Die Party ist vorbei
Richie Culver und Umut Yasat bei GNYP

15. Juni 2023 • Text von

Wenn Richie Culver und Umut Yasat zusammen ausstellen, erwartet man ehrliche Emotionen, Hochstapelei und auch ein bisschen Chaos. Tatsächlich hängen die Luftballons in der Galerie GNYP auf Halbmast. Doch in der Ausstellung “The Path of Least Resistance” herrscht alles andere als Katerstimmung.

Umut Yasat: Der Stapel 87, Courtesy of the artist and GNYP, Berlin. Photo: Ludger Paffrath.

Eine Duo-Show mit Werken von Richie Culver und Umut Yasat, das ist, als würde man zwei rebellische Kinder zusammen in ein Zimmer sperren: Beide Künstler sind nicht gerade für ihre gefälligen, angepassten Arbeiten bekannt. Beide produzieren Werke, die den Raum einnehmen und die Aufmerksam auf sich ziehen. Trotzdem – oder gerade deswegen? – hat die Galerie GNYP Yasat und Culver in der Ausstellung “The Path of Least Resistance” vereint. Was verbindet die Künstler?

Bereits beim Eintreten trifft man im Flur der Galerie auf Umut Yasats “Der Stapel 87”. Eine Sackkarre ist über und über mit blauen und goldenen Luftballons behängt. Zur Ausstellungseröffnung waren sie noch frisch und prall, es wurde gefeiert. Doch die Party ist vorbei und nun fristen die Ballons ein schlappes Dasein.

Yasats Projekt “Der Stapel” läuft seit 2014. Jeder Stapel dokumentiert einen Zeitabschnitt aus dem Leben des Künstlers und besteht oft aus alltäglichen Gegenständen. Mal ist er streng zusammengeschnürt, mal wächst er als ungezähmte Installation aus seiner Basis heraus. Aus praktischen Gründen sind die Arbeiten meistens mit Rädern ausgestattet. Es ist jedoch ungewöhnlich für einen Stapel, dass er seine Gestalt im Laufe der Zeit eigenständig verändert, quasi als lebensgroßes Vanitas-Symbol.

Zwei schwarze Gemälde von Richie Culver hängen nebeneinander. Sie haben die weiße Aufschrift "Born Died".
Richie Culver: Untitled 1 / Untitled 3, Courtesy of the artist and GNYP, Berlin. Photo: Ludger Paffrath.

Weitaus statischer kommt Richie Culvers textbasierte Malerei daher, die sich bei GNYP auf zwei Nuancen beschränkt: Schwarz und Weiß. Die großen Leinwände hat Culver mit Schablonen beschriftet, auf ihnen steht zum Beispiel “I Loved You” oder “Born” und “Died”. Einige Worte sind durchgestrichen, andere heben sich kaum von ihrem Untergrund ab. Die Werke wirken hastig hergestellt, manchmal fast simpel. Culvers Schablonen-Technik, die an Graffiti-Kunst erinnert, unterstützt diesen spontanen Eindruck. 

Es sind simple Botschaften, die der Künstler auf großen Formaten präsentiert – und dennoch bleibt die tiefergehende Bedeutung der kryptischen Nachrichten den Betrachter*innen verborgen. Klar ist zumindest, dass es sich um eine Erzählung aus der Retrospektive handelt: Jemand ist geboren, hat geliebt, ist gestorben. Ähnlich wie bei Yasat geht es hier wohl um eine ausschnitthafte persönliche Geschichte. Das Narrativ hat jedoch wortwörtlich große Lücken und die Besucher*innen sind gefordert, es eigenständig mit Kontext zu füllen.

Frontal hängt ein weißes Bild mit der Aufschrift "Born Died" an der weißen Wand. Im Vordergrund sind zwei Skulpturen zu sehen. Eine besteht aus Kleidung und sieht aus wie ein Mensch, eine andere ähnelt einer Zimmerpflanze.
Ausstellungsansicht Richie Culver / Umut Yasat, Courtesy of the artist and GNYP, Berlin. Photo: Ludger Paffrath.

In beiden Werkgruppen spielt die Zeitlichkeit eine Rolle. Bei Culver wirkt es, als blicke er etwas reuevoll zurück auf das, was einmal war. Vielleicht ist es eine Liebesgeschichte oder ein zu kurzes Leben. Auch “Der Stapel” zeigt jeweils einen kurzen Ausschnitt aus der Biografie Yasats. Ob der Künstler das Material aber innerhalb mehrerer Monate oder an einem Abend zusammengetragen hat, bleibt offen. Etwas spitzbübisch lassen beide Künstler die Betrachter*innen im Unklaren: Von welchen Ereignissen erzählen Culvers Leinwände? Was hat es mit den Klamotten auf sich, die in “Der Stapel 89” schemenhaft einen Menschen formen? Es sind die selbstbewusst klaffenden Leerstellen, die die Werke vereinen.

Am Ende landet man also wieder bei der Provokation: Die Künstler legen konfrontativ einen kleinen Spalt ihrer Biografie offen. Dennoch verblüffen die Werke durch ihre Vieldeutigkeit. Culvers schwarz-weiße Krypto-Botschaften und Yasats bunte Türme aus Klamotten, Stofftieren und Party-Utensilien scheinen zu sagen: “Hier sind die Hinweise. Macht was draus.” Die Ausstellung stellt die Besucher*innen grinsend vor ein Rätsel. Zwischen gestapelter Geschichte und angedeuteten Erzählungen ist es allen selbst überlassen, die Storyline herauszufinden.

WANN: Die Ausstellung “The Path of Least Resistance” ist noch bis 28. Juli zu sehen.
WO: GNYP Gallery, Knesebeckstraße 96, 10623 Berlin.

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