Leder, Sattel, Pferdeschwanz
Robert Estermann & Oz Oderbolz bei Last Tango

25. April 2023 • Text von

Der Zürcher Kunstverein Last Tango zeigt mit „Robert Estermann & Oz Oderbolz“ eine erste gemeinsame Ausstellung der zwei Schweizer Kunstschaffenden. In ihren versammelten Arbeiten setzen sie sich mit dem Thema Reiten auseinander. Die Relation von Mensch und Tier inszenieren sie als Spiel um Dominanz und Unterwerfung, als eine Metapher für Sexualität und Fetisch. Entstanden ist ein transgressiver Raum, in dem Körper entblößt und heteronormative Männlichkeitszuschreibungen in Frage gestellt werden.

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Robert Estermann & Oz Oderbolz, Installation view, 2023. Photo: Kilian Bannwart.

Eine großformatige Zeichnung Robert Estermanns zeigt einen Mann, der ein Pferd penetriert. Der in dicken schwarzen Linien gezeichnete Körper des Mannes ist stilisiert. Er blickt frontal aus dem Bild, während er mit unberührtem Gesichtsausdruck den Schweifansatz des Pferdes ergreift und mit erigiertem Penis in es eindringt. Der Körper des Tiers erscheint im Verhältnis zur männlichen Figur ungewöhnlich klein.

Die Zeichnung wird neben einer zweiten Ausführung in weiß präsentiert. Beide Arbeiten gehören einer kleinen Serie an, die das beschriebene Motiv in variierenden Perspektiven zeigt. 1995 und 1996 hat Estermann mit „Four Boys/Four Horses“ vier großformatige Zeichnungen geschaffen, die Mann und Pferd gemeinsam in je unterschiedlichen Körperhaltungen wiedergeben. Den Kuratorinnen Linda Jensen und Arianna Gellini zufolge wurden die originalen Arbeiten von einer Galerie verlegt. Erhalten geblieben ist die Vorlage „Boy/Horse“.

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Above: Robert Estermann, Four Boys / Four Horses #2 #3 #4, 2023, photo print on wooden panel, print: 90 x 209 x 40.5 cm.
Below: Robert Estermann, Four Boys / Four Horses Mugs, 2000, limited edition of 31 sets of four porcelain mugs with burned in print, each 11 x 8.5 x 8.5 cm. Photo: Kilian Bannwart

Last Tango präsentiert diese Schablone aus Papier auf Papier neben einer davon abgenommenen Neuanfertigung des Werks „Four Boys/Four Horses #1“. Die drei verbleibenden Zeichnungen aus den 1990er Jahren werden in der Ausstellung auf einer Fotografie gezeigt. Darauf erscheint junge Künstler im gestreiften Shirt mit verschränkten Armen vor seinen Zeichnungen. Zudem gab Estermann im Jahr 2000 eine limitierte Edition von weißen Tassen mit dem Motiv in Auftrag. Durch ihre Präsentation auf grauen Plastikkisten wirken sie wie Werbegeschenke zum Mitnehmen.

Diese mehrmediale Zusammenführung der ursprünglichen Arbeit in verschiedenen Formen der Reproduktion, der Aneignung und des Remake kann als ein Kommentar des Künstlers zu einer kommerziellen Verwertung von Bildern im Ausstellungsbetrieb gelesen werden. Gleichzeitig schafft diese Fülle der Präsentation des Motivs einen visuellen Reiz, der aufreibt. Die Ausstellungsbesuchenden werden gleich mehrfach mit dem Bild eines Mannes in sexueller Handlung mit einem Pferd konfrontiert. Das provoziert und wirft die Frage auf: Was halten wir für angebracht? Was nicht? Und warum? Die Ausstellung eröffnet einen Sehkontext, der es ermöglicht, die hervorgerufenen Meinungen und Emotionen auszuloten.

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Front: Oz Oderbolz, These Boots Are Made fot Walkin’, 2023, wellington boots, metal spurs, dimensions variable. Back: Robert Estermann, Boy / Horse (preparatory drawing for a mural inside a Parisian staircase, later becoming the template for Four Boys / Four Horses #1), 1995, marker, charcoal, pencil and tape on brown paper, 224.5 x 169.2 cm. Photo: Kilian Bannwart. // Oz Oderbolz, Dick Hammer, 2023, metal, leather saddle, epoxy, acrylic ink, 116 x 115 x 50 cm. Photo: Kilian Bannwart.

Das In-Relation-Treten von Mensch und Pferd zeigt sich dabei als der thematische rote Faden, der die gesamte Ausstellung durchzieht. Das Pferd wird als domestiziertes Tier präsentiert, das Reiten mit sexuellen Zuschreibungen aufgeladen. Bereits in der griechischen Mythologie wurden Mischwesen aus Mensch und Pferd wie Satyr und Kentaur als lüstern und ungezügelt beschrieben. Sie werden vornehmlich als männliche Wesen  geschildert und mit rauschhaft-ekstatischen Zuständen verknüpft. Die Ausstellung „Robert Estermann & Oz Oderbolz“scheint diese Zuschreibungen als einen Ausganspunkt ihrer Bildsprache heranzuziehen. Mensch und Pferd gehen intime Beziehungen ein und verschmelzen im Reiten zu einer Figur.

Oderbolz’ Arbeit „These Boots Are Made for Walkin’“ besteht aus zwei schwarzen Gummistiefeln, deren Sohlen mit silbernen Sporen veredelt sind. Anders als der Titel der Arbeit suggeriert, ist es keineswegs einfach, in diese Stiefel zu schlüpfen und loszulaufen. Die Sohlen sind gebogen und die Schuhschäfte in einen 45 Grad Winkel zum Boden gebracht. Die Objekte verweigern ihren Gebrauch. Gleichzeitig wecken sie in den Betrachtenden die Imagination eines Tragenden, der vor ihnen kniet.

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Robert Estermann, Riding.Vision Warehouse (detail), 2023, metal racks, monitor with 4K video loop, sound, 212 min-utes (106 sequences, each two minutes), props (boots, whips, spurs, riding gear, riding pads, horse tack, harnesses, clothes, wigs, masks, video camera, etc.), dimensions variable. Photo: Kilian Bannwart.

Oderbolz verhandelt mit dieser skulpturalen Arbeit Fragen des Dominierens und des Unterwerfens. Gummistiefel sind ursprünglich einem ruralen Raum zugeordnet und werden in der Landwirtschaft gebraucht, ihre Form jedoch leitet sich von ledernen Militärreitstiefeln ab. Durch ihre Westernsporen lassen die hier gezeigten Schuhe Cowboystiefel assoziieren. Die Sporen kommen als umstrittenes Mittel der Kommunikation mit einem berittenen Pferd zum Einsatz. Das Tier wird durch das metallene Sternrad gelenkt, dominiert und gegebenenfalls bestraft.

Durch die Präsentation von Oderbolz’ „These Boots Are Made for Walkin’“ vor Estermanns Zeichnung „Four Boys/Four Horses #1“wird eine sexuelle Bedeutungsebene der skulpturalen Arbeit betont. Der Gummistiefel wird durch die silbernen Sporen zum Fetischobjekt. Die glänzende schwarze Oberfläche der Stiefel lässt an Lack und Latex denken, die Sporen an Praktiken der sexuellen Unterwerfung.

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Robert Estermann & Oz Oderbolz, Installation view, 2023. Photo: Kilian Bannwart.

Auch in den installativen Arbeiten „Juicy“, „Hell Rider“ und „Dick Hammer“ setzt sich Oderbolz mit dem Themenspektrum des Reitens und einer damit assoziierten sexuellen Metaphorik auseinander. Es handelt sich um drei Ledersättel, die mit Lederriemen in eine viereckige Metallkonstruktion einspannt sind. Die Objekte sind auf Augenhöhe der Rezipierenden arretiert und damit der eingehenden Betrachtung freigegeben.

„Juicy“ zeigt einen schwarzen Glattledersattel. Der titelgebende Begriff ist mit weißen Strasssteinen auf den hinteren Teil der Sitzfläche geschrieben. „Saftig“ sind die Körperflüssigkeiten, die während des Reitens durch Reibung entstehen. Das Pferd schwitzt; das Sattelleder zeigt entsprechende Spuren des Gebrauchs. Zudem referiert der Begriff auf den in den 2000er Jahren durch Paris Hilton populär gemachten Luxusjogginganzug mit eben diesem Schriftzug auf dem Hintern. Die glitzernde Schrift lenkt die Aufmerksamkeit auf den „knackigen“ Po seiner Tragenden. In Oderbolz‘ Arbeit ist es sowohl das Hinterteil des Reitenden als auch das des Pferdes, das als „Juicy“ gelten kann. Mensch und Tier bilden während des Reitens eine visuelle Einheit und so verunklart sich die Referenz dieser begrifflichen Zuschreibung, käme das Objekt tatsächlich als Sattel zum Einsatz.

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Oz Oderbolz, Dick Hammer, 2023, metal, leather saddle, epoxy, acrylic ink, 116 x 115 x 50 cm. Photo: Kilian Bannwart.

Eine popkulturelle Referenz dient auch als Vorlage für die Gestaltung von „Hell Rider“. Den Hinterteil des braunen Ledersattels ziert ein missmutiges Gesicht mit herunterhängenden Mundwinkeln. Oderbolz verfremdet hier die bekannte Physiognomie des Marlboro Man, des amerikanischen Idols eines maskulinen Mannes. Statt rauchend, reitend und robust erscheint er hier jedoch wehklagend. Tatsächlich starben die bekanntesten Werbedarsteller der Zigarettenmarke wie etwa David Millar, Wayne McLaren, David McLean und Eric Lawson an Lungenkrankheiten. Das Werbebild des attraktiven Cowboys wird zum tragischen Motiv, ursprünglich etablierte Zuschreibungen an Maskulinität und Männlichkeit werden hinterfragt.

Den letzten der drei Sättel, „Dick Hammer“, ziert ein silbernes Sexspielzeug. Die Sitzfläche des Sattels ist durch eine phallische Form ergänzt. Sattel helfen, das Gewicht des Reitenden gleichmäßig auf dem Tier zu verteilen und einen komfortablen Sitz zu ermöglichen. Hier jedoch wird das Reiten durch seine rhythmische Bewegung zu einem Weg sexueller Befriedigung. Alle drei Arbeiten zeigen die Sättel gekippt und so in den Raum gespannt, dass sie von allen Seiten zu betrachten sind. Im Kontrast zur phallischen Auskragung erscheinen die Einbuchtungen des Leders auf der Rückseite des Sattels wie vaginale Formen. Die Arbeit wird zum janusköpfigen, genderfluiden Objekt.

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Oz Oderbolz, Hell Rider, 2023, metal, leather saddle, tin, truss-head screws, 116 x 115 x 50 cm. Photo: Kilian Bannwart. // Robert Estermann, Riding.Vision Warehouse (detail), 2023, metal racks, monitor with 4K video loop, sound, 212 min-utes (106 sequences, each two minutes), props (boots, whips, spurs, riding gear, riding pads, horse tack, harnesses, clothes, wigs, masks, video camera, etc.), dimensions variable. Photo: Kilian Bannwart.

Mit „Robert Estermann & Oz Oderbolz“ präsentiert Last Tango eine Ausstellung, die heteronormative Konformitätsvorstellungen hinterfragt. Das Motiv des Reitens eröffnet den Kunstschaffenden eine Darstellungswelt, die Machtverhältnisse und sexuelle Doppeldeutigkeit zu thematisieren ermöglicht. Die Auswahl der Werke erzeugt einen eigenen Bilderkosmos, in dem ungezügelte Wünsche, Grenzüberschreitungen und Ambiguitäten zum Ausdruck kommen. Dabei werden vor allem tradierte Bilder von dominanter Männlichkeit unterlaufen. Die im Umgang mit den gezeigten Objekten imaginierten Körper sind verletzlich, werden gedemütigt oder unterworfen. So entsteht ein visuelles Spiel, das zugleich lustvoll und provokant wirkt.

WANN: Die Ausstellung von Robert Estermann und Oz Oderbolz läuft bis Samstag, den 13. Mai.
WO: Last Tango, Sihlquai 274, 8005 Zürich.

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