Das Mythische im Alltäglichen
Thomas Demand im Jeu de Paume

22. Februar 2023 • Text von

Man taucht ein in eine Masse von riesigen rosafarbigen Kirschblüten und verliert sich in großformatigen Fotografien nachgebauter Waldlichtungen wie Grotten. Mit Bildern scheinbar unberührter Natur und von Katastrophen zerstörter Landschaften hinterfragt der deutsche Künstler Thomas Demand in seiner Ausstellung “Le bégaiement de l’histoire” im Pariser Museum für zeitgenössische Fotografie Jeu de Paume geläufige Vorstellung von Wahrhaftigkeit und scheinbarer Wirklichkeit.

Foto einer Grotte aus Papier
Thomas Demand, Grotte, 2006 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023.

Es sind rosafarbene Blüten vor einem tiefblauen Himmel. Schon von außen, beim Blick durch die großen Glasfenster des Pariser Museums Jeu de Paume im Tuileriengarten fällt die intensive Farbigkeit der sich über mehrere Stockwerke ziehenden Tapete mit dem Blütendruck direkt ins Auge. Für “Hanami”, die erste großformatige Wandtapete, die der Künstler schuf, kreierte Demand eine unzählige Anzahl an japanischen Kirschblüten aus Papier. Der Titel nimmt Bezug auf den traditionellen japanischen Brauch, den vergänglichen Charakter der Schönheit und des Lebens zu würdigen, indem man die Kirschblüte dort während ihrer kurzen Blütezeit im Frühling feiert. 

Als Eingangswerk zu seiner Einzelausstellung “Le bégaiement de l’histoire”, übersetzt so viel wie das “Stottern der Geschichte”, bereitet diese Form an immersiver Architektur inhaltlich und formell auf die kommenden Räume vor. Demand lenkt unseren Blick, unsere Aufmerksamkeit auf die scheinbar banalen Realitäten, die uns umgeben. Genauso lässt die Inszenierung der Werkschau mit dem Anbringen verschiedener Tapeten, die die thematischen Aussagen seiner großformatigen Fotografien untermalen, den Eindruck von Theatralik und Immersion verstärken. 

ThomasDemand Daily Gangway JeudePaume
Thomas Demand, Daily #22, 2014 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023. // Thomas Demand, Gangway, 2001 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023.

Man taucht ein in eine besondere Welt, wird eingenommen, verspürt Freude, assoziiert die Kirschblüten-Tapete automatisch mit positiven Gefühlen. Diese Beschwingtheit wird direkt im ersten Raum der Ausstellung aufgelöst. Sie ändert sich, wird ersetzt durch eine Empfindung von Beklemmung und Unbehagen. Gruppiert sind die Werke unter dem Titel “Unheimliche Geschichten”, die Wände ausgekleidet mit einer Tapete, die eine Reihe von “Locker”, von Schließfächern in gräulicher Farbe zeigen, die dem Raum seine enge Wirkung verleihen. Großformatige Fotografien wie “Gangway” (2001), welche die Flugzeugrampe zeigt, die Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Berlin hinabstieg oder “Kontrollraum / Control Room” (2011), die Nachbildung des Handyfotos eines Technikers der Tokyo Electric Power Company vor dem Verlassen des Kontrollraumes des Kernkraftwerks in Fukushima nach dem Tsunami in Japan 2011.

Kontrollraum aus Papier
Thomas Demand, Kontrollraum / Control Room, 2011 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023.

Thomas Demand, 1964 in München geboren, baut seine Bildinhalte in einem 1:1-Format als dreidimensionales Papiermodell nach, fotografiert es anschließend und zerstört es. Gewählte Geschichten oder Bilder werden so zu einem Faksimile von Episoden, die man erkennt aber doch nicht wiedererkennt. Es ist dieses Spiel von Wahrhaftigkeit und echter Realität, die den Reiz von Demands Fotografien ausmachen. Werke, die es ermöglichen, den Raum für Interpretation zu öffnen und um das Geschehene seine eigene Geschichte spinnen lassen. 

Es ist gerade das Auslassen, das Eliminieren jeglicher Spuren, die auf ein Leben, auf das Eingreifen von Menschen hinweisen könnten, das Demands Fotografien ihre besondere Aussagekraft verleiht. Nicht nur die Intention, die den Blick auf Nebensächlichkeiten, wie die herunterhängenden Konsolen an der Decke des Kontrollraumes lenkt, sondern auch ihre unheimliche Komponente, die Fragen nach dem Vorgang des abgebildeten Geschehens aufkommen lassen.  

Thomas Demand, Kinglet, 2020 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023.

Wie Demand kürzlich in einem Interview mit dem französischen Magazin “Numéro” erklärte, versuche er jegliches “(…) Anekdotische aus dem Bild zu entfernen. (…) Ich versuche, einen bestimmten Moment zu schaffen, in dem eine Person potenziell an einem Ort ankommen könnte oder in dem eine andere Person ihn gerade verlassen hat.” Das Herunterbrechen der realen Umstände und der Fokus auf die Umgebung verweist ebenfalls auf die Austauschbarkeit der schieren Masse von Medienbildern, mit welcher wir jeden Tag auf unseren Bildschirmen oder in der Tagespresse konfrontiert werden. 

In der oberen Etage zeigen sich die Werke deutlich heller, positiver, die anfängliche Beschwingtheit setzt wieder ein. Neben den “Dailies”, die hier betitelt sind als die “The Mysteries of Everyday Life”, in denen der Künstler so manche Absurdität des Alltags wie einen leeren Frozen Yogurt-Becher gekonnt in Szene setzt, präsentiert Demand seine farbenfrohen Papiermodell-Studien, in welchen er seine eigene Praxis und die Arbeit auf beziehungsweise mit Papier, welches die Basis seiner Tätigkeit darstellt, thematisiert.

Fotografie von Seerosenblättern
Thomas Demand, Pond, 2020 © Thomas Demand, Adagp, Paris, 2023.

Am Ende der Ausstellung fällt der Blick auf ein Bild, das Monets Seerosen aufgreift. Nicht nur ist dies eine Hommage an die Kunst eines der größten Malers des 19. Jahrhunderts, sondern auch eine direkte Anspielung auf die neben dem Jeu de Paume liegende Orangerie, in der sich Monets weltbekannte “Nymphéas” befinden. Demand reiht sich damit in die Reihe bedeutender Künstler ein – dies sei ihm gegönnt, denn die Ausstellung im Jeu de Paume, die fast schon den Charakter einer Retrospektive besitzt, verdeutlicht das handwerkliche Können des Skulpteurs und Fotografen und zeugt gleichzeitig von seiner Fähigkeit, uns auf ästhetische Weise mit den großen Sujets unserer Gegenwart zu konfrontieren.

WANN: Die Ausstellung “Le bégaiement de l’histoire” läuft bis Sonntag, den 28. Mai.
WO: Jeu de Paume, 1 Pl. de la Concorde, 75008 Paris.

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