Unter der Haube
Morgaine Schäfer bei fiebach, minninger

12. September 2021 • Text von

Zwischen Unterdrückung und Ermächtigung kann die Haube Ausdruck patriarchaler Strukturen oder Bekenntnis zum Glauben sein. Die Künstlerin Morgaine Schäfer gewährt in der Galerie fiebach, minninger in Köln einen Blick unter die Haube und stellt drei außergewöhnliche Frauen vor. Unter wessen Schutz steht die Frau unter der Haube? Oder ist sie überhaupt schutzbedürftig?

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Schwestern" der Künstlerin Morgaine Schäfer in der Galerie fiebach, minnender in Köln.
Morgaine Schäfer, Schwestern, installation view, fiebach minninger, 2021.

Drei große, bunte Hauben lassen sich in den Ausstellungsräumen der Galerie fiebach, minniger umwandern, stehen selbstbewusst und mahnend im Zentrum der Betrachtung. Ihre Stofflichkeit ist geradezu mit den Augen befühlbar, ihre Präsenz nimmt den gegebenen Raum vollständig ein und die Besucher*innen im sich entwickelnden Narrativ gefangen. Auf schwarzen Halterungen wirken sie wie Figuren mit einer eigenständigen Persönlichkeit und tatsächlich trägt jede von ihnen einen individuellen Namen. Die Titel “Dorette”, “Hilde” und “Anna” verweisen auf reale Persönlichkeiten, drei starke Frauen mit erstaunlichen oder beeindruckenden Lebensläufen, die in stiller Verbundenheit mit den aufmerksamen Betrachter*innen zu sprechen beginnen.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Schwestern" der Künstlerin Morgaine Schäfer in der Galerie fiebach, minnender in Köln.
Morgaine Schäfer, Schwestern, installation view, fiebach minninger, 2021.

Der Ausstellungstitel „Schwestern“ weist die Hauben als Bestandteil der Tracht von Diakonissen aus, ehelos und enthaltsam lebende Frauen einer im 19. Jahrhundert gegründeten evangelischen Lebens- und Glaubensgemeinschaft. In sogenannten Diakonissenmutterhäusern erlernten die Frauen Berufe in der Alten- und Krankenpflege, als Apothekerin, in der Kinderbetreuung und erhielten umfassenden Zugang zu Bildung. Gekleidet in Schwesterntracht, bestehend aus einem dunklen Kleid, einer Schürze und einer weißen Haube oder einem weißen Schleier, motivierte sie neben geistlichen Gründen zumeist die Sicherung ihres Lebensunterhalts zum Eintritt in die christliche Wertegemeinschaft. Die in langwieriger Arbeit hergestellte Haube galt dabei als Erkennungszeichen und vermeintlicher Schutz.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Schwestern" der Künstlerin Morgaine Schäfer in der Galerie fiebach, minnender in Köln.
Morgaine Schäfer, Schwestern, installation view, fiebach minninger, 2021.

Neben den skulptural präsentierten Hauben erstrecken sich Notizen, Fotos, Dokumente in großer Zahl über einen Teil der Galeriewände. Es ist die sichtbar gemachte Recherche von Morgaine Schäfer, die von ihrer eigenen Familie ausgeht und auf deren Privatarchiv basiert. In der kinderreichen Familie wurden nur die ältesten Geschwister aufgrund der Mitgift verheiratet, so dass ein sozial abgesichertes Leben als Diakonisse für die übrigen eine gern gewählte Alternative darstellte. Diese bot unverheirateten Frauen die gesellschaftliche Möglichkeit zur Gleichstellung mit der verheirateten Frau und schützte sie vor einem Schicksal als Dienstmädchen oder Fabrikarbeiterin, die sich nicht selten Gewalt ausgesetzt sahen. Die ganz persönliche Familiengeschichte verknüpft Schäfer mit einer generellen Reflexion über Funktionsträger*innen in der Gesellschaft. Die Recherchearbeit stellt den Besucher*innen der Galerie beispielsweise „Dorette“ als eine Frau vor, die im Kinderheim übrig gebliebenes Essen an Bedürftige weitergab und deshalb als Wirtschaftsverbrecherin mehrere Jahre im Gefängnis einsitzen musste.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Schwestern" der Künstlerin Morgaine Schäfer in der Galerie fiebach, minnender in Köln.
Morgaine Schäfer, Schwestern, installation view, fiebach minninger, 2021.

Die Kopfbedeckung als Teil weiblicher Identität macht weite Bezüge auf, lässt an die Politisierung von weiblichem Kopfhaar in der Religion denken oder an die dystopische Serie „Handmaid’s Tale“, die ein düsteres Zukunftsbild der völligen Entrechtung von Frauen malt. Die Haube wird dabei zum zwiespältigen Symbol zwischen Unterdrückung und Ermächtigung. Die Arbeiten der Ausstellung „Schwestern“ fügen sich in eine das bisherige Schaffen der Künstlerin durchziehende Suche nach dem Einfluss von Kultur, Religion, Familienstruktur und Politik auf Identität. Die verheiratete und die unverheiratete Frau, beide unter der schutzbietenden Haube und doch keines Schutzes bedürftig.

WANN? Die Ausstellung „Schwestern“ läuft bis zum 9. Oktober.
WO? fiebach, minninger, Venloer Straße 26, 50672 Köln.

Weitere Artikel aus Köln