Im Orbit des Körpers
Nicolas Pelzer bei fiebach, minninger

13. November 2023 • Text von

Was zunächst wie verträumte Landschaften anmutet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als vermeintlich wertloser Verpackungsmüll. Die Poesie der kleinen Dinge rückt in den Fokus der Arbeiten von Künstler Nicolas Pelzer, die mittels modernster Technologien geschaffen werden. Sie kreisen in der Kölner Galerie fiebach, minninger um die Hand als ältestes Werkzeug, bewegen sich im Orbit des menschlichen Körpers.

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Installationsansicht, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Foto: Martin Plüddemann.

Schimmernde Hände greifen scherenschnittartig ineinander und in den Raum aus. Sie interagieren, sind in dialogischer Beziehung begriffen. Gleich einer Flamme winden sie sich züngelnd um das elektrische Licht inmitten. Von innen und von außen kommt das Licht, dringt durch die gespreizten Finger, illuminiert ihre Spitzen, wirft Schatten auf Dahinterliegendes. Die Hände scheinen vor dem Licht zu schmelzen und besitzen selbst die Kraft, Dinge ihrer eigentlichen Form zu entreißen. Befestigt sind sie an langgezogenen Aufhängungen aus Drahtseilen, die Linien in den Raum zu zeichnen scheinen. Seilen, einst händisch hergestellt, ist heute die analoge Muskelkraft fremd geworden.

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Installationsansicht, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Foto: Martin Plüddemann.

Im Hintergrund finden sich verträumt anmutende Landschaften, lichte Farbverläufe auf Leinwand gedruckt. Großzügig gehängt erhalten sie in der Galerie viel Freiraum, können sich frei entfalten vor der weißen Wand. Wer abstrahierte Landschaften, amorphe Formspiele in den Drucken erkennt, liegt nicht ganz falsch. Doch sind es tatsächlich leere Tablettenblister, abgerissene Pflaster, die sich in den Arbeiten bei genauerem Hinsehen finden lassen. Den Betrachter*innen kommt unmittelbar die Geste in den Kopf, mit der die Tabletten aus der Verpackung gedrückt werden, die Versiegelung aufbricht oder aber der gewaltsam anmutende Akt des Pflaster-Abreißens. 

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Installationsansichten, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Fotos: Martin Plüddemann.

Im Kölner Off-Space ung5 rückte Nicolas Pelzer 2021 einen benutzten Zahnstocher in den Fokus, in der Galerie fiebach, minninger sind es nun Tablettenblister und Pflaster. Nach der Heilung des geschundenen Körpers sind die medizinischen Hilfsmittel nicht länger nützlich, wird der vermeintlich wertlose Verpackungsmüll bei Pelzer noch einmal groß in Szene gesetzt. Denn mittels medizinischem 3D-Scanner lassen sich winzige Details riesig vergrößern, begegnen wir den alltäglichen Gegenständen plötzlich auf der Makroebene. Eine gewisse Eleganz lässt sich in den stillen, gewundenen Perforationen und Ausbuchtungen ausmachen. Die Wölbungen des Aluminiums, die Knicke und ausgefransten Ränder sind deutlich erkennbar.

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Installationsansicht, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Foto: Martin Plüddemann.

Die skulpturalen Objekte mit Licht sind dagegen Teil der Serie “Evolving Masters”, an der Pelzer bereits seit 2015 arbeitet. Das gelaserte Aluminium weist nur eine Dicke von einem Millimeter auf, ist allzu leicht verformbar. Die Hände, die das Material in Form bogen, sind gleichsam Bildinhalt, wenn auch teilweise deformiert. In rötlich, bläulich oder silbern glänzender Ausführung wurden die Skulpturen in der Vergangenheit gefertigt, nun auch in Gold. Denn in einem speziellen Färbeverfahren, dem Eloxieren, werden die skulpturalen Verwebungen in Farbe getaucht. Ein Verfahren, das auch in der Luftfahrt Verwendung findet. Überzogen von Farbe sind die metallischen Texturen weiterhin zu erkennen, vermitteln sich die Spuren der Bearbeitung. Ganz im Gegensatz zu sonstigen Lasuren für Metall, welche das Material zu ersticken suchen. Hier aber bleibt der Charakter des Materials sichtbar, die Reflexion erhalten.

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Installationsansicht, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Foto: Martin Plüddemann.

Immer wieder begegnet uns das vermeintliche Gegenspiel von Körper und Technik in Pelzers Arbeiten, wenn beispielsweise die Hand seit 2015 innerhalb des Oeuvres präsent ist. Egal ob sichtbar als expressive Geste oder unsichtbar als Spuren auf dem jeweiligen Objekt. Die Hand fungiert als Schnittstelle des menschlichen Körpers, ist sein wichtigstes Werkzeug. Vom Stein, Hammer oder Bogen über Ochsenkarren und Dampflok bis Computer. Die Hand musste immer weniger Kraft aufwenden, aber hat physisch noch immer die Kontrolle. Es scheint, als würde das Gehirn sukzessive ausgelagert werden, kulminierend in künstlicher Intelligenz

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Installationsansicht, “Fingers and Concaves”, Nicolas Pelzer, fiebach, minninger, 2023, Foto: Martin Plüddemann.

Ungewöhnlich ist jedoch die in der Ausstellung “Fingers and Concaves” gezeigte neue Serie des in Berlin lebenden Künstlers. Entgegen der sonst präzisen Optik begegnet uns bei fiebach, minninger eine untypische Ästhetik der Objekte, wirken sie fast wie mit der Airbrush-Pistole gesprüht. Sichtbar nämlich sind die Spuren der Übertragung in den realen Raum der im Virtuellen gerenderten Objekte. “Als würde Licht das Material zu Staub zermalen” beschreibt es Thomas Musehold im begleitenden Ausstellungstext. Die Grenzen zwischen analog und digital lösen sich auf, hinterlassen sanfte Farbverläufe, sehen aus wie gemalt. Obwohl mittels modernster Technologien erschaffen, kreisen die Arbeiten von Pelzer um den Körper, treten wie Satelliten mal näher an ihn heran und sind dann wieder weiter von ihm entfernt.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 2. Dezember.
WO: fiebach, minninger, Venloer Straße 26, 50672 Köln.

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