Alles wird gut
„Club Quarantina“ bei wildpalms

13. August 2021 • Text von

Wie reagierten Künstler*innen auf den ersten Lockdown? Welche Hoffnungen und Ängste spiegeln sich in ihren in dieser Zeit entstandenen Werken? „Club Quarantina“ in der Galerie wildpalms blickt multiperspektivisch auf die Anfangsphase der Pandemie zurück, die als Brandbeschleuniger gesellschaftliche Fragen offenlegte, und zeigt Künstler*innen als Seismographen des Wandels zwischen Resignation und Revolution.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

„Alles wird gut“ prangt in großen weißen Lettern auf grünem Grund. Ein beruhigender Satz, oft mehr eine Floskel, und doch zeugt er von einem tief verankerten Grundvertrauen in die Welt. Ein Grundvertrauen, das am 11. März 2020 nachhaltig erschüttert wurde, als die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 offiziell zur Pandemie erklärte. Es folgten Ausgangssperren, Monate der Ungewissheit, die als Jahrhundertereignis in die Geschichte eingehen werden. Unser Zusammenleben betreffende Fragen wurden unter dem Brennglas der Pandemie offensichtlicher und die Gräben tiefer als je zuvor. Schnell verlagerte sich das gesellschaftliche Leben in den virtuellen Raum, in dem nicht nur Ausstellungseröffnungen, sondern auch Clubnächte wie der queere „CLUB QUARANTINE“ stattfanden.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Künstler*innen sind oft Seismographen für Gesellschaften im Wandel, horchen tief hinein in Veränderungen, erfassen Stimmungen und Ängste. Wie reagierten die Künstler*innen also auf eine derartige Katastrophenlage, sind sie doch selbst oftmals von prekären Verhältnissen betroffen? War die Abschottung eine besonders produktive Phase oder eher Auslöser einer Schockstarre? Hat die Pandemie ihre Kunst nachhaltig beeinflusst? „Club Quarantina“ in der Galerie wildpalms in Düsseldorf gibt darauf nicht nur eine Antwort, spiegelt sich doch in der Werkauswahl ein multiperspektivischer Blick auf die Pandemie wider.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Die Gruppenausstellung zeigt Werke, die beinah ausschließlich während der Anfangsphase der Pandemie, genauer im ersten Lockdown beziehungsweise kurz danach, entstanden sind. Die zuvor in Berlin präsentierte Schau von Gastkurator Gilles Neiens kehrt die ganz unterschiedlichen Reaktionen auf den durch die Pandemie bedingten tiefgreifenden Einschnitt in unsere Lebenswirklichkeit hervor und zeigt eine mehr oder weniger veränderte Formsprache der Künstler*innen.

„From Gesture to Gesture (The Reminder of the Winds)“ von Marco Godinho ist eine in situ Arbeit aus zu einem Muster gruppierten Aufreißbänder von Kartonverpackungen. Was sonst im Abfalleimer landet, sammelte der Künstler und bewahrte die Überbleibsel von Buchbestellungen aus dem ersten Lockdown sorgfältig auf. Sie konservieren den Moment des Aufreißens, die Geste freudiger Erwartung und wirken im Zusammenspiel wie eine Wolke oder visualisierter Wind. Relikte aus einer Zeit, in der Pakete um die ganze Welt wanderten, ihre Empfänger*innen dagegen zuhause bleiben mussten.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Filip Markiewicz‘ Bild „Home Alone“, das Plakatmotiv des berühmten Filmklassikers „Kevin – Allein zu Haus“, erinnert an den Schrei von Edvard Munch und drückt den Schrecken und die Angst aus, die wohl die meisten Menschen angesichts der pandemischen Lage im März letzten Jahres empfunden haben. Eine Seelenlage, die Stress bedeutet, sich gemeinsam mit Isolation negativ auf die Psyche auswirkt. Dem setzt Zora Mann ihre psychedelische, handgefertigte Decke „Ubutu“ entgegen. Inspiriert von ihren kenianischen Wurzeln laden leuchtende Farben und folkloristische Muster zu einer bewussten Auszeit von den Wirren der Welt ein, zu Entspannung und Meditation. „Ubutu“ ist ein Ausdruck aus der Sprache der Zulu, heißt übersetzt soviel wie „ich bin, weil wir sind“ und drückt den Glauben an eine die Menschheit umfassende universelle Verbundenheit aus.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Entspannung suchte auch Mary-Audrey Ramirez, die mit ihren Textilskulpturen in anziehende und zugleich unheimliche Bildwelten aus Computerspielen und Filmen eintaucht. Hybride Wesen wie rosa Zyklopen werden zu einem Ausdruck von Eskapismus, einer Flucht in Parallelwelten, aber auch zu einer Form der ganz besonders effektiven Auszeit. Plötzlich sind fiktive Dystopien aus Videospielen Realität geworden und bringen uns in die Wirklichkeit expandierte Alpträume um den Schlaf.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Bot die Pandemie einerseits vielen Menschen Zeit für sich selbst, war sie andererseits besonders für Eltern eine Herausforderung. Grit Richters stoffbezogene, anthropomorphe Skulpturen beschäftigen sich mit dem Thema der Mutterschaft. Die blasse Figur „Fatigue Moms (01)“ wirkt wie vornübergekippt, die langen dünnen Arme liegen ausgestreckt auf dem Boden. Erschöpfung und Müdigkeit lassen den Körper energielos und schlaff werden, wenn Gefühle von Überforderung zwischen Job, Homeschooling und Kinderbetreuung die Oberhand gewinnen.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Lena Marie Emrichs Werke lassen die Besucher*innen der Galerie einen imaginären Blick durch die Wände des Ausstellungsraums hinaus werfen. An Flugzeugfenster erinnernde Plexiglasscheiben beschichtet mit transluzenten monochromen Farben zeigen dabei eingravierte Spuren menschlicher Körper, wie Abdrücke von Wangen, Stirn oder Fingern. Die schillernden Farben des Himmels werden zum Symbol für das Freiheitsgefühl unbeschwerten Reisens, rufen wehmütige Erinnerungen an Erkundungen der Welt ohne Beschränkungen wach.

Ausstellungsansicht Carte Blanche summer group show „Club Quarantina“, kuratiert von Gilles Neiens, copyright: Dirk Rose.

Die selbst genähte grüne Flagge von Simon Mullan wurde als „Flagge der Hoffnung“ vielfach auf Instagram geteilt und vom Künstler in die ganze Welt verschickt. Grün ist aber nicht nur die Farbe der Hoffnung, sondern steht auch für Revolution. „Alles wird gut“ ermutigt die Menschen nicht aufzugeben und die Pandemie als einen Anlass für echte Veränderung zu sehen. Mullan gibt uns kein Zeichen, die weiße Flagge zu hissen und aufzugeben, sondern ohne Unterlass für eine bessere Zukunft zu kämpfen.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 21. August.
WO: wildpalms, Gerresheimer Str. 33, 40211 Düsseldorf.

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