Kunst, die mitdenkt
Künstliche Intelligenz im Kunstmuseum Stuttgart

21. April 2023 • Text von

Was haben tanzende Polizisten, Schleimpilze und Amazon Mitarbeiter*innen gemeinsam? Die Gruppenausstellung “Shift – KI und eine zukünftige Gemeinschaft” versammelt Arbeiten von Louisa Clement, Heather Dewey-Hagborg, Christoph Faulhaber, kennedy+swan, knowbotiq, Christian Kosmas Mayer, Hito Steyerl und Jenna Sutela im Kunstmuseum Stuttgart. Zu sehen sind Werke, die humorvoll zum Nachdenken über eine zukünftige Gesellschaft anregen.

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Heather Dewey-Hagborg und Chelsea E. Manning: Probably Chelsea, 2017. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 Courtesy Fridman Gallery und Heather Dewey-Hagborg Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart.

Künstliche Intelligenz (KI) überrascht nicht mehr und trotzdem irgendwie die ganze Zeit. KI ist bereits seit längerem voll und ganz im Alltag angekommen und mit etwas Verzögerung nun auch im Museum, genauer gesagt im Kunstmuseum Stuttgart. Gerade weil aktuell niemand an dem inflationär verwendeten Begriff KI vorbeikommt, lohnt sich ein Besuch der aktuellen Ausstellung “Shift – KI und eine zukünftige Gemeinschaft”. Das liegt vor allem an der Auswahl der Einzelpositionen, die humorvoll mit künstlicher Intelligenz spielen und dabei trotzdem einen kritischen Blick auf die hoch technologisierte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts werfen.

Die Ausstellung eröffnet mit der Definition: Was ist KI? Kurz gesagt handelt es sich bei KI um den Versuch, Strukturen und Aktivitäten des menschlichen Gehirns mathematisch nachzubilden. Diese künstliche Intelligenz kann durch maschinelle Lernverfahren erzeugt werden. Dabei lernt ein Algorithmus durch Wiederholung eine spezifische Aufgabe zu erfüllen.

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Jenna Sutela: Indigo, Orange and Plum Matter (I Magma), 2021. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 © Jenna Sutela. Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart. // Christian Kosmas Mayer: If you love life like I do, 2019 / Maa Kheru, 2021. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 Artwork commissioned by Schaufler Lab@TU Dresden © VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart.

Im ersten Raum der Gruppenausstellung untersucht die Künstlerin Jenna Sutela diese Lernprozesse. In einem atmosphärisch abgedunkelten Raum können die Besucher*innen innerhalb eines laborartigen Versuchsaufbaus die Intelligenz von Schleimpilzen begutachten. Diese gelten in der KI-Forschung als besonders, weil sie als Einzeller ohne Gehirn in der Lage sind, den kürzesten Weg zur Nahrungsquelle zu finden. Zusätzlich verleiht Sutela dem “Bacillus subtilis nattō” in ihrer Videoarbeit “nimiia cétiï” eine künstliche Stimme, indem sie die Bewegungen des Bakteriums mithilfe maschinellen Lernens in eine kalligrafische Struktur überführt und vertont.

Aus dem Nebenraum ist ebenfalls eine computergenerierte Stimme zu hören, dort dröhnt ein klagendes Stöhnen. Christian Kosmas Mayer lässt mithilfe einer KI die Stimme einer 2000 Jahre alten männlichen Mumie aus Ägypten in der Acht-Kanal-Installation “Maa Kehru” erklingen. In Zusammenarbeit mit der TU Dresden kreierte der Künstler einen Nachbau des mumifizierten Stimmtrakts, welchen er in Schwingung versetzt und damit die Stimme des Toten auferstehen lässt. Das tiefe Klagen erzeugt einen unheimlichen Grundton für Mayers weiteren Arbeiten, in denen sich ebenfalls alles um Tod und Unsterblichkeit dreht.

Mayers Skulpturenserie “If you love life like I do” zeigt auf dem Kopf stehende Schlafsäcke, die auf das Prinzip der Kryonik verweisen, ein Konservierungsverfahren, bei dem Menschen eingefroren und in der Zukunft aufgetaut werden.

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kennedy+swan: in vivo – in vitro – in silico (Still), 2022 Ein-Kanal-Video, 8 Min. © VG Bild-Kunst, Bonn 2023.

Mit der Zukunft beschäftigt sich auch das Künstlerinnenduo kennedy+swan, Bianca Kennedy und Swan Collective. In ihrer Installation und dem dazugehörigen Animationsfilm “vivo – in vitro – in silico” imaginieren die Künstlerinnen eine Zukunft, in der biologische und künstliche Intelligenz eine Symbiose eingehen. In einer fiktiven Erzählung erfahren die Besucher*innen, wie Mikroroboter, sogenannte Xenobots, aus Zellen von Krallenfröschen, lateinisch Xenopus laevis, entwickelt wurden. Die kleinen Kreaturen werden in der Videoarbeit anschließend zur Optimierung des menschlichen Körpers eingesetzt – gegen eine monetäre Gegenleistung versteht sich. Gesundheits- und Schönheitswahn trifft auf Kapitalismus.

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Louisa Clement: body 5, 2019 / body 6, 2019 / Repräsentantinnen, 2021. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 © Louisa Clement. Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart.

Die Perfektion der äußeren Hülle spielt auch bei Louisa Clement eine Rolle. Sie lässt ihre Werkgruppe “Repräsentantinnen” für sich arbeiten. Basierend auf Sexpuppen und angelehnt an Aussehen und Stimme der Künstlerin nehmen Clements Figuren ihre Rolle im Ausstellungsraum ein. Die Besucherinnen des Kunstmuseum Stuttgarts sind dazu eingeladen, sich mit einer Puppe aus der Serie zu unterhalten. Ein Gespräch funktioniert mal mehr, mal weniger gut, abhängig vom Lautstärkepegel im Raum.

Obwohl die Besucherinnen nach ein paar Minuten keine Berührungsängste mehr haben und sich neben der Repräsentantin zum Gespräch niederlassen, sind die Antworten der englischsprachigen Puppe nur schwer zu verstehen. Eine Geräusch- und Sprachbarriere verhindert einen tiefergehenden Gedankenaustausch.

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knowbotiq: AMAZONIAN FLESH – how to hang in trees during strike?, 2018–2019. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 © knowbotiq. Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart.

Die sich in der Installation “Amazonian Flesh – How to hang in trees during strike?” befindenden Bots des Duos knowbotiq, Yvonne Wilhelm und Christian Huebler, sind dagegen deutlich gesprächiger. In einer aus Kabeln geknüpften Struktur können Besucher*innen über kleine Bildschirme und Kopfhörern computergenerierten Sprachprogrammen lauschen, die über die schädlichen Folgen von Lohnarbeit sprechen und zu einem gewaltlosen Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen des Milliardenkonzerns Amazon aufrufen. Auf den dazugehörigen Textilarbeiten ist der Schriftzug „Nie wieder Arbeiten” zu lesen. Ist das die technische Revolution, von der alle sprechen?

Da das Beste bekanntlich zum Schluss kommt, ist im letzten Raum die multimediale Installation “SocialSim” von Hito Steyerl zu sehen. Hierfür darf und sollte man sich ruhig etwas Zeit nehmen, um alle Anspielungen zu entdecken und die auf den ersten Blick überfordernde Bildabfolge gänzlich aufnehmen zu können.

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Hito Steyerl: SocialSim, 2020. Installationsansicht K21, Düsseldorf, 2020 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Foto: Achim Kukulies.

Im ersten Bereich der Installation werden Besucher*innen von animierten, hüpfenden Polizisten empfangen, die zu elektronischen Tönen über drei großformatige Projektionen tanzen. Dabei handelt es sich um eine immersive, sich ständig verändernde Live-Simulation, angelehnt an das Prinzip der “sozialen Simulation”. Diese Modelle werden normalerweise in der Verhaltensforschung angewendet. Dabei werden anhand von Parametern Prognosen erstellt. Im Fall von “SocialSim” verbreitet sich das manische Tanzen der Uniformierten langsamer oder schneller basierend auf Parametern wie “Cancel Culture Efficiency“ oder “Days left to Day X“.

Die tanzende Polizisten funktionieren als eine Metapher für die Verbreitung von sozialen Phänomenen in der Gesellschaft. Das ekstatische Tanzen erscheint gleich weniger positiv, wenn zusätzlich klar wird, dass die Bewegungen der Uniformierten auf Daten zur Erfassung polizeilicher Gewalt in Deutschland und Frankreich basieren.

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Hito Steyerl: SocialSim, 2020. Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, 2023 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Foto: Gerald Ulmann, Stuttgart.

Im angrenzenden Raum ist die dazugehörige Videoarbeit zu finden, in der Steyerl ironisch Potentiale von Digitalität, Simulation und KI im Hinblick auf Kunst, museale Präsentation und soziale Verwerfungen untersucht. Angelehnt an eine Computerspiel-Ästhetik werden die Betrachter*innen der Videoarbeit gefragt: Wie möchtest du sterben? Neben Polizeigewalt und Klimaerwärmung steht auch Tanzen zur Auswahl – ein Eskapismus der etwas anderen Art.

Die doch sehr unterschiedlichen künstlerischen Positionen eint der Bezug zu KI. Die Auseinandersetzung mit der Thematik ist deutlich, egal ob die Künstler*innen in der Produktion ihrer Arbeiten auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz zurückgegriffen haben oder KI zum Thema der Arbeit wurde. Im Kunstmuseum Stuttgart ist Kunst zu sehen, die mitdenkt und gleichzeitig Fragen aufwirft: Wie wollen wir zukünftig leben, arbeiten, sterben?

WANN: Die Ausstellung “Shift – KI und eine zukünftige Gemeinschaft” läuft noch bis einschließlich Sonntag, den 21. Mai.
WO: Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, 70173 Stuttgart.

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