Die Frau die das Licht sprechen lässt Brigitte Kowanz bei Häusler Contemporary
21. Oktober 2017 • Text von Julie Göllner
Das Internet dürfte mittlerweile selbst für die alten neue Bundeskanzlerin kein “Neuland” mehr sein. Denn nicht nur ihr Leben synchronisiert sich unablässig zwischen realen und virtuellen Räumen. Dennoch ist die Digitalisierung ähnlich schwer greifbar wie die Unendlichkeit oder der Urknall. Brigitte Kowanz widmet sich diesem abstrakten Phänomen jetzt in einer Ausstellung.
Die Digitalisierung hat in den letzten 25 Jahren das Arbeits- und Privatleben der Menschen in einem Ausmaß verändert, dass man sich wundern muss, wie die Netzwerkgesellschaft eigentlich vor dem Internet ihren Lebensunterhalt bestritten hat. Denn nur durch seine “Portable Devices” scheint das moderne Individuum im heutigen Alltagsdschungel überhaupt überlebensfähig zu sein. Außergewöhnlich ist hierbei vor allem, dass die explosionsartige Verbreitung der Informationstechnologie vor allem die ältere Generation der Kreativschaffenden in ihren Bann gezogen hat. So verhält es sich zumindest mit der Wiener Künstlerin Brigitte Kowanz, die mit ihrer Vorliebe für schmale Brillen einem Matrix-Film entsprungen sein könnte. Gleiches gilt für den Filmemacher Werner Herzog, der diesem enigmatischen Thema in seiner Dokumentation “Wovon träumt das Internet” auf den Grund geht. Zwei geistreiche Annäherung an das Thema der Digitalisierung, insbesondere, da sowohl Herzog als auch Kowanz mit dem vorher- und nachher der Digitalisierung vertraut sind und den sozialen Transformationsprozess aktiv miterlebt haben.
Der 60-jährigen Künstlerin wurde dieses Jahr die Ehre zuteil, an der Seite von Erwin Wurm den österreichischen Pavillon in Venedig zu bespielen – ein unbestrittenes Highlight der 57. Biennale. Seit Anfang September sind außerdem fünf ihrer aktuellsten Arbeiten in der Münchner Häusler Contemporary Galerie unter dem Titel “Codes and Cables” zu entdecken. Dabei dürfte jeder in München mit den Arbeiten von Kowanz bereits vertraut sein, denn im Zweifelsfall ist er schon einmal bewusst oder unbewusst – vermutlich auf dem Weg in das Bob Beaman – an Kowanz Lichtparitur vorbeigestolpert, die seit 2000/2001 das MEAG-Gebäude am Oskar-von-Miller-Ring schmückt.
Die “Cables” werden durch die elegant geschwungenen Neonröhren dargestellt, die von einem futuristisch anmutenden, weißen und blauen Licht erleuchtet werden – keine zufällig gewählte Allegorie auf das Internet. Die spezifischen Formen der jeweiligen Arbeiten werden von der Künstlerin handschriftlich skizziert, anschließend digitalisiert und einer Glasbläserei zur Fertigstellung übergeben. Das Licht ist seit den 80er Jahren das auserwählte Medium der Künstlerin, mit dessen Hilfe sie die reale Raumerfahrung erweitert. Die Digitalisierung als Expansion des virtuellen Raumes stellt dabei eine logische Weiterentwicklung ihres Œuvres dar. Im Gegensatz zu der klassischen Malerei ist Kowanz dabei nicht am Licht als Medium zur Potenzierung von Farbe interessiert, sondern als Mittel zur Kommunikation. Sie übersetzt Lichtzeichen in binäre Morsecodes, die durch helle und dunkle Abschnitte auf der Neonröhre sichtbar werden. Der elektronische oder auch binäre Code basiert lediglich auf zwei Befehlen: null und eins – oder in Kowanz Ausführungen – Licht und Dunkel. Mithilfe dieser Technik wird das Licht zunächst in einen universellen Code verwandelt, der sich anhand des Morsealphabets decodieren und in ein numerisches oder alphabetisches System übersetzen lässt. Denn wie bereits Jacques Lacan feststellte, ist die Sprache nur ein universeller Code der Welterfahrung.
In “Codes and Cables” erweitert Kowanz ihr thematisches Spektrum und stellt die Digitalisierung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Gründung der Europäischen Union. Verschlüsselt in Morsecodes hat die Künstlerin Eckdaten der jüngsten europäischen Geschichte in ihre Arbeiten integriert. Den 24. Oktober 1945 beispielsweise, der Tag an dem die UNO-Charta in Kraft trat, den Beschluss über die Gründung der EU am 19. November 2011, die Einführung des Euros am 1. Januar 2002 oder die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union am 12. Oktober 2012. Dass Kowanz eine leidenschaftliche Anhängerin der europäischen Idee ist, liegt dabei auf der Hand. Welchen Beitrag jedoch die Digitalisierung zur Entstehung der EU geleistet hat, ist ein origineller Denkansatz, der in Bezug auf historische Ereignisse politische Bedeutung findet. Ihre Arbeiten veranschaulichen dabei, wie subjektiv Geschichte wahrgenommen werden kann, denn allein die Selektion dieser Daten generiert neue Verknüpfungen und stellt Verbindungen her die zwar naheliegen, aber keineswegs offensichtlich sind.
Der Verweis auf die binäre Codierung als Operationsbasis und Ausgangspunkt des Internets greift die Digitalisierung wieder auf und schließt so den thematischen Kreislauf. Kowanz erschafft ein raffiniertes System aus Lichtzeichen mit dem sie dieses abstrakte Phänomen auf seine Essenz reduziert und für den Betrachter zugänglich macht. Durch die Kombination aus primären und hochtechnisierten Elementen erschafft sie zeitlose Kunst der realen Virtualität. Ihre Kunst erfüllt dabei eine wichtige Aufgabe: Sie leitet dazu an, genauer hinzusehen, zu verstehen, kritisch zu hinterfragen und nicht nur Nutz(er)nießer zu sein. Dabei geht Kowanz keineswegs wertend vor, sondern führt lediglich die Digitalisierung als eine grundlegende Voraussetzung für die Entstehung der Europäischen Union an.
WANN: Die Ausstellung kann noch bis zum 31. Oktober 2017 besucht werden.
WO: Häusler Contemporary, Maximilianstrasse 35, 80539 München.