Utopische Sehnsüchte
Fetisch Zukunft im Zeppelin Museum

27. Februar 2023 • Text von

Autonome Taxi-Drohnen, Milliardäre, die den Mars besiedeln wollen, und das ewige Leben. Zukunftsvisionen versprechen radikale Veränderungen und öffnen doch auch die Möglichkeit für dystopische Dynamiken. Das Zeppelin Museum in Friedrichshafen widmet sich mit der transdisziplinären Ausstellung “Fetisch Zukunft” Visionen und Ideen der letzten 120 Jahre und ergänzt diese mit hochaktuellen zeitgenössischen Positionen.

Nuotama Frances Bodomo: Afronauts, 2014 Videoinstallation. Courtesy of Mothertongue © Nuotama Frances Bodomo.

Das Zeppelin Museum in Friedrichshafen ist eine hybride Institution. Es verfügt über die weltgrößte Sammlung zur Geschichte und Technik der Luftschifffahrt, gleichzeitig beherbergt es eine Kunstsammlung, die Werke vom Mittelalter bis zur Neuzeit beinhaltet. Die Kombination von Technik und Kunst, den gleichzeitigen Blick in Vergangenheit und Zukunft nutzt auch die Ausstellung “Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension”. Sie verbindet technische Exponate mit transmedialen zeitgenössischen Positionen. Insgesamt werden 15 Arbeiten von Künstler*innen wie Andreas Feininger, Alexandra Daisy Ginsberg, Alexander Kluge oder Marie Lienhard gezeigt.

In fünf Kapiteln nähert sich die Ausstellung unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen aus Vergangenheit und Gegenwart, die auf fünf grundlegende menschliche Sehnsüchte zurückgehen: Freiheit, Geschwindigkeit, Nachhaltigkeit, Frieden und Unsterblichkeit. Diesen Sehnsüchten stellt die Ausstellung auch dystopische Narrative gegenüber, eine grenzenlose Technikgläubigkeit soll hinterfragt werden.

Alexandra Daisy Ginsberg: The Wilding of Mars, 2019 Unity simulation, 12 screen video installation © Alexandra Daisy Ginsberg; Commissioned by the Vitra Design Museum and the Design Museum. With support from Cité du Design, Saint-Étienne. Installation supported by Distec.

An der Grenze von Utopie und Dystopie bewegt sich auch die Arbeit “The Wilding of Mars” von Alexandra Daisy Ginsberg. Die Mehrkanal-Videoinstallation simuliert das Wachstum einer interplanetaren Natur mit Lebensformen der Erde auf dem Mars. Ihre spekulative Utopie, die im Zeitraffer eine Million Jahre umfasst, kombiniert den menschlichen Wunsch, andere Planeten zu besiedeln mit einer ökologischen Perspektive. Menschen haben auf dem begrünten roten Planeten keinen Platz, die Natur soll sich frei entwickeln können.

Einen Blick in eine vergangene Zukunft wirft hingegen Nuotama Frances Bodomo mit ihrer Videoarbeit “Afronauts” aus dem Jahr 2014. Im Zentrum steht hier die Zambia Space Academy, die tatsächlich im Jahr 1969 den ersten Menschen zum Mond bringen wollte. Vor dem Hintergrund des kalten Krieges und der Dekolonisation des afrikanischen Kontinents sind Technik und Utopien hier Mechanismen der Emanzipation und Freiheit.

Anton Vidokle: Immortality For All: a film trilogy on Russian Cosmism, 2014–2017 Still from HD Video, Russian with English subtitles. Courtesy of the artist. © Anton Vidokle.

Dass der Wunsch, durch visionäre technologische Entwicklungen das ewige Leben oder die Besiedlung fremder Planeten zu ermöglichen, nicht erst von Milliardären aus dem Silicon Valley formuliert wurde, beweist Anton Vidokle mit seiner Arbeit “Immortality For All”. Er greift in seiner Trilogie die Ideen des Kosmismus auf, einer Denkrichtung aus geistes- und naturwissenschaftlichen Strömungen im Russland des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Ziel des Kosmismus war es, die Menschen durch Technologie unsterblich zu machen. In einer Mischung aus Essay-Film, Dokumentation und Performance beschwört Vidokle die allgemein-gültigen Sehnsüchte nach Verbundenheit, sozialer Gleichheit, materieller Transformation und Unsterblichkeit.

Einen anderen, wenn auch nicht minder utopischen Ansatz verfolgt Tomás Saraceno mit seiner interdisziplinären künstlerischen Community Aerocene. Im Zuge der Debatten über das Anthropozän will er die künstlerische und wissenschaftliche Erforschung von Umweltfragen in den Vordergrund stellen und fördert gemeinsame Verbindungen zwischen sozialen, mentalen und physischen Ökologien. In der Ausstellung werden zwei Videos gezeigt, in der sogenannte Aerocene-Skulpturen lautlos über majestätischen Salzwüsten schweben.

Tomás Saraceno: Aerocene, Launches at White Sands, New Mexico United States, 2016 Courtesy of the artist and Aerocene Foundation; Video by Frederik Jacobi and Anthony Langdon. © Studio Tomás Saraceno.

Gerade in Zeiten rascher technologischer Entwicklungen entfalten Utopien einen besonderen Reiz und wecken tief sitzende Sehnsüchte. Die Ausstellung “Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension” bietet einen interessanten Einblick in die Wechselwirkungen zwischen visionärer Technologie und utopischer Kunst. Eingebettet in ein komplexes Ausstellungsdisplay bilden die technischen Exponate und die multimedialen Installationen ein spannendes Zusammenspiel und ergänzen sich zu einem mehrschichtigen Gesamtbild.

Einstieg die Ausstellung Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension mit Blick in die Themenbereiche Freiheit und Geschwindigkeit mit einem Mock-Up der Taxi Drohne POP UP.NEXT von Italdesign und Audi im Vordergrund. © Zeppelin Museum, Foto: Tretter.

Dass utopische Technologien jedoch nicht allein zur Lösung aller Probleme geeignet sind, zeigt sich schon im Kleinen. Empfangen wird man in der Ausstellung im Zeppelin Museum von einem Konzept-Modell einer Drohne, die sowohl Auto als auch Quadrokopter ist und die Fahrer*innen fliegend vor dem Stau bewahren soll. Die aktuelle Studie von Audi und Airbus wirkt hochmodern und äußerst Komplex. Diese Idee ist jedoch weder neu noch praktikabel, das beweist der ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Wagner-Skytrac-Helikopter. Dieser Hybrid aus Auto und Fluggerät sollte schon 1961 den Verkehr revolutionieren. Wie bekannt mit eher mäßigem Erfolg.

WANN: Die Ausstellung “Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension” ist noch bis zum 16. April zu sehen.
WO: Zeppelin Museum Friedrichshafen, Seestraße 22, 88045 Friedrichshafen.

Vielen Dank für die Presse-Einladung nach Friedrichshafen und die Übernahme der Reisekosten.