Florida Man und seine Facetten Anastasia Samoylova bei C/O Berlin
3. Februar 2023 • Text von Julia Meyer-Brehm
Kaum ein US-amerikanischer Staat ist so klischeebehaftet wie Florida: Instinktiv denkt man an Palmen, Alligatoren und Waffengewalt. Bei C/O Berlin zeigt Anastasia Samoylova nun Fotografien, die mit vielen Vorurteilen über den „Sunshine State“ aufräumen – und andere bedienen.
Der berüchtigte „Florida Man“ ist in den sozialen Medien mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden. Immer wieder taucht er in den Schlagzeilen auf, eine Story unfassbarer als die vorherige. Der umtriebige Straftäter, bei dem es sich nicht um eine einzige Person, sondern um ein Stellvertreterwort für anonyme Kriminelle handelt, hat sich zu einem bekannten Meme und Aushängeschild des US-Staates entwickelt. Gleichzeitig manifestieren die spektakulären Abenteuer des „Florida Man“ das Vorurteil einer rückschrittlichen Region, in der Gewalt an der Tagesordnung ist und jede*r machen kann, worauf er oder sie Lust hat.
Auf der anderen Seite lebt Florida von einer selbstkreierten Postkarten-Ästhetik, die ein unbeschwertes Urlaubsparadies verspricht: Pinke Flamingos, Pools und Palmen sind untrennbar mit dem südlichsten US-Staat verknüpft. Doch was davon ist echt und was macht Florida eigentlich aus? Bei C/O Berlin zeigt Anastasia Samoylova nun Fotografien ihrer Wahlheimat. Seit 2016 ist sie in dem US-amerikanischen „Sunshine State“ zuhause. Dass im Titel der Ausstellung „Floridas“ die Mehrzahl gewählt wurde, ist kein Zufall: Die Fotografin begibt sich auf die Spur eines lange gepflegten Klischees und zeigt die Komplexität eines vielschichtigen Bundesstaats.
Der „Swing State“ Florida gilt aktuell als einer der konservativeren Regionen der USA: In den letzten Jahren wurden die Abtreibungsgesetze verschärft und die sexuelle Aufklärung an Schulen extrem eingegrenzt. In Folge zahlreicher Amokläufe wurde das Mindestalter für den Kauf einer Schusswaffe auf 21 Jahre angehoben. Dem rechtsextremen brasilianischen Politiker Jair Bolsonaro bietet Florida aktuell ein Refugium und steht dafür international in der Kritik.
Auch klimapolitisch kommt der Staat an seine Grenzen: Aufgrund seiner Lage am Ozean gilt Florida als besonders gefährdet durch Umweltkatastrophen. Der steigende Meeresspiegel führt bereits jetzt zu wiederkehrenden Überflutungen. All diese extremen Bedingungen stehen der Idee des amerikanischen Traums, dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, gegenüber. Denn das Land, das Samoylova dokumentiert, ist in mehrfacher Hinsicht gespalten. Ihre Fotografien sind oft gerade deswegen so aussagekräftig, weil sie das Vorgefundene abbilden, ohne es direkt zu kommentieren.
Fotos, die auf Reisen entstehen, sind Momentaufnahmen und erzählen doch endlose Geschichten. Bei Samoylova handeln diese von wilder Natur, verlassenen Schrottplätzen, geschlossenen Kinos und Waffenläden. Beim Anblick der pittoresken Kulissen beginnt man automatisch, die stickige Luft und die extreme Hitze, für die das Land bekannt ist, am eigenen Leib zu spüren. Gleichzeitig schwingt immer auch ein Stück weit Melancholie mit. Denn die vermeintliche Idylle ist ebenso irreführend wie der bunte Hausanstrich und die Plastikpalmen am künstlich angelegten Pool.
Leergefegte Parkplätze, geschlossene Geschäfte und vergilbte Werbetafeln: Schnell fällt auf, dass Samoylova weniger an Menschen als viel mehr an ihrer Umgebung interessiert ist. Vielleicht deswegen, weil die Künstlerin einst Environmental Design studiert hat. Und tatsächlich wirken viele ihrer Aufnahmen wie von ihr selbst entworfen: Sie erinnern an Collagen, die aus mehreren Ebenen zusammengesetzt sind. Besonders ihre flächigen Motive – Fassaden, Schaufensterscheiben oder hochragende Maschendrahtzäune – und ihr geschicktes Spiel mit Reflektionen und Perspektiven untermalen diese Ästhetik.
Es gelingt Samoylova ganz hervorragend, mit all den Stereotypen zu spielen, die Florida mit sich bringt. Nicht ganz ohne Ironie blickt sie auf den vermeintlichen „Sunshine State“, der heutzutage hauptsächlich Negativschlagzeilen macht. So lässt sie zum Beispiel die Aufnahme einer kopfstehenden „Tourist Attraction“ in Schwarz-Weiß abziehen und den ursprünglich spaßbehafteten Ort trist und freudlos wirken. Samoylovas Arbeiten sind nie voyeuristisch, sondern auf die Komposition des Ortes fokussiert. Der Besuch bei C/O Berlin zeigt ein stark kondensiertes Amerika und offenbart viel mehr Facetten, als man ursprünglich vermuten könnte.
WANN: Die Ausstellung „Floridas“ ist noch bis 4. Mai zu sehen.
WO: C/O Berlin, Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin.