einen Milchkrug zerbrach. Bekümmert und traurig über ihren zerbrochenen Milchkrug und dabei aber für alle Betrachtenden zum Vergnügen wenigstens mit einer entblößten Brust dargestellt sitzt die Frau gebeugt und lasziv posierend auf einem Stein im Garten. Diese Art eines Idealbildes der Frau ist mir oft aufgefallen: melancholisch bekümmert, unterworfen, schwach und sexy. Ich war dabei, eine menschengroße Vase für den Skulpturengarten der Villa Schöningen zu schweißen, die gegenüber des Glienicker Schlosses gelegen ist, als ich diese Skulptur entdeckte. Ich gab meiner sehr aufrechten und sich selbst bewussten, etwas wilden und metaphorisch gesprochen gefüllten Vase den Namen „La Laitière“. Die beiden Skulpturen stehen nun jeweils vom Wasser getrennt in einer Blickachse.

Für wen stellst du eigentlich aus?
Spannende Frage. Ich habe das letzte halbe Jahr über diese Arbeiten entwickelt. Man macht das so selbstverständlich und am Ende gibt es eine Ausstellung. Was bedeutet das überhaupt? Erstmal nichts, ehrlich gesagt. Ausstellen heißt ja auch, die Arbeiten zu „ex“-ponieren, sie aus einer Situation herauszutragen und in eine andere zu bringen. Ich glaube, das ist einfach notwendig, damit die Arbeit durch andere Blicke geformt und gezähmt, kontextualisiert und auch etwas abgenutzt wird. Die eigenen Arbeiten kommen in einer Ausstellung an einem Ort zusammen und tauschen sich erstmal aus. Nicht nur die Arbeiten untereinander, sondern auch mit allen Besuchenden und allem anderen, was es auf der Welt gibt. Das muss aber nicht unbedingt über eine Ausstellung funktionieren. Es gibt ja verschiedene Arten, seine Arbeiten in die Welt zu tragen. Was daraus wird, kann man vorher nicht wissen. Exponieren kann viele Formen haben, nicht nur das Ausstellen.

Hannah Sophie Dunkelberg: “L’Esprit Nouveau”, Installationsansichten. Kunstraum Potsdam, 2021. Courtesy of the artist. Foto: Marjorie Brunet Plaza.

Was gibt dir als Künstlerin denn die Form der Ausstellung? Ändern sich deine Arbeiten dadurch nochmal?
Ich habe und hatte immer das Gefühl, Kunstwerke verändern sich mit der Zeit, manchmal innerhalb weniger Tage, manchmal innerhalb von Sekunden, dann wieder nach Jahren, die man mit ihnen verbringt. Ich dachte das zumindest. Aber wahrscheinlich ist es andersherum. Man verändert sich selbst bei der Betrachtung. Das finde ich überraschend, befriedigend und manchmal verstörend.

Welche Ausstellung aus der letzten Zeit ist dir selber noch sehr präsent?
Mir ist noch total präsent, wie die Abendsonne bei der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie über ihre pompöse Terrasse glitt und lange Schatten des Who-is-Who aus Berlin formte. Im Kellergeschoss gab es nach langer Zeit bekannt-beeindruckende Gemälde der Sammlung zu sehen, was ich als besonderes Geschenk empfinde. Darunter auch Werke von Leonor Fini und Lotte Laserstein. Für viele weitere Künstlerinnen mussten aber anscheinend die Infotafeln ausreichen, um ein gewolltes Gleichgewicht zu den viel gezeigten Kunstwerken der männlichen Künstlerkollegen zu schaffen. Gibt es bei einem Umbau von über 100 Millionen Euro nicht genug Geld, auch die tollen Meisterinnen der damaligen Zeit in die Sammlung mit aufzunehmen und zu zeigen? Wäre das nicht wichtiger, als die perfekt gebügelte Gardine zu zeigen?

WANN? Die Ausstellung “L’Esprit Nouveau” eröffnet am heutigen Samstag, den 11. September, von 12 bis 19 Uhr. Sie ist bis Sonntag, den 10. Oktober, zu sehen.
WO? Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse 4D, 14467 Potsdam.

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