Häppchenweise in die Höhe
Umut Yasat stapelt Geschichten

1. Juni 2020 • Text von

Stapeln wird gemeinhin mit dem Ansammeln von Besitztümern in Verbindung gebracht, dabei birgt das Aufschichten von Gegenständen noch ganz andere Perspektiven. Umut Yasat hat diesen Arbeitsprozess perfektioniert: Sein Projekt „Der Stapel“ läuft seit 2014. Wir haben mit ihm über Nostalgie, Askese und die Visualisierung von Zeit gesprochen.

Installationsansicht Umut Yasat. Courtesy of GNYP Gallery, Foto: Ludger Paffrath.

gallerytalk.net: Mal eine ganz blöde Frage am Anfang: Wie viele Witze über das Hochstapeln hast du dir schon anhören müssen?
Umut Yasat: Wenige Gute.

Aus Gründen der Logistik teilst du dein Projekt „Der Stapel“ in einzelne „Häppchen“ auf. Sie enden jeweils auf Höhe deiner eigenen Körpergröße. Wie hoch wäre „Der Stapel“ mittlerweile insgesamt?
Stand 18.05.2020: Circa 100 Meter.

Das Stapeln wird häufig mit Horten assoziiert – du lebst aber relativ asketisch. Ein Gegensatz?
Ich mag das Zusammenspiel sehr. Indem ich die Dinge als „Der Stapel“ konserviere, lasse ich die einzelnen Geschichten einerseits los, andererseits schenke ich ihnen dadurch eine Wertigkeit und einen Platz. Etwas, was ihnen beides sonst vielleicht verwehrt geblieben wäre. Ich habe meinen persönlichen Besitz in den letzten Jahren auf ein mir ausreichendes Minimum reduziert und sehe diesen Schritt als verbundene Konsequenz mit der Arbeit.

Umut Yasat. Courtesy of GNYP Gallery, Foto: Ludger Paffrath.

Zu Beginn des Arbeitsprozessen besaßen die Stapel auch immer das gleiche A4-Format, wieso hat sich das geändert?
Ich verstehe die Regel „A4“ zunehmend als Wirbelsäule, welche stets vorhanden ist. Die Zu- und Abnahme hiervon erlaubt es mir, auch Dinge festzuhalten, die zu Beginn von „Der Stapel“ nicht möglich waren.

Viele Teile von „Der Stapel“ sind mit Schnüren und Gurten extrem abgesichert, einige der Arbeiten erinnern durch die Kabelbinder-Stacheln an Kakteen. Welche Gründe hat dieser Schutz?
Die verschiedenen Verbindungen sehe ich weniger als Schutz, sondern vielmehr als ein Ausprobieren der Möglichkeiten, wie ich die Dinge, die mein Leben berühren zusammenführen kann. Die Schnur war zu Beginn die effizienteste Möglichkeit, Gurte und Kabelbinder haben es mir mit der Zeit ermöglicht auch mit anderen  Kräften auf die Materialien einzuwirken und gleichzeitig die Stabilität zu erzeugen, die ich mir für meine Arbeiten wünsche.

Umut Yasat. Courtesy of the artist.

Siehst du „Der Stapel“ als visuelles Tagebuch, in dem Teile deiner Erinnerungen verwoben sind?
Vom Selbstporträt ausgehend sehe ich die Arbeit als Versuch, meine Zeit zu visualisieren. Ich bin bemüht, jegliche Dinge aus meinem Alltag darin festzuhalten – seien es belanglose Überbleibsel vom Abend auf der Couch, Momente und Situationen, die ich via Foto und Zeichnung festhalte oder materielle Dinge, die gegenwärtig für mich von Bedeutung sind.

Kann ein Stapel überhaupt einen stringenten Zeitabschnitt darstellen? Zeit ist schließlich nicht linear und es kommen nachträglich Erinnerungen hinzu.
Aus materieller Sicht geht das. Sobald man erinnert, also einen emotionalen Wert projiziert, wird es schwieriger. Ich sehe mein Tun gerade deshalb der persönlichen Nostalgie entgegen arbeitend – ich glaube daran, dass es morgen schön wird, ich muss nicht in meinem Gestern verweilen.

Umut Yasat. Courtesy of GNYP Gallery, Foto: Ludger Paffrath.

Hat der Corona-Lockdown auch etwas in deiner Arbeitsweise verändert?
Schon vor dem „Lockdown“ habe ich den größten Teil meiner Zeit in meinem Wohnatelier verbracht. Daran hat sich primär nicht viel verändert. Ich stelle hauptsächlich fest, dass ich weniger Fundstücke von draußen mitbringe und mich derzeit stark auf die wenigen materiellen Dinge konzentriere, mit denen ich mich im Leben noch umgebe.

Ist es dir wichtig, dass man als Betrachter*in alle Einzelteile erkennen kann, die du verbaut hast?
Überhaupt nicht. Ein verschlossenes Buch wird mit derselben Akzeptanz betrachtet, wie ein geöffnetes. Das sehe ich bei „Der Stapel“ nicht anders.

Installationsansicht Umut Yasat. Courtesy of GNYP Gallery, Foto: Ludger Paffrath.

Nehmen wir an, du könntest einen Stapel aus komplett willkürlichen Dingen bauen – welche würdest du dir aussuchen?
Das Herz des Ozeans, das Lunar Roving Vehicle und den Küstenmammutbaum Hyperion aus dem Redwood-Nationalpark in Kalifornien.

Mehr von Umut Yasat gibt’s auf seiner Website und auf seinem Instagram-Kanal zu sehen.

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