Brüste raus
Nigin Beck im Kölner Off-Space Mauer

19. Mai 2023 • Text von

Eine mit Stolz geschwellte Brust führt zu einer aufrechten Körperhaltung, signalisiert Selbstbewusstsein. In der Ausstellung “Transformers” von Nigin Beck im Kölner Off-Space Mauer ragen weibliche Brüste selbstbewusst aus Mauern, Stoffen und Vorhängen. Sie sind Signum körperlicher Veränderung im Leben einer Frau und Mutter. Persönlicher geht es kaum und doch ist die weibliche Brust immerzu gesellschaftliche Projektionsfläche.

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

Die weibliche Brust ist alles gleichermaßen. Sie ist lebensspendend, erotisch, kann Anstoß erregen. Gesellschaftliche Paradoxien lassen sich an ihr ablesen. Sie ist Objekt der Begierde, doch zu tiefe Einblicke darf Frau auch nicht gewähren. Wer sein Kind nicht selbst stillt, gilt schnell als Rabenmutter. Sobald die Frau in der Öffentlichkeit dem Kind aber die Brust hinhält, ist es auch nicht recht. Die Kunst hingegen ist durchwoben von der Brust Mariens, die Gottes Sohn gebärt, ihn nährt. Als Motiv der “Maria lactans” ist ihre Brust freigelegt, hat einen genau festgelegten Zweck. Hochstilisiert wird sie zum Symbol, ist weit entfernt von weiblicher Realität.

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, “Transformer No. 3 (breastfeeding)”, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

In den Arbeiten der deutsch-iranischen Künstlerin Nigin Beck verweben sich christliche und persische Traditionen. Mythen rund um Liebe, Verlust und Nostalgie lassen sich in ihren großformatigen Textilarbeiten ausmachen. Diese sind üppig, geschmeidig, weich. Nostalgische Wehmut spinnt ihre Fäden über die Stoffe und die Augen bis in die Herzen der Betrachter*innen. All das könnte kitschig, zu schön sein, doch wird die Oberfläche von vielschichtigen Narrativen durchwoben, die gedankliche Tiefe offenbaren. Es sind Geschichten, die von Vergangenem erzählen, von gebrochenen Biografien und tief empfundenen Emotionen.

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

Stoffe umgeben uns wie eine zweite Haut, umschließen uns wie ein Kokon, sind Ausdrucksmittel wie Schutzschild. Die von Beck genutzten Textilien sind fabrikneu, werden allerdings von ihr bearbeitet, sind durch Schadstellen vermeintlich minderwertig. Risse, Flecken, fehlende Knöpfe berichten von einer ganz eigenen Vergangenheit der Dinge, auf welchen sich wie auf Durchschlagpapier unser Leben niederschlägt. Anhand von geflickten Rissen, an Narben erinnernden wulstigen Nähten, zeigt sich, was sonst unausgesprochen bleibt. So ließen sich für die Künstlerin ihre iranischen Wurzeln vor allem an Kleidung, Decken, Vorhängen, den Besitztümern ihrer Familie ablesen. Über Holz gespannt wirken die Stoffe in der Ausstellung wie Polster mit gleich Intarsien eingelassenen Keramiken. Alle gezeigten Arbeiten sind dabei eigens für den Kölner Off-Space entstanden.

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, “A Womyn’s Festival”, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

Frauen sind gleichberechtigt. Sie können heute alles haben, Karriere und Kind. Aber ist das wirklich so? Es ist an der Frau, das Kind auszutragen, die Rush Hour des Lebens mit kleinem Kind zu meistern, mit postnatalen Depressionen umzugehen und sich dabei im Job nichts anmerken zu lassen. “Transformers” zeigt die Veränderung des weiblichen Körpers im Verlauf eines Lebens, von kindlichen Brüsten bis zu solchen nach einer Schwangerschaft. Sie brechen durch Mauern aus Keramik, lugen aus grobmaschig gehäkeltem Vorhang, wenn freigelegt wird, was sonst versteckt bleibt. Denn Mutterschaft scheint in der Kunst noch immer ein Tabu zu sein, bezogen sowohl auf das Bildsujet als auch auf die unmittelbare Lebensrealität von Künstlerinnen.

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

Angesichts der langen Tradition einer recht einseitigen Betrachtung des Motivs der liebenden Mutter mit Kind und eines vom Blick vornehmlich männlicher Künstler geprägten Mutter-Bildes wird der Facettenreichtum von realer Mutterschaft allzu gerne ausgeblendet. Auch wenn Frauen mittlerweile zunehmend mehr Präsenz in der Kunstwelt erhalten, Museen bei Ausstellungen auf ausgewogene Geschlechterverhältnisse achten und bei der letzten Biennale weibliche Positionen sogar in der Mehrzahl waren, stellt Mutterschaft noch immer eine Herausforderung im Kunstbetrieb dar, scheint die Vereinbarkeit von Kind und Kunst sich als schwieriges Unterfangen zu gestalten. Selbst die großen weiblichen Vorbilder Marina Abramović und Tracey Emin tätigten Aussagen zur Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere im Kunstbetrieb. 

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Installationsansicht “Transformers”, Nigin Beck, “A Womyn’s Festival”, Mauer, Foto: Mareike Tocha.

Immer wieder hört man von abgesagten Galerieausstellungen angesichts einer Schwangerschaft, von an Kunstakademien erteilten Empfehlungen zur Kinderlosigkeit. Dabei schließt Mutterschaft kreative Schaffenskraft selbstverständlich nicht aus, sondern dient möglicherweise sogar als Quelle der Inspiration. So erging es auch der Künstlerin, deren Schwangerschaft angesichts Akademiestudiums und Kunstschaffens in den Hintergrund geriet, gemeinsam mit den Veränderungen ihres Körpers. All das ist trotz der vermeintlichen Fortschrittlichkeit der Kunstwelt eine Erzählung von verkrusteten Machtstrukturen und veralteten Rollenverständnissen. Vielleicht ist es an der Zeit, für eine mit Stolz geschwellte Brust.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 11. Juni.
WO: Mauer, Gereonswall 110, 50670 Köln.

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