Queeres Gedenken
Martin Maeller und Alexander Iezzi bei Mélange

20. Juli 2023 • Text von

Im Kölner Off-Space Mélange scheint mit “into a dead spider’s” ein Ort von Trauer und Gedenken eingerichtet. In der düster anmutenden Doppelausstellung von Alexander Iezzi und Martin Maeller finden sich ambivalente Objekte, die sich mit Fragen von Identität auf der Suche nach Zugehörigkeit, Sensibilität und Verletzlichkeit auseinandersetzen.

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Martin Maeller, untitled (cold world), 27 x 27 x 27 cm, silkscreen on PMMA, paper, 2023, photo: Simon Vogel.

Innerhalb an der Wand befindlichen Kästen liegen kleine, unscheinbare Zettel wie in gläsernen Särgen. “I want to build you a garden filled with roses for each day the cold world caused your heart to harden” steht auf einem der Papiere geschrieben. Sie wirken wie in Vitrinen eingeschlossene Sprüche aus Glückskeksen oder als bedruckte Würfel aus Acrylglas wie kostbare Reliquienkästchen mit im Innern verwahrten Fürbitten. “Flowers for the ones you’ve loved, flowers for the lost I’ve seen” ist auf dem Zettel in einem der anderen durchscheinenden Glaskästen lesbar. Sie werden von auf die Scheiben aufgebrachten transluzenten Augen, Krallen und Mäulern umgeben. Die animalischen Drohgebärden eskortieren poetische Versatzstücke des Künstlers Martin Maeller, die von sensibler Zartheit in einer kaltherzigen Welt erzählen. Dem entspricht auch “Soft sorrow”, das in neonfarbenen Lettern auf eine bedornte Rute, einen metallischen Rosenzweig aufgebracht wurde.

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Alexander Iezzi, Correspondance #3, shopping basket, rockwool, wax, tape, offset print, beads plastic, 42 x 30 x 20 cm, 2023, photo: Simon Vogel. // Alexander Iezzi, Baby Box (RM), drywall, cement, wax, wood, hairpins, plastic, offset prints, fabric, string, balloons, dimensions variable, 2023, photo: Simon Vogel.

Schwarze Ballons wollen vom Boden zur Decke steigen, doch winzige Architekturen halten als Gewichte dagegen. Es sind Miniaturhäuser mit ebenso kleinen Bildern von Alexander Iezzi, Menschen auf Gemälden mit gemalten Masken. Wer versteckt sich unter den breiten Farbstrichen? “Sorry” steht auf einer der Miniaturen, auf dem winzigen Haus aus weißen Kerzen. Es ist angeschlossen an einen von Fäden überspannten weißen Ballon, der einem sensiblen Außenorgan gleicht, einem von Nervenbahnen überzogenen Augapfel auf dem Boden. Rote Einkaufskörbe hängen zusätzlich wie Schreine an den Wänden, fassen unheimliche Bilder ein. Ungekochte Instantnudeln und Watte an den Rändern scheinen ein Tor in eine andere Welt zu sein.

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Installation view, “into a dead spider’s”, Martin Maeller and Alexander Iezzi, Mélange 2023, photo: Simon Vogel. // Martin Maeller, untitled (soft sorrow), bronze, PVC, 214 x 2 cm, 2022/2021, photo: Simon Vogel.

Maellers Objekte berichten von Menschen, die sich von der Welt aufgrund ihrer Identität abkapseln, die scheinbar nicht dazugehören und irgendwo im Dazwischen verschwinden. Ihre Zeit scheint stillzustehen, das Geschehen seinen Lauf unterbrochen zu haben, Schmetterlinge fliegen nicht mehr und Dornen haben ihre Rosen verloren. Was, wenn aber in vermeintlich toten Dingen noch Leben wohnt? So wie Flechten, winzige Pflanzen, für lange Zeit im Ruhezustand verharren können und dann entgegen widrigster Bedingungen erneut aus der Starre erwachen. Der harten Ästhetik von Maeller wohnen zarte poetische Gedanken inne, die von verlorenen Menschen mit harten Herzen berichten und sich in ambivalenten Bild-Wort-Kombinationen verzweigen.

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Installation view, “into a dead spider’s”, Martin Maeller and Alexander Iezzi, Mélange 2023, photo: Simon Vogel.

Schwarze Ballons, Kerzen, Rosen, erinnern an eine Trauer– oder Gedenkfeier. Wessen Verlust gibt es hier im Kölner Off-Space Mélange am Ebertplatz zu beklagen? Entsprechend dem Titel “Into a dead spider’s” fühlen sich die Besucher*innen als hätten sie sich in einem Spinnennetz verfangen, aus dem es sich nur schwerlich befreien lässt. Im Netz einer Spinne, die längst nicht mehr unter den Lebenden weilt. Trotzdem findet sich in unwirtlichsten Gegenden Leben, glitzert ein verlassenes Spinnennetz im Licht. Selbst aus kargen Ästen können im Frühling neue Blüten brechen, wie Blasen knospen auf geschundener Haut.

Vielleicht gibt es andere, ungekannte Formen des Gedenkens? Solche würden Kommunikation einschließen, die nicht menschlich ist. Iezzis Arbeiten fügen sich zu einer Art surrealem Bühnenbild, dringen in psychologische Untiefen vor. Verschiedenste Materialien collagieren sich zu einer abgründigen Komposition, vergleichbar mit seinen Soundpieces. Realität und Fiktion verschwimmen, wenn Bilder aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche treiben und solange dort verbleiben, bis sie wieder in wattigem Gedankenchaos verschwinden. Manchmal sind es Bilder wie aus Horrorfilmen, von Porzellanpuppen oder Zinnsoldaten. Bilder, die ebenfalls um Fragen von Identität kreisen. Wie würde die Welt wohl mit anderen Augen betrachtet aussehen? 

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Installation view, “into a dead spider’s”, Martin Maeller and Alexander Iezzi, Mélange 2023, photo: Simon Vogel.

Die von Patrick Haas kuratierte Ausstellung “Into a dead spider’s” verwebt die ambivalenten Objekte von Martin Maeller mit denen von Alexander Iezzi. Beide verbinden organische und industrielle Materialien miteinander, werfen bisher ungesehene Perspektiven auf Alltagsgegenstände, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören und kreisen um Fragen von Queerness sowie Identität. Ihre Kunst ruft ein Gefühl hervor, als würde man ein Glitzern auf dem Grund des Meeres wahrnehmen und es besitzen wollen. Einmal hinabgetaucht aber bemerken, dass kein wertvoller Schmuck, sondern eine Scherbe mit der eigenen Spiegelung am Boden sitzt. So blicken die Taucher*innen sich plötzlich selbst entgegen, sobald sie ganz nah, aber bereits versunken sind. Ähnlich den Besucher*innen der Ausstellung, die sich auf dem Grund der Arbeiten selbst begegnen.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 13. August.
WO: MÉLANGE, Ebertplatz 23, 50668 Köln.

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