Ist die Malerei tot?
I. S. Kalter bei Gold + Beton

16. Juni 2023 • Text von

Verwundete Gemälde mit zerklüfteten Oberflächen, gebrochenen Knochen und offenen Wunden gewähren tiefe Einblicke in das oft totgesagte Medium Malerei. Dabei sind es nicht einmal klassische Gemälde, die derzeit im Kölner Off-Space Gold + Beton präsentiert werden, sondern mehr Assemblagen aus rotbraun geschichteten Papierlagen. Ist in den Werken des israelischen Künstlers I. S. Kalter nun tatsächlich der viel propagierte Tod der Malerei Wirklichkeit geworden?

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Installation view “Traumnovelle”, I. S. Kalter, Gold+Beton, 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

In dieser Nacht träumte ich von einem Raum voller Menschen, wie sie lachten, tanzten, einander Geschichten erzählten. Und mitten unter ihnen saß ich, wie ich lachen und tanzen und reden mochte, wie meine Zunge bebte und doch kein Wort über meine Lippen kam. Je länger ich das wilde Treiben verfolgte, desto weniger sah ich, hörte ich, spürte ich etwas, bis all mein äußerliches Sein in Gänze erstarrte. Als mir gewahr wurde, dass ich vollkommen blind und taub und stumm war, öffnete ich meinen Mund, meine Augen, doch konnte ich nichts sehen, nichts hören, kein Laut löste sich von meinen Lippen. All meine Sinne waren plötzlich erloschen, doch nicht abgestorben, nicht unwiederbringlich verloren. Augen, Ohren und Mund waren stattdessen von einer dünnen Haut überwachsen, als wollten sie mein Innerstes schützen, als versuchten sie meine Augen, von dem, was sie sahen, zu heilen.

Ein Maschendrahtzaun durchzieht den Raum. Trennt das Außen vom Innen, gewährt breitmaschig Einblick auf rotbraune Farblandschaften, die auf der Wand lagern, verwundete Oberflächen tragen und deren Holzrahmen zu allen Seiten hin auskragen. Mit dünnen Stricken verbundene Kreuze lassen sich zuweilen in den Ecken ausmachen, winzig kleine. Die wächsernen Oberflächen sind durchfurcht von tiefen Falten, haben Narben, hängen als Fetzen bis über den Rahmen. Es scheint, als hätte hier jemand eine Blutung zu stillen versucht und die verwendeten Tücher mit den rostbraunen Spuren hastig an der Wand aufgehängt. Doch wer ist das Opfer und was war die Waffe, die das Blutbad verursachte? Oder war es der Schnitt durch die eigene Hand?

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Installation view “Traumnovelle”, I. S. Kalter, Gold+Beton, 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

Um die Ausstellung des israelischen Künstlers I. S. Kalter zu betreten, müssen Besucher*innen selbst durch eine Öffnung im Maschendrahtzaun steigen, sich in vermeintliches Sperrgebiet hineinbegeben. Ein Abflussrohr hängt silbrig glänzend zwischen den versehrten Werken, die zuweilen über ihre eigenen Grenzen treten. Trockenes Laub fällt durch das Rohr bis auf den Boden, sammelt sich am Grund in einem kleinen Haufen. An nichts als Leere oberhalb angeschlossen, erzählt das metallische Rundgehäuse von verlassenen Architekturen, lange nicht bewohnten Häusern. Die blassen Herbstblätter würden bei Berührung wohl zu Staub zerfallen, zwischen den Fingern knistern. Lange ist hier nichts mehr geflossen, außer Blut, aber das ist längst getrocknet.

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Installation view “Traumnovelle”, I. S. Kalter, Gold+Beton, 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

Ein Tunnel aus Zaun führt in den hinteren Raum des Kölner Off-Space Gold + Beton. Hier finden sich weitere Arbeiten hinter der Theke, bilden fast einen Schrein von hängenden Bildkadavern, die gleich Objekten dreidimensional wirken. Von Farbe wie von Blut getränkte Stoffe als Assemblagen unterschiedlicher Formate reihen sich monochrom aneinander, bilden mal Gebirgszüge aus und mal Krater. Weit auseinander klaffen die Lücken zwischen den aufgebrachten Tüchern, wie Wunden, die es längst nicht mehr lohnt zusammenzufügen. Als wäre alles für die Rettung getan worden und eine solche doch nicht gelungen. Nur eine Arbeit hängt außerhalb der Begrenzung, ist ikonengleich platziert, als würden die Betrachter*innen ihr gezielt zugeführt. Ein dunkles Quadrat auf rotbraunem Grund umgeben von hölzernem Keilrahmen.

GT I. S. Kalter Untitled (Wound With Bandage) 2022 Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton min
I. S. Kalter, Untitled (Wound With Bandage), 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

Zerklüftete Wüstengebiete, sturmgepeitschte Topografien entstehen durch das Material selbst, wenn Pappmaché den Untergrund in schäumende Wellen legt, ihn aus der Fläche heraus Schicht um Schicht kreiert. Dicke wulstige Überlappungen, als würde eingeschnittenes Fleisch falsch wieder zusammenwachsen. All die Risse, Narben, Falten scheinen von Vergangenheit zu künden, wo eigentlich keine ist. Auch wenn die Bilder von einer Patina überzogen, an eine Historie anzuknüpfen scheinen, sind sie doch alt aus der Taufe gehoben, blutiges Schweißtuch einer nicht existenten Historie. Vielmehr erzählen sie von erinnerten Orten, die erneut aufgesucht, ganz anders aussehen als erwartet.

Ein verwundetes Sein ist merklich in jeder Unebenheit, die seine Existenz bezeugt und zugleich seine Abwesenheit. Leben wie Tod sind in die Oberfläche eingeschrieben, wenn die Bilder ein schmerzendes Ich evozieren. Einen unbekannten Körper unaufhörlich umkreisend, sind sie gleichsam entkörperlicht. Doch die Betrachter*innen können sie dennoch sehen, die Hände, die wie in blindem Tasten Bandagen aufbrachten. Kaum etwas lässt uns so sehr lebendig fühlen wie Schmerz, sobald das Adrenalin in den Körper schießt, Kraft entfesselt, die ein Überleben überhaupt erst ermöglicht. Paradox eigentlich, können sie doch auch das Ende einleiten. Farbe und Form legen Zeugnis eines Gewesenen ab, wenn sie an den Wänden gleich Reliquien angebracht verbleiben.

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I. S. Kalter, Untitled (Wound With Bandage), 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

Alle gezeigten Arbeiten des israelischen Künstlers sind während seines Aufenthalts im Kontext der Bronner Residency in Düsseldorf im vergangenen Jahr entstanden. Von Juli bis Dezember schuf Kalter über zwanzig neue Gemälde, Assemblagen, die sich nun in die brutalistische Architektur des Ebertplatzes einbetten. Das Setting der Ausstellung scheint einem Alptraum zu entstammen, geformt aus düsteren Narrativen. Der Titel „Traumnovelle“ ist jedoch der 1925 erschienenen Novelle von Arthur Schnitzler entlehnt. Mit schlafenden Augen und im Traum begriffenem Geist steigen die Besucher*innen aus Dunkelheit durch Maschendraht in dunkle Träume, tun es dem Protagonisten Fridolin gleich. Offenbaren sich ihnen beim Abstieg in die eigene Psyche ähnlich dunkle Begierden und unerfüllte Wünsche? Das Unbewusste nimmt Form an, ragt aus den Bildern bis in die Wirklichkeit, erschafft aus dem unterbewussten Gedankendunkel reale physische Räume. Traum und Alptraum sind eng verwoben, gleichen Leben und Tod. So kann uns beides gleichermaßen innewohnen, wenn wir im Zwischenzustand verharrend durch die Realität wandeln wie untot.

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Installation view “Traumnovelle”, I. S. Kalter, Gold+Beton, 2022, Courtesy of I.S. Kalter and Gold+Beton.

Ist es das Ende der Malerei? Eine Frage, die nicht selten am Beginn einer Auseinandersetzung mit dem tradierten Medium steht. Bei I.S. Kalter scheint es, als wenn die Bilder selbst Wunden tragen, Knochenbrüche erleiden und an ihrer eigenen Oberfläche kranken. Kalter entwickelt dabei nicht nur das Material eigenhändig, sondern auch die Rahmen, widmet sich seinen malerischen Untersuchungen in individuellen Formaten. Auch verwendet er keine handelsüblichen Pinsel, um die zerklüfteten Oberflächen zu erschaffen, sondern als profan geltendes Pappmaché. Hybride Objekte also sind es, die zwischen Fläche und Raum wechseln, sich weder als das eine noch das andere manifestieren, sondern im Zustand dazwischen gefangen bleiben. Solitär und doch in eine Historie eingebunden, kehren sie scheinbar grundlos Empfindungen von Neugier, Traurigkeit und Bewunderung hervor. I. S. Kalter nimmt eine Operation am offenen Herzen der Malerei vor, doch ihr Ende war bisher immer ein Neubeginn. Frei nach dem Motto: Die Malerei ist tot – es lebe die Malerei!

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 2. Juli.
WO: GOLD + BETON, Ebertplatzpassagen, Köln.

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