Athene verformt sich
Marianna Simnett bei Société

26. September 2022 • Text von

Marianna Simnetts Ausstellung “Ogress” bei Société beschäftigt sich mit Monstrositäten, Frauenkörpern und tierischen Gestalten. Anhand von Video- und Soundarbeiten sowie Aquarellen und Skulpturen verbindet die Künstlerin persönliche und mythologische Welten. Ganz nebenbei inspiriert die Schau zu ungewöhnlichen Grimassen.

Auf einer Leinwand ist ein Video von Marianna Simnett zu sehen. Eine Frau bläst in eine Flöte, während sich ihr Gesicht verformt.
Marianna Simnett, OGRESS, Installationsansicht. Courtesy the artist and Société, Berlin. Photos: Trevor Good.

Wer an Oger denkt, assoziiert schreckliche Unholde oder kinderfressende, kraftvolle Riesen. Auch das wohl bekannteste Oger-Paar Shrek und Fiona, große grüne Gestalten mit ungelenken Bewegungen, kommen einem schnell in den Sinn. In ihrer Einzelausstellung “Ogress” thematisiert Marianna Simnett nun explizit die Ogerfrau. Bei Société setzt sie sich außerdem mit dem Mythos der Athene auseinander.

Der Sage nach war diese nämlich nicht nur griechische Göttin der Weisheit, der Kunst und des Kampfes, sondern auch Erfinderin: Angeblich hat sie aus einem Hirschknochen die allererste Flöte geschnitzt – und anschließend darauf gespielt. Doch weil sich beim Flöten ihre Wangen blähten und ihr Gesicht blau anlief, war sie dem Spott ihrer Mitgötter ausgesetzt. Gedemütigt entsorgte Athene das Blasinstrument und belegte es mit einem Fluch. In “Ogress” greift Simnett diese Überlieferung auf: Flötenspiel, körperliche Verwandlung und der Blick auf den weiblichen Körper spielen in der Ausstellung eine wiederkehrende Rolle.

An der Wand hängen zwei große Aquarellmalereien von Marianna Simnett. Auf dem Boden steht eine Skulptur der Künstlerin, die komplett blau und mit roten Mündern überzogen ist. Sie bläht die Wangen auf.
Marianna Simnett, OGRESS, Installationsansicht. Courtesy the artist and Société, Berlin. Photos: Trevor Good.

Etwa in den großformatigen Aquarellen, die an den Galeriewänden zu sehen sind: Hier ist Athene samt Flöte abgebildet, ihre eigene Gestalt in der spiegelnden Wasseroberfläche erkennend. Eine andere Arbeit zeigt die Göttin, die dem Spott anderer Tierwesen ausgeliefert ist. Durch ihre zarten Pastellfarben wirken die Werke wie hingehauchte Traumsequenzen. Die Klänge der Holzbläsermusik, die durch die Galerie säuseln, unterstreichen diesen Eindruck.

Die beiden Skulpturen, die sich im Raum befinden, wurden nach Simnetts Körper geformt: Beide sind nackt und glatzköpfig, mit aufgeblasenen Wangen und gespitzten Lippen, wie beim Flötenspiel. Der Körper der blauen Gestalt ist über und über mit roten Mündern bedeckt. Einige grinsen höhnisch, ziehen Grimassen oder spitzen die Lippen. Unwillkürlich verleitet dieser Körperschmuck dazu, selbst den Mund zu verziehen und eigene Fratzen zu erproben. Eine zweite Figur hockt auf einer Art Scanner: Das Licht unter ihr verschiebt sich hin und her. Wie hypnotisiert starrt sie in den Kasten, der stetig ihren Körper ablichtet. Ein Sinnbild für die prüfenden Blicke, denen Frauenkörper häufig ausgeliefert sind.

An der Wand hängen zwei große Aquarellmalereien von Marianna Simnett. Auf dem Boden steht eine Skulptur der Künstlerin, die komplett rot ist und einen nackten Körper zeigt.
Marianna Simnett, OGRESS, Installationsansicht. Courtesy the artist and Société, Berlin. Photos: Trevor Good.

Auch Simnetts Videoarbeit greift den Mythos der Athene auf: Für “Blue Moon” hat die Künstlerin ein eigenes KI-Modell entwickelt, das auf Filmsequenzen von Simnett beim Flötenspiel trainiert wurde. Die Musizierende befindet sich in einer unkenntlichen blauen Landschaft, ihr Körper und ihr Gesicht verformen sich zusehends, schmelzen und wachsen gleichzeitig über ihre Grenzen hinaus. Miteinander verschmolzen sind übrigens auch die goldenen Kühe, Pferde und Gänse, die sich zur Krone “The Collector” auftürmen. Dutzende Spielzeugtiere hat Simnett dafür abgeformt und in Bronze gegossen. Zusammen bildet diese ursprünglich günstig produzierte Massenware nun ein wertvolles Schmuckstück.

Eine goldene Krone liegt auf einem lila Samtkissen. Sie besteht aus vielen goldenen Spielzeugtieren.
Marianna Simnett, The Collector, 2022. Courtesy the artist and Société, Berlin. Photos: Trevor Good.

Besonders in der Mythologie spielen Frauen, die zu Monstern werden, eine wiederkehrende Rolle: Medusa, Chimära, Meerjung- oder Ogerfrauen – sie alle nehmen im Laufe ihrer Geschichte mehr oder weniger grauenhafte Verformungen an und werden dafür von ihrer Umwelt verurteilt. Simnetts Figuren sind jedoch keineswegs Opfer ihrer Monstrositäten, sondern machen sie sich zu eigen. Mit “Ogress” zelebriert die Künstlerin eben jene körperlichen Verformungen und zeigt, dass Ungetüme auch Heldinnen, Königinnen oder Erfinderinnen sein können.

WANN: Die Ausstellung “OGRESS” ist bis Samstag, den 22. Oktober, zu sehen.
WO: Société, Wielandstraße 26, 10707 Berlin.

Am 6. Oktober findet eine Flötenperformance der Künstlerin statt, in deren Rahmen auch eine hundertteilige NFT-Kollektion und Gesichtsabgüsse von Freund*innen Simnetts präsentiert werden. Weitere Infos hier.

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