Der strauchelnde Mensch
Richie Culver bei Ruttkowski;68

26. April 2022 • Text von

Richie Culver polarisiert. Dessen ist er sich bewusst, wenn er in großformatigen Schriftbildern Einblick in sein Innenleben gewährt. Seine jüngste Serie von Gemälden manifestiert die Zwiesprache mit dem eigenen Ich, die nun in einer Soloausstellung bei Ruttkowski;68 in Düsseldorf auch für das Außen erlebbar wird. “I Am The Best” ist ein Straucheln zwischen Selbstbewusstsein und Selbstzweifeln, zwischen Künstler und Nicht-Künstler.

Installationsansicht, Ruttkowski;68, “I Am The Best”, Richie Culver, Foto: Mareike Tocha.

Große Bildtableaus lassen sich schon von außen durch die Schaufenster der Düsseldorfer Galerieräume von Ruttkowski;68 erkennen. Schwarze Schrift auf weißem Grund. In breiten Lettern heben sich unordentlich gesetzte Buchstaben ab, formen sich zu Worten und dann zu prägnanten Sätzen wie “I am the best”, “I wish I could sing” oder “create a lifestyle around your problems and call it happiness”. Umgekehrt verschwimmt die weiße Schrift auf schwarzer Farbe: “everything is just something that happened”. Die gemalten Worte erzählen von ganz alltäglichen Problemen, von einem Ich auf der Suche, auf der Suche nach sich selbst und nach dem Glück. Es scheint, als fange die Schrift frei im Raum schwebende Gedanken ein, die sich in Gefühlen, Wünschen und Erkenntnissen äußern. Assoziationen an Graffiti kommen in den Sinn, an auf die Straße getragene Worte von Menschen aus der Masse, die eben diese Straße tagtäglich bevölkern. In an Wände gesprühten Graffiti werden die Kunstschaffenden so zum Sprachrohr aller.

Installationsansicht, Ruttkowski;68, “I Am The Best”, Richie Culver, Foto: Mareike Tocha.

Richie Culvers Kunst ist experimentell, improvisiert. Sie ist ironisch, spöttisch und zugleich sehr intim, manchmal ergreifend. Sie gewährt einen Einblick ins Innenleben des Künstlers, in die Verletzlichkeit der männlichen Seele. Auf Instagram erlangte Culver große Aufmerksamkeit durch das Teilen seines auf Leinwand gebannten “Did U Cum Yet?”. Dieses und andere Werke wenden sich gegen die traditionellen Mechanismen von Kunst, gleichen einem Mittelfinger an die etablierte Kunstszene und sind trotzdem längst Teil dessen. Der Autodidakt Culver ist zugleich Künstler und Nicht-Künstler, denn seine Arbeit definiert sich durch das, was ihr fehlt. Dieses vermeintlich Fehlerhafte wird durch den Künstler in ihm abgelehnt, aber wiederum gleichsam zum Schaffenskern des Nicht-Künstlers.

Installationsansicht, Ruttkowski;68, “I Am The Best”, Richie Culver, Foto: Mareike Tocha.

Die Bedeutsamkeit von Text in Culvers Werken ist seit 2016 stetig angewachsen. In dieser Zeit verarbeitete er in einem Buch seine Erlebnisse im Berliner Nachtleben sowie Drogenerfahrungen. Für eine Ausstellung, die sich für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit einsetzte, brachte er eben diese Texte aus dem unvollendeten Buch auf die große Leinwand. Es entstand ein Gemisch aus poetisch-dunklen Einblicken und Geständnissen einer taktil suchende Künstlerseele. Seine nun bei Ruttkowski;68 ausgestellte neueste Serie von Gemälden mutet wie ein visuelles Tagebuch an. Die in der Solopräsentation “I Am The Best” gezeigten Arbeiten bannen Gedanken, die Menschen gerne für sich behalten, nicht aussprechen oder zugeben möchten. Schwarz-weiß erzählen sie von den Grautönen des menschlichen Seins und den Grautönen des Lebens im Norden Englands. Hoffnung und gebrochene Versprechen spiegeln sich darin, finden in früheren Werken zuweilen politischen Ausdruck. Manchmal beißend, manchmal verträumt, sprechen sie das aus, was die Betrachtenden oft selbst schon dachten. 

Installationsansicht, Ruttkowski;68, “I Am The Best”, Richie Culver, Foto: Mareike Tocha.

In einem inneren Monolog halten die Leinwände Zwiesprache mit sich selbst, gleichen durcheinander gewisperten Gedanken im Kopf, die sich wie überlagernde Stimmen manchmal gegenseitig verstärken oder abschwächen. Culvers Arbeiten fühlen sich aufrichtig an, weil sie von Angst erzählen, Unbewusstes uneitel offenlegen. Sich seiner selbst bewusst, überführt der Künstler die eigenen Schwächen und Unsicherheiten auf die großformatige Leinwand, trägt den vermeintlichen Künstler-Hochstapler vor sich her. Wer kennt sie nicht? Die Selbstzweifel bezüglich der eigenen Fähigkeiten, die Schwierigkeiten, Leistungen und Erfolge anzuerkennen, die sich in ihrer stärksten Form im sogenannten Hochstapler-Syndrom äußern. Richie Culver fasst dieses Straucheln im Angesicht der Welt in Worte und in Bilder.

Anna Meinecke hat den Künstler 2018 im Rahmen seiner Ausstellung bei ZWEISIEBEN in Karlsruhe getroffen. Das Interview findet ihr hier.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 22. Mai. 
WO: Ruttkowski;68, Grabbeplatz 2, 40213 Düsseldorf.

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