Memento mori, aber ... Paloma Proudfoot bei Soy Capitán
5. Mai 2023 • Text von Julia Meyer-Brehm
Sterben müssen wir alle irgendwann. Aber gibt es womöglich auch jetzt schon enge Verbindungen zwischen der Welt der Lebenden und dem Jenseits? Paloma Proudfoot visualisiert bei Soy Capitán das Ineinandergreifen beider Sphären und unsere jahrhundertealten Vorstellungen von Endlichkeit.
Die Vorstellung, auf eine*n Verstorbene*n zu treffen, ist erstmal unheimlich. Aber wieso eigentlich? Vermutlich hätte man sich eine Menge zu erzählen und sicher auch einiges zu lernen. Paloma Proudfoot hat sich der Thematik angenommen und beschäftigt sich bei Soy Capitán raumfüllend mit der Verbundenheit zwischen der Welt der Toten und der Lebenden. In der Ausstellung „The Three Living and The Three Dead“ verwischt sie die vermeintlichen Grenzen beider Sphären und erzeugt zwischen ihnen ein drollig-makaberes Zusammenspiel.
Titelgebend ist die jahrhundertealte Geschichte von drei Adligen, die auf drei Leichname treffen, die ihnen ihre Sterblichkeit vor Augen führen. Zusammengefasst sagen die Skelette: „Wir waren, wie ihr wart und ihr werdet zu dem werden, was wir sind.“ Die Legende wurde in der Kunstgeschichte häufig bildlich dargestellt und schmückt als Fresko zahlreiche Kircheninnenräume. Auch Paloma Proudfoots Werke bei Soy Capitán sind an Wandfresken angelehnt. Die flachen Keramikarbeiten sind an die Wand geschraubt, treten aber dreidimensional in den Raum hinein und wirken dadurch weit lebendiger als bloße Wandmalerei.
Seitdem Menschen Kunst machen, ist die Darstellung von Sterblichkeit und dem, was danach kommt, ein beliebtes Thema. Bei Soy Capitán wird explizit auf die Überschneidungen von Dies- und Jenseits hingewiesen. Wie zum Gruß breitet ein blaues Skelett die Arme aus, nebendran inspiziert eine Person mit aufgefaltetem Rücken den offenen Bauchraum ihres Gegenübers. Was ziemlich grausam klingt, sieht gar nicht so blutig aus: Proudfoots Arbeiten sind zwar explizit doch niemals zum Schaudern realistisch.
Stattdessen wirken die makaberen Szenen eher interessant – die gleichmäßige Maserung des bloßen Fleisches, die filigran ausgearbeiteten Sonnenblumenblätter, die schlapp von der verwelkten Pflanze hängen, oder die gigantischen Fliegen, die vom Aas angelockt an der Wand zu kleben scheinen. Das Erkunden jedes Haars auf dem Rücken dieser Insekten, ihrer dünn mit Stoff bespannten Flügel und ihrer kugelrunden Facettenaugen führt vorsichtig an das Thema heran, was man meistens lieber meidet: den Tod und das, was danach mit dem Körper geschieht.
Proudfoot verbindet all diese Vanitas-Symbole mit Hinweisen auf Lebendigkeit und Gedeihen. Zahlreiche Keimlinge sprießen wie aus dem Nichts an der Wand empor. Eine Dargestellte bietet den Nährboden für dichtes Gestrüpp, das ihr aus den Schultern wächst. Aus einer klaffenden Brustwunde keimen muntere Blätter. Die eindeutige Verbundenheit zwischen Leben und Tod wird auch durch die wortwörtliche Verwurzelung im Ausstellungsraum deutlich: Einem Protagonisten scheinen die Adern, symbolisiert durch dicke rote Seile, im Laufe der Zeit aus dem Körper gewachsen zu sein. Wie schlappe Lebenslinien liegen sie auf dem Galerieboden – unsicher, ob sie noch weiterwandern.
Nichts in der Galerie Soy Capitán scheint eindeutig tot oder klar lebendig zu sein. Möglicherweise liegt das auch an den goldenen Nägeln, die die glasierte Keramik an der Wand fixieren. Sie wirken wie kleine Gelenke, an denen die einzelnen Glieder beweglich bleiben können. Im nächsten Moment, so meint man, könnte das überdimensionale Auge einem zublinzeln oder eine Figur ihren Arm heben. Eine eher erleichternde als beunruhigende Vorstellung.
Themen wie Körper, Tod und Erinnerung streift Paloma Proudfoot mit einer solchen Leichtigkeit, dass man glatt die Furcht davor verlieren kann. Dabei werden die Grenzen zwischen Innerem und Äußerem, Leben und Tod, zwar nicht aufgelöst, zumindest aber hinterfragt und verwischt. In der Legende der drei Toten und der drei Lebenden ziehen Letztere nach dem Zusammentreffen unbeirrt weiter. Ähnlich verhält es sich in der Realität: Der Ausstellungsbesuch ruft die eigene Sterblichkeit ins Bewusstsein, hinterlässt aber keinesfalls eine bittere Note. Memento mori, aber bloß nicht den Tag davon versauen lassen.
WANN: Die Ausstellung „The Three Living and The Three Dead“ ist bis 10. Juni zu sehen.
WO: Soy Capitán, Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin.