Eingefrorene Augenblicke
Loretta Fahrenholz im Kölnischen Kunstverein

23. März 2022 • Text von

Bundesweit gelockerte Maßnahmen verheißen ein abruptes Ende der Pandemie. Auch wenn das angesichts der immer noch hohen Inzidenzen wohl eher ein Trugschluss ist, bietet sich diese Zäsur als Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme an. Wo stehen wir? Was bleibt von der sozialen Zwangspause? Und wohin gehen wir von hier aus? Fragen, denen sich die Medienkünstlerin Loretta Fahrenholz in einer Einzelausstellung im Kölnischen Kunstverein widmet. „Gap Years“ ist der Titel der Schau, die neben der gleichnamigen Fotoserie mit zwei Filmen aufwartet. 

Loretta Fahrenholz: Gap Years 10, 2021/2022. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz.

Der Kölnische Kunstverein wirft mit „Gap Years“ ein Schlaglicht auf eine Zeit des erzwungenen Stillstands. Auf eine Zeit der kollektiv gedrückten Pause-Taste, in der sich plötzlich physische und soziale Zwischenräume auftaten. Einer dieser Zwischenräume war und ist das weitläufige Tempelhofer Feld, das schon immer von einer wechselhaften Historie geprägt war. Diente es doch bereits als Naherholungsgebiet, Militärgelände, Flughafen und Massenversammlungsort in der NS-Zeit. Darüber hinaus beherbergte es in den Wirren der Geschichte sowohl ein KZ als auch den ersten Fußballtrainingsplatz in Deutschland. Kein Wunder also, dass der weitestgehend unkontrollierbare Ort in Pandemiezeiten ganz verschiedenartige Nutzung fand. 

Loretta Fahrenholz: Gap Years, 2021/2022. Installationsansicht Kölnischer Kunstverein, 2022. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz. Foto: Mareike Tocha.

Stroboskopartige Zeitrafferaufnahmen von Tischtennis-Spielenden, Rollschuhfahrenden, Picknick, Open-Air-Bondage, ferngesteuerten Autos oder improvisierten Raves gewähren Einblick in den bunten Facettenreichtum des Nicht-Ortes. Die Fotografien zeigen aufgegliedertes Sein in den Fugen des Alltags, innerhalb dessen die Zeit gleichzeitig schneller und langsamer zu vergehen scheint. Auf manchen der Bilder ziehen langgezogene Lichter Kreise, tun es dem Leben gleich. Dabei mutet die Serie wie eine Reihe von Bewegungsstudien an, anhand derer sich Zeit und Raum mithilfe von Rhythmen strukturieren lassen. Inspiriert von den fotografischen Experimenten Gjon Milis in der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigt „Gap Years“ Bewegung im Stillstand, Menschen gefangen in der gallertartigen Masse des Moments. Bewegungen des Kopfes lassen zuweilen janusköpfige Bilder entstehen, die ebenso nach vorne wie zurück blicken. Es sind Fotografien, die vor allem eins sind: eingefrorene Augenblicke.

Loretta Fahrenholz: Gap Years, 2022. Installationsansicht Kölnischer Kunstverein, 2022. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz. Foto: Mareike Tocha.

Umfangen von Fotografien zeigen an ausgedienten Basketballkörben befestigte Bildschirme den Film „Happy Birthday“, der zunächst ein einsames Lustwandeln durch eine Belle Époque‘sche Idylle präsentiert. Die Unbeschwertheit der Freizeitaktivitäten auf dem sommerlichen Tempelhofer Feld erinnert dabei fast an die lichte Farbigkeit des Sonntagnachmittags von Georges Seurat. Die Perspektive bei Fahrenholz aber ist anders. Ein vereinzelter Protagonist spaziert in Ego-Shooter Videospiel-Ästhetik durch das geschäftige Treiben. Neben ihm ploppen in kleinen Fenstern kurze Videos wie Tik Toks auf. Es sind Glückwünsche von Familie und Freunden aus der Ferne, bestehend aus melodischen Ständchen, geteilten Erinnerungen, Ermutigungen, Beschimpfungen, zweideutigen Nachrichten und existenziellen Gedankenschleifen. Wir haben teil an dieser einsamen „Geburtstagsfeier“ wie sie so viele von uns während der Pandemie gefeiert haben. Zugleich haben wir auch teil an der Teilnahmslosigkeit des Protagonisten, der sich zu keinerlei Emotion hinreißen lässt, sich dem emotionalen Druck von Außen verwehrt. Allein ein Nachahmen des lauten Vogelgezwitschers entlockt sich seinen ansonsten stummen Lippen, ein leises Zwiegespräch mit der Natur. 

Loretta Fahrenholz: Gap Years, 2022. Installationsansicht Kölnischer Kunstverein, 2022. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz. Foto: Mareike Tocha.

Zwischenzeitlich bewegen sich die ihn umgebenden Menschen in Zeitlupe, sind Ausdruck des verlorenen Zeitgefühls während des pandemiebedingten gesellschaftlichen Kollapses. Alles scheint gleichzeitig zu passieren, wenn im digitalen Raum Eindrücke und Informationen in schier unüberschaubarer Menge auf den Einzelnen einprasseln. Die überwältigende Masse an Emotion adressierenden Videos und Bildern bewirkt zumeist jedoch das genaue Gegenteil: ein zunehmendes Abstumpfen. Der zu Beginn lebhafte Sommertag verdunkelt sich im Verlauf des Films zusehends. Es wird Abend und dann Nacht als das Video endet und der Protagonist noch immer ziellos durch unbestimmte Gefilde wandert.

Loretta Fahrenholz: Documenta Dreams, 2021. Filmstill. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz.

Im hauseigenen Kinosaal läuft eine weitere filmische Arbeit: „Documenta Dream“. In Anlehnung an das Home Movie „Disneyland Dream“ aus den 1950er Jahren zeigt der Film einen Zusammenschnitt aus selbstgedrehten Amateur-Aufnahmen von verschiedenen documenta-Schauen. Ausschnitte von dokumentarischem Material werden auf Flüssigkeiten wie Sonnenblumenöl, Aloe Vera oder Spülmittel projiziert. So entsteht ein Schneegestöber aus verzerrten Erinnerungen, die dickflüssig von oben herunterrinnen, sich milchig vor die Linse legen und nur manche Stellen wie durch ein Guckloch klar erscheinen lassen. Im Strudel aus Kunstwerken manifestiert sich das stete Verrinnen der Zeit. Menschen inmitten von Kunst wirken wie unter dem Mikroskop betrachtet, wie in Harz eingeschlossene Partikel, Luftblasen, die jederzeit zerplatzen könnten. An manchen Stellen verdichten sich die Partikel, verdichtet sich die Wirklichkeit, tritt in wabenartigen Strukturen vor das betrachtende Auge. Im Hintergrund sind Klänge von Windspielen, Glocken und Donnergrollen zu hören. Weit entfernte Stimmen klingen wie unter Wasser dumpf gehörtes Rauschen. „documenta Dream“ ist wie „Gap Years“ und „Happy Birthday“ ein Spiel mit Erinnerungen und Wahrnehmung, mit Zeit und Raum, die mithilfe des Körpers als Gradmesser bestimmbar werden.

Loretta Fahrenholz: Gap Years, 2021/2022. Installationsansicht Kölnischer Kunstverein, 2022. Courtesy: die Künstlerin und Galerie Buchholz. Foto: Mareike Tocha.

Im Setting des Kunstvereins schweben die gezeigten Arbeiten im Raum, sind kunstvoll an Decke und Boden befestigt, bilden Verstrebungen wie ein Netz aus diffusen Erinnerungen. Sie legen sich vor den blühenden Baum im Innenhof, der das filmisch aufgenommene Tempelhofer Feld hinterfängt. Sie ploppen vor dem scheinbar zur Normalität zurückgefundenen Kölner Straßenverkehr auf, der durch die großen Fensterscheiben sichtbar dahinfließt. Die Ausstellung selbst ist ein gefühltes „Gap Year“, eine Auszeit zwischen Arbeit und Verantwortung. Wenn die Tür des Kunstvereins nach dem Ausstellungsbesuch hinter den Besuchenden ins Schloss fällt, bleibt die Frage: Wohin von hier aus?

WANN: Die Ausstellung „Loretta Fahrenholz – Gap Years“ läuft bis Sonntag, den 26. Juni.
WO: Kölnischer Kunstverein, Hahnenstraße 6, 50667 Köln.

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