It's all in the game
Computerspiele als Kunst #2

24. März 2021 • Text von

Nicht erst seit der aktuellen Verlagerung vieler Dinge ins Digitale haben sich Künstler*innen mit dem Medium Computerspiel auseinandergesetzt. Die digitalen Spiele dienen ihnen dabei als Bühne und Rahmenwerk, die Künstler*innen hacken, cracken und programmieren bestehende Spiele um, schaffen neue und greifen bewusst die Game-Ästhetik auf.

Man sieht ein Bild aus dem Gameplay von jodi.org: Untitled Game aus dem Jahr 1996.
jodi.org: Untitled Game, 1996, Gameplay.

Computerspiele können spannend sein, voller Action und Gewalt. Sie können auch politisch Haltung zeigen oder Positionen zu gesellschaftlichen und technischen Fragestellungen beziehen. Auch Künstler*innen bedienen sich der Strukturen und Mechanismen von Games, ihre Spiele werden so zu interaktiven und partizipativen Werken zeitgenössischer Kunst, die User*innen sind Betrachter*innen, Spieler*innen und Kritiker*innen gleichermaßen. Bereits im Dezember haben wir euch einige Beispiele dieser künstlerischen Praxis vorgestellt, nun folgen weitere.

Schon Mitte der 1990er-Jahre begannen die Protagonist*innen der Net-Art-Gruppe jodi.org, sich die Technik von Spielen anzueignen und diese grundlegend zu modifizieren. Das Ergebnis sind springende Linien, Räume, die sich auflösen, Soundeffekte, die nicht zum Bild passen, Programmiersprache, die offen und dennoch kryptisch präsentiert wird. Basierend auf den Spielen Wolfenstein 3D und Quake schufen jodi.org eine Reihe von abstrakten Spieladaptionen, die die grundlegenden Elemente der Spiele offenlegten. Ihre Reihe „Untitled Game“ ist ein Paket von 13 manipulierten Dateien, basierend auf dem Computerspiel Quake 1. Durch Beeinflussungen und Veränderungen an Grafik, Physik und Steuerung der Spiele schufen jodi.org nicht mehr wirklich spielbare, aber dennoch ausführbare Programme, die abstrakt und dekonstruktivistisch die Funktionsweisen des Spiels offenlegen. „Untiteled Game“ lässt den Code des Spiel ins Leere laufen, die generierten Räume, Bilder und Geräusche unterliegen einer abstrakten Logik. Konturen werden aufgelöst, die Steuerung versagt. Jodi.org bringen die Software des Spiels bewusst an seine Grenzen, hinterfragen so dessen Funktionsweise und Zweck. Aus einem Ego-Shooter wird so ein automatisierter Generator für digitale Malerei.

Man sieht einen Screenshot von Counter-Strike mit einem Eingriff von Velvet-Strike.
Screenshot von Counter-Strike mit einem Eingriff von Velvet-Strike.

Eine ebenfalls frühe Auseinandersetzung mit den Schnittstellen von Kunst, Politik, Gewalt und Games kann als digitale Intervention und Aktivismus im virtuellen Raum verstanden werden. Das Projekt „Velvet-Strike“ von Anne-Marie Schleiner, Joan Leandre und Brody Condon ist ein Mod für den früher sehr beliebten Ego-Shooter Counter-Strike. Die Modifikation fügt der bestehenden Graffiti-Funktion des Spiels spezielle „Protest-Sprays“ hinzu. Die Sprays von „Velvet-Strike“ reichen von spielerisch Kommentaren zur Gewalt und dem Machismo des Spiels, bis hin zur Verbreitung expliziter Antikriegsbotschaften. “Velvet-Strike” wurde kurz nach dem 11. September 2001 entwickelt und entstand zeitgleich mit sogenannten “Krieg gegen den Terror”. „Velvet-Strike“ war somit eine der ersten künstlerischen und aktivistischen Gesten, die die militaristischen Ideologien in populären Videospielen in Frage stellen.

Man sieht einen Still von Angela Washkos Spiel The Game: The Game, aus 2018.
Angela Washko: The Game: The Game, 2018, Gameplay.

Politisch engagiert ist auch die feministische Medienkünstlerin Angela Washko, die in einer Vielzahl von künstlerischen Formen arbeitet, um komplexe und unkonventionelle Narrative über unseren Medienkonsum zu formulieren. Ihre Praxis umfasst Interventionen in Mainstream-Medien, Performancekunst, digitale Arbeiten, Videokunst und eben auch Videospiele. Eines ihrer Game Projekte ist der Dating-Simulator „The Game: The Game“. Hier versetzten sich die Spieler*innen in die Perspektive einer weiblichen Person, die in einer Bar auf eine Reihe von Männern trifft, die alle die manipulativen Mittel und Strategien der sogenannten “Pick-up Artists” anwenden. Diese Männer sehen soziale Interaktion als einen Wettbewerb, dessen ultimatives Ziel die sexuelle Eroberung ist. Sie setzen verschiedene Taktiken ein, um die Spieler*innen zu einer sexuellen Begegnung zu überreden und zu drängen. Basierend auf Washkos umfangreichen Recherchen in der Szene der “Pick-up Artists”, zeigt „The Game: The Game“ die beunruhigenden, zutiefst misogynen Praktiken einer realen Gemeinschaft von Männern auf, die die ambivalente Geschlechterdynamik zu einem empathielosen Spiel machen.

Danielle Brathwaite-Shirley: Black Trans Archive, 2020, Gameplay.
Danielle Brathwaite-Shirley: Black Trans Archive, 2020, Gameplay.

Ein Computerspiel, das sowohl Archiv ist, als such Sichtbarkeit schaffen will, ist das Projekt „Black Trans Archive” von Danielle Brathwaite-Shirley. Die in London und Berlin lebende Künstlerin und Spieleentwicklerin will durch Videospiel-Ästhetik und -Technologien die Erfahrungen Schwarzer Trans-Frauen in den Vordergrund rücken und, allgemeiner, Trans-Erfahrungen archivieren. Ihr Projekt wird in Form eines Videospiels präsentiert, das in Zusammenarbeit mit schwarzen Trans-Programmierer*innen und Künstler*innen entwickelt wurde, um gegen die Löschung ihrer Geschichte zu kämpfen. Brathwaite-Shirley warnt in ihrer Arbeit vor der schädlichen Unterrepräsentation Schwarzer Trans-Erzählungen. Dabei stellt sie sicher, dass die Schwarzen und Trans-Personen, die ihre virtuell erschaffene Welt betreten, einen sicheren Raum erhalten, der ihnen selbst gewidmet ist. Fragen nach Identität, Repräsentation und Privilegien werden in diesem Projekt klug und offensiv verhandelt.

WANN: Jeder Zeit.
WO: Im Internet.