Liegestuhl vor Luftschloss
"This Must Be The Place" in der Villa Schöningen

5. Juli 2021 • Text von

Es war einmal … ein Skulpturengarten. Die von der Villa Schöningen und Ruttkowski;68 konzipierte Outdoor-Ausstellung „This Must Be The Place“ nimmt das Thema Märchen zum Ausgangspunkt. Zwischen Birken und Blutbuchen stößt man auf allerlei fabelhafte Gestalten – und wenn kein Schauer ausgebrochen ist, lustwandelt man noch heute.

Im Vordergrund sitzt Jenny Brosinskis Skulptur eines Einhorns, das sich die Augen zuhält. Im Hintergrund ist Stefan Marx' Transparent mit der Aufrschrift "I Need Another Year Alone" zu sehen.
Jenny Brosinski: I was looking at all the life, 2019 / Stefan Marx: I Need Another Year Alone, 2021 © Villa Schöningen, Foto: Noshe, 2021. Courtesy the Artists and Ruttkowski;68.

Wem die Ausstellungsorte in Berlin nach Monaten der Pandemie zu voll sind, der kann ein paar Kilometer außerhalb der Hauptstadt ein weitaus entspannteres Programm genießen: Im Garten der Villa Schöningen kann man nicht nur im Freien und mit viel Abstand Kunst betrachten, sondern sich auch durch das Terrain von UNESCO-Weltkulturerbe bewegen, zu dem die Grünanlage des im italienischen Villenstil gebauten Hauses zählt. An diesem ohnehin schon märchenhaften Ort haben Sonia González, seit 2020 Direktorin der Villa Schöningen, und Nils Müller, Galerist und Gründer von Ruttkowski;68, nun die Ausstellung „This Must Be The Place“ kuratiert. Sie setzt der romantischen Umgebung ein zeitgenössisches Sahnehäubchen auf und sorgt für einen fabelhaften Parcours an der Glienicker Brücke.

An einer Eiche hängt Hoda Tawakols Arbeit "LURE #22", die an einen riesigen Köder erinnert. Im Hintergrund ist Tom Volkaerts Skulptur eines gigantischen Pilzes zu sehen.
Hoda Tawakol: LURE #22, 2021 / Tom Volkaert: The biggest mushroom in the field is not always the most potent (but it cooks damn fine pasta), 2021 © Villa Schöningen, Foto: Noshe, 2021. Courtesy the Artists and Ruttkowski;68.

Auf einem verschlungenen Pfad begibt man sich auf den Weg durch den weitläufigen Garten der Villa, vorbei an knorrigen Eichen, Blutbuchen und Birkenhainen. Ganz natürlich fügt sich eine blumenähnliche Skulptur von Anton Alvarez in ihre Umgebung ein, die auf ansehnliche Art und Weise aus der Form geraten zu sein scheint. Der riesige Querschnitt eines giftig aussehenden Pilzes stellt sich einem in den Weg. „The biggest mushroom in the field is not always the most potent (but it cooks damn fine pasta)“ lautet der Titel des überwältigenden Fungus von Tom Volkaert, der gleichzeitig auch eine hervorragende Moral am Ende eines modernen Märchens sein könnte.

Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende? Nicht, wenn es nach Stefan Marx geht: Seine Arbeit „I Need Another Year Alone“ steht der trauten Zweisamkeit, wie sie in Märchen gerne propagiert wird, konträr entgegen. Der Künstler bringt mit dem Stoffbanner auf den Punkt, was viele Menschen nach über einem Jahr Quarantäne vermissen – Abstand und Ruhe. Im Garten der Villa Schöningen findet man beides. Idyllisch fügt sich Marx‘ Werk in die Obstbaumwiese ein, die noch aus der Zeit stammt, in der hier ein DDR-Kinderwochenheim stand.

Auf einer Lichtung steht eine gigantische Hüpfburg, die Antwan Horfee mit Graffiti besprüht hat.
Antwan Horfee: Something About Cowboy Boots, 2021 © Villa Schöningen, Foto: Noshe, 2021. Courtesy the Artist and Ruttkowski;68.

Ein paar Meter weiter trifft man auf Antwan Horfees Hüpfburg, die der Künstler im Garten mit Acrylfarbe besprüht hat. Das sensible Luftschloss ist so zur urbanen Festung geworden und zeigt seine wilde Seite. Wie nach einer ausschweifenden Party wirkt es etwas ramponiert, nur vom gleichmäßigen Pusten des Gebläses am Leben erhalten. Ein gigantisches Spielzeug für Erwachsene, das den kindlichen Wunsch weckt, selbst eine Runde zu hüpfen. Apropos Kindertraum: Ganz in der Nähe sitzt ein grünes Einhorn der Künstlerin Jenny Brosinski und hält sich die Augen zu. Ein Versteckspiel? „I was looking at all the life“ lautet der Titel der Bronzearbeit und lässt vermuten, dass das Fabelwesen genug von seiner Umwelt hat.

In einer großen Eiche schwingt Hoda Tawakols Arbeit „LURE #22“ hin und her. Die Textilskulptur ähnelt formal einem riesigen Tierkadaver und ist einem Köder nachempfunden, der den Jagdinstinkt von Falken trainieren soll. Als Objekt der Begierde glitzert und dreht sich das Werk im Wind. Assoziationen von Jäger und Beute, Verlangen und Kontrolle kommen einem in den Sinn. Die starke Körperlichkeit lässt an menschliche Körper denken, die lüsternen Blicken ausgesetzt sind. Kann man das Wilde zähmen oder domestizieren, wie den bösen Drachen in einigen Märchen? Oder nehmen solche Geschichten kein gutes Ende?

Auf einer Wiese sitzt eine Einhorn-Skulptur, die sich die Augen zuhält. Eine Arbeit von Jenny Brosinski.
Jenny Brosinski: I was looking at all the life, 2019 © Villa Schöningen, Foto: Noshe, 2021. Courtesy the Artist and Ruttkowski;68.

Und auch Stefan Strumbel thematisiert mit seinen Skulpturen das Verhältnis von Tier und Mensch und dessen Eingriffe in die Natur. In welcher Beziehung stehen beispielsweise die silbern glänzende Vogelscheuche und das kleine Bambi? Beschützt oder bedroht die Strohpuppe das scheue Reh? An diesem Punkt wird nicht nur der spannende Bezug der Werke aufeinander deutlich, sondern auch die interessante Mehrdeutigkeit aller präsentierten Werke.

Im Garten der Villa Schöningen haben González und Müller ein harmonisches Ensemble von Arbeiten erschaffen. Die diversen Anknüpfungspunkte, die die Ausstellung bietet, schlagen sich auch im Publikum nieder: Menschen aller Altersgruppen lustwandeln durch den Skulpturengarten. Anders als im Märchen dürfen, nein, sollen die Wege durch den historischen Park übrigens verlassen werden. Einladend stehen Liegestühle auf der Wiese, Picknickdecken können ausgeliehen werden – oder man wagt eine Runde Stand-Up-Paddling im benachbarten See. Ein bisschen Paradies gefällig? This must be the place!

WANN: Die Ausstellung “This Must Be The Place” wird den gesamten Sommer lang zu sehen sein. Am 23. Juli startet die Eventreihe „Aperol’n Art“ mit Kuratorinnenführung und DJ-Sets. Infos zu allen Veranstaltungen gibt es hier.
WO: Villa Schöningen, Berliner Straße 86, 14467 Potsdam.

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