Empathie für Bestäuber
Alexandra Daisy Ginsbergs Pollinator Pathmaker in Berlin

3. Juli 2023 • Text von

Auf dem Vorplatz des Naturkundemuseums in Berlin lädt ein Garten zum Perspektivwechsel ein. Die Gestaltung von Alexandra Daisy Ginsberg ist nicht auf westliche ästhetische Vorlieben ausgerichtet, sondern auf die von Bestäuberinsekten. Dadurch setzt sich die Künstlerin kritisch mit gängigen den Menschen priorisierenden Konventionen im Bereich der Kunst, Technologie und Gartendesign auseinander. (Text: Anne Daffertshofer)

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Pollinator Pathmaker LAS Edition, commissioned by LAS Art Foundation, growing in the forecourt of Museum für Naturkunde Berlin from June 2023 to November 2026. Installation view. Photo: Juan Camilo Roa.

Wie kann in der weitestgehend auf den Menschen ausgerichteten westlichen Gartenkunst mehr Empathie gegenüber Bestäuberinsekten integriert werden? Das ist eine der zentralen Fragestellungen, denen sich Pollinator Pathmaker, ein multimediales Kunstwerk der Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg, widmet. Die Antwort findet diese darin, Bestäubern mehr Lebensraum zu bieten. Den Hauptpfad zum Naturkundemuseum flankierend wurden in den vergangenen Wochen Gärten gepflanzt, in denen die Bedürfnisse, Vorlieben und Bewegungsmuster von lokalen Bestäubern wie Bienen, Schmetterlinge oder Käfer an erster Stelle stehen.

Besonders stark ist Ginsberg darin, das Spannungsverhältnis zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Vorlieben zu thematisieren. Denn eine konventionelle Grünflächengestaltung bietet oft nicht genug Diversität für Bestäuber. Doch eben diese ist wichtig, damit sich Bestäuberinsekten ernähren und bewegen können. Pflanzen und Bestäuber sind oft Teil evolutionärer Paare, deren Anatomien, wie etwa Blüte und Rüssel, sich miteinander entwickelt haben. Das Schicksal einer Pflanzenart, betrifft daher auch ihre jeweiligen Bestäuber. So kam es in den vergangenen drei Jahrzehnten in Deutschland zu einem 75-prozentigen Rückgang in der Biomasse von Fluginsekten von – ein Zeichen der fortschreitenden Biodiversitätskrise.

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Pollinator Pathmaker LAS Edition, commissioned by LAS Art Foundation, growing in the forecourt of Museum für Naturkunde Berlin from June 2023 to November 2026. Installation view. Photo: Juan Camilo Roa.

Dem Insektensterben begegnet die Ginsberg mit der Frage, ob Technologie dabei helfen kann westliche Designvorlieben zu vermeiden. Dazu verwendet die Künstlerin einen Algorithmus, der die Pflanzen so auswählt und anordnet, dass diese den lokalen Bestäuberinsekten Zugang zu Nahrung, Flugkorridoren und Möglichkeit zur Überwinterung bietet. Der Algorithmus wurde gemeinsam mit einem Wissenschaftler für Künstliche Intelligenz (KI) und einem Team des Museums erstellt. KI wird nicht als neutrale, von menschlicher Voreingenommenheit losgelöster Option präsentiert. Stattdessen wird klar, dass Technologie immer aus komplexen menschlichen Entscheidungsprozessen resultiert und Werte spiegelt.

Die Gärten versteht Ginsberg als lebende Skulpturen. Visuell angelehnt sind diese an die sogenannte neue Staudenbewegung, auch „New Perennial Movement“. Diese zeichnet sich durch ein alljährlich zu bewunderndes, natürlich wirkendes Erscheinungsbild aus. Kombiniert wird eine wild anmutende Ästhetik mit dem Publikum bekannten Pflanzen. Piet Oudolf ist der bekannteste Vertreter – seine Arbeiten sind international anzutreffen, von Hauser & Wirth in England bis zur New Yorker High Line. Zwar bietet Pollinator Pathmakereinen konzeptuellen Kontrast durch die Priorisierung einer Bestäuber-freundlichen Pflanzendiversität, das Ergebnis mögen viele Besuchende jedoch visuell ebenso ansprechend finden.

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Pollinator Pathmaker LAS Edition, commissioned by LAS Art Foundation, growing in the forecourt of Museum für Naturkunde Berlin from June 2023 to November 2026. Installation view. Photo: Juan Camilo Roa.

Anschließend an die ersten Pollinator-Pathmaker-Gärten in Großbritannien soll die Berliner Edition nun den Startschuss für ein pan-europäisches Netzwerk von Bestäuber-freundlichen Gärten geben. Hier kam der Auftrag von der LAS Art Foundation, welche in enger Kollaboration mit lokalen Nachbarschaften, Schulen und Gartenliebhabern in Berlin noch zusätzliche Gärten plant. So werden das lokale Engagement und Partizipation gefördert – auch für diejenigen ohne Garten.

Der für die Gestaltung verantwortliche Algorithmus ist über die Website pollinator.art zugänglich. So können auch Privatpersonen eigene DIY-Editionen des Kunstwerkes erstellen. Dazu benötigt werden lediglich Informationen zu der Fläche, die es zu bepflanzen gilt. Durch die Bestimmung verschiedener Faktoren, wie etwa Pflanzendiversität oder die Art der Flugwege, lässt sich das Level an Empathie gegenüber Bestäubern im gewünschten Design festlegen. Bevor der Garten blüht, kann man eine digitale Simulation des geplanten Gartens auf der Website entdecken – auch aus Bestäuber-Perspektive, in der Farben und Texturen anders wirken.

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Pollinator Pathmaker LAS Edition, commissioned by LAS Art Foundation, growing in the forecourt of Museum für Naturkunde Berlin from June 2023 to November 2026. Installation view. Photo: Juan Camilo Roa.

Mit Blick auf die Zukunft werden die Bestäuber-freundlichen Grünflächen möglichst klimaresilient konzipiert, auch durch die Verwendung nicht-einheimischer Pflanzen. Hier grenzt sich das Kunstwerk zu sogenannten Renaturierungsprojekten ab, welche zum Teil durchaus umstritten sind. Mit Pollinator Pathmaker schafft Ginsberg ein artifizielles Ökosystem, welches die Möglichkeit bietet, sich eine parallele Gegenwart vorzustellen. Um die Gärten gemäß ihrem ursprünglichen Design zu erhalten, müssen Partizipierende in die neu geschaffenen Ökosysteme eingreifen. Jedoch wird hier das Verhältnis von Menschen und Natur durch ein Sich-Kümmern definiert.

In Zeiten, in denen ökologische Diskurse oft zwischen dystopisch-apokalyptischen Szenarien oder Technik-Optimismus polarisieren, erlaubt Pollinator Pathmaker die vielleicht wichtigste Form der Hoffnung: Handfest und in Tatendrang begründet führt diese einerseits zu sichtbaren und sogar quantifizierbaren Erfolgen, betrachtet man die Insekten, die den Garten nutzen. Andererseits ist die Arbeit wichtig aufgrund ihres Symbolwerts. Dieser repräsentiert einen Wandel, welcher Technologie und Natur-basierte Ansätze kombiniert. Statt Klimaneutralität propagiert Pollinator Pathmaker eine Klimapositivität, die über den Nullpunkt hinausgeht. 

WANN: Das lebendige Kunstwerk Pollinator Pathmaker von Alexandra Daisy Ginsberg soll bis zum 1. November 2026 wachsen und erhalten werden.
WO: Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, 10115 Berlin.

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