Mal streicheln, mal kräftig zuhauen
Harry Hachmeister über die Schönheit von Berührung

8. Januar 2021 • Text von

Harry Hachmeisters Ausstellung „Straße im Sonnenlicht“ bei fiebach, minninger macht Lust auf viele Dinge, die im Moment nicht erlaubt sind: auf Anfassen, Streicheln und sogar auf einen Besuch im Fitnessstudio. Warum all das zu seinem Plan von Sinnlichkeit gehört, erklärt uns der Künstler im Interview.

Installationsansicht: Harry Hachmeister “Straße im Sonnenlicht”. fiebach, minninger, 2020. Foto: fiebach, minninger.

Das erste, was auffällt, sind die Katzen: Mal groß, mal klein, mal zwei- und mal dreidimensional tummeln sich die keramischen Vierbeiner zwischen Malerei, Zeichnung, Skulptur und Fotografie von Harry Hachmeister. Sie sind Teil der Ausstellung „Straße im Sonnenlicht“ in der Kölner Galerie fiebach, minninger. Die Inspiration für den Titel der Schau war ein Gemälde von Félix Vallotton, das eine sonnige Straße mit zwei kleinen Kätzchen im Vordergrund zeigt. Gefunden hat Hachmeister es in einem Buch über Katzen in der Kunst. Die Ausstellung ist ebenfalls an eine Straßenszene angelehnt und erinnert dank Rollgerüst, Kettlebells und Schubkarre an einen spannenden Mix aus Muckibude und Baustelle. Mit gallerytalk.net spricht Harry Hachmeister über seine Vorliebe für Fitnessstudios, über Körperlichkeit und Berührung.

Installationsansichten: Harry Hachmeister “Straße im Sonnenlicht”. fiebach, minninger, 2020. Foto: fiebach, minninger.

gallerytalk.net: So ein Buch über Katzen in der Kunstgeschichte hatte vermutlich jede*r schon mal in der Hand. Warum sind wir nochmal so fasziniert von denen?
Harry Hachmeister: Zu meiner Verteidigung: Gekauft habe ich mir das Buch nicht! Ich liebe Bibliotheken und habe es mir dort ausgeliehen. Katzen tauchen ja seit Jahrhunderten in Gemälden auf, zum Beispiel ganz nebenbei unter einem Tisch. Auch bei Vallotton sind sie eher ein Bilddetail, sie schleichen sich fast schon raus. Von Hunden habe ich so ein Buch übrigens noch nie gesehen, da sind Katzen echt was Besonderes.

Und du machst sie nun bewusst zu Subjekten deiner Ausstellung?
Meine erste Katze ist eigentlich für eine andere Ausstellung entstanden. Das ist die, die auf dem Gerüst sitzt. Es gab schon eine Malerei von einer Katze und ich wollte gerne, dass eine plastische Katze darauf Bezug nimmt und so ein Dialog entsteht. Dadurch, dass sie nicht wirklich dreidimensional ist, wollte ich die Skulptur als Gattung auch ein bisschen Hops nehmen. Mit wenig Material großen Eindruck zu gewinnen, das fand ich spannend. Durch zahlreiche Verschiebungen fand die Ausstellung bei fiebach, minninger nun zuerst statt – da wollte ich die Katze unbedingt zeigen, die hat quasi gewartet.

Harry Hachmeister. Selbstporträt im Studio, 2017.

Dann kamen noch weitere dazu und haben sogar Namen bekommen …
Genau, bei den weiteren Katzen habe ich noch mehr herumexperimentiert, zum Beispiel bei der zweidimensionalen Katze „Esmeralda“ mit dem dreidimensionalen Schwanz. Das mit den Namen hängt wohl damit zusammen, dass ich alle Dinge, die ich mache, auch personifiziere. Bei Haustieren bietet sich das natürlich an. Namen vergibt man aber auch, wenn etwas Wiedererkennungswert hat, beispielsweise meine Hanteln. Da sie alle individuell sind, habe ich sie auch benannt.

Gutes Stichwort! Die Hanteln und Kettlebells lassen an ein Sportstudio denken. Was fasziniert dich daran?
Mit den Fitnessgeräten habe ich angefangen, weil ich selbst ins Fitnessstudio gegangen bin und mich gefragt habe, wieso dort immer alles so ernst und dunkel und schwer sein muss. Man hört echt selten Leute lachen. Das ist ein Raum von unglaublicher Ernsthaftigkeit, nichts ist albern oder übertrieben. Das hat mich an eine bestimmte Art von Kunstverständnis erinnert, an die „hohe Kunst“, die auch sehr ernst genommen wird. Da ist ebenfalls nichts spielerisch oder lustig, da ist richtig was dahinter. Das Thema Männlichkeit wird auch immer mit dieser Ernsthaftigkeit assoziiert, mit dunklen Farben. Daher hat es mich gereizt, etwas zu machen, was ein bisschen zuwider läuft.

Installationsansichten: Harry Hachmeister “Straße im Sonnenlicht”. fiebach, minninger, 2020. Foto: fiebach, minninger.

Sind Männlichkeit und körperliche Arbeit auch für die Verbindung zur Baustelle verantwortlich?
Letztes Jahr habe ich eine Fotostrecke mit meinen Keramiken im Stadtraum aufgenommen. Meine Freundin war das Modell und ist mit den Skulpturen rumgelaufen, da sie in Benutzung gezeigt werden sollten. Da habe ich gemerkt, dass Sand, Kies und Stein ästhetisch super funktionieren. Außerdem kam natürlich noch der inhaltliche Aspekt hinzu, es geht schließlich bei beiden Themen um körperliche Transformation und schwere Arbeit.

Bei fiebach, minninger zeigst du aber nicht nur Skulpturen, sondern auch Zeichnung, Fotografie und Malerei.
Irgendwie war das schon immer so. Ich habe Fotografie, Malereien und Objekte schon bei meiner Diplomausstellung zusammen gezeigt. Sie entstehen parallel und bedingen sich teilweise gegenseitig. Es sind keine voneinander abgetrennte Bereiche. Eine Besucherin hat bei meiner Ausstellung in Leipzig letztes Jahr gefragt, wer denn die Künstler*innen seien. Sie war ganz überrascht, dass alles von einer einzigen Person kam. Ich mag die Vorstellung, dass das nicht so eindeutig ist.

Installationsansicht: Harry Hachmeister “Straße im Sonnenlicht”. fiebach, minninger, 2020. Foto: fiebach, minninger.

Auf Instagram gehst du häufig auf Tuchfühlung mit deinen Arbeiten, hältst sie im Arm oder in der Hand. Ist dir der Aspekt der Berührung auch im Herstellungsprozess so wichtig?
Absolut! Es ist tatsächlich eine andere Form von sinnlicher Erfahrung, mit Keramik zu arbeiten. Auf mehreren Ebenen ist Ton etwas extrem Körperliches: Mal geht es ums Streicheln, manchmal muss man aber auch kräftig zuhauen. Ich liebe es sehr, wenn man die Kunst auch anfassen kann. Prinzipiell bin ich für das Berühren oder am besten Hochheben: Manche meiner Arbeiten sind innen hohl, auch wenn sie sehr massiv erscheinen. Das erlaubt nochmal eine ganz andere Erfahrung.

Also dürfen die Katzen demnächst auch gestreichelt werden?
Vielleicht sollte ich mal eine herstellen, die alle anfassen dürfen. Das ist ja in Ausstellungen eher unüblich. Irgendwann ist die dann schon ganz abgerubbelt an bestimmten Stellen. Obwohl Keramiken ziemlich hart im Nehmen sind, zumindest dann, wenn sie glasiert sind. Als Kind fand ich das schon faszinierend: Diese Statuen im öffentlichen Raum, die immer angefasst werden und einen ganz freigeschrubbten Fuß haben.

Installationsansichten: Harry Hachmeister “Straße im Sonnenlicht”. fiebach, minninger, 2020. Foto: fiebach, minninger.

Apropos Beständigkeit: Wie haben sich die Quarantäne und die letzten Monate auf deine Arbeit ausgewirkt und was hast du mitgenommen?
Alles wurde verschoben und ich bin vom High-End-Energie-Level auf 0 gerutscht. Das hat erstmal für eine Stagnation gesorgt. Im Laufe der Zeit habe ich ein stärkeres politisches Bewusstsein entwickelt und mich viel informiert. Irgendwann musste ich mir sogar ein Nachrichtenverbot erteilen. Schließlich hat sich mir auch die Sinnfrage gestellt, auch im Zusammenhang mit der Frage nach Systemrelevanz von Bildenden Künstler*innen. Corona hat gezeigt, dass wir eben nicht alle gleich sind und nicht dieselben Voraussetzungen haben, obwohl es eine globale Pandemie ist. Es ist deutlich geworden, dass es manchen Leuten einfach besser geht als anderen. Das ist super deprimierend und scheiße und meine Hoffnung wäre, dass sich das ändert.

WANN? Die Ausstellung „Straße im Sonnenlicht“ wurde bis mindestens Mitte Februar 2021 verlängert.
WO? fiebach, minninger, Venloer Straße 26, 50672 Köln.

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