Mythen, Maria und das Meer
"Santa Maria Paraffina" im MOM art space

12. Juli 2023 • Text von

Die Ausstellung “Santa Maria Paraffina” im MOM art space zeigt Malereien und Skulpturen von Felisha Maria Carenage, Luiza Furtado und Anne Meerpohl. Im Zentrum steht das Wasser als verbindendes Element zwischen kolonialen Kontinuitäten und feministischen Erzählungen.

Ausstellungsansicht, Santa Maria Paraffina, MOM art space, Hamburg 2023. Foto: Anne Meerpohl

Wasser ist ein verbindendes Element. Sowohl auf geographischer Ebene in der Form des Meers zwischen den Kontinenten, als auch als Element, das unsere Körperzellen füllt und verbindet. Es ist auch das verbindende Element der drei Künstlerinnen Felisha Maria Carenage, Luiza Furtado und Anne Meerpohl, die jeweils in unterschiedlichen Hafenstädten aufgewachsen sind. In ihrer Ausstellung “Santa Maria Paraffina” im MOM art space zeigen sie malerische, textile und skulpturale Arbeiten, die sich mit persönlichen Erinnerungen, patriarchalen Zuschreibungen und der kolonialistischen Vergangenheit von Meereswegen beschäftigen.

Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist dabei der Begriff “Maria-parafina”. Die Bezeichnung stammt aus dem Brasilianischen und beschreibt einen herabwürdigenden Ausdruck für eine Frau, die Surfern gefallen will und zu diesem Zweck einen sportlichen, femininen Strand-Lifestyle verkörpert. Daher auch der Zusatz “parafina”, welcher das Wachs beschreibt, das sich auf Surfbrettern befindet.

Ausstellungsansicht, Santa Maria Paraffina, MOM art space, Hamburg 2023. Foto: Anne Meerpohl

Wo hat die Figur der “Maria Paraffina” ihren Ursprung? Einen Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage bietet Felisha Maria Carenages dreiteilige Malerei-Serie, die wie ein narrativer Hintergrund zur Ausstellung vor der langen Fensterseite des Raums platziert ist. Im Bildvordergrund der ersten Arbeit ist der Umriss einer Insel abgebildet. Auf dem letzten Motiv sind die beiden Wörter “Adios, Carenage” zu lesen, obwohl einige Buchstaben stark verzerrt sind. Die Worte sind dem Gedicht “The Schooner Flight” des lucianischen Dichters Derek Walcott entnommen. Der Autor mit afrikanischen und europäischen Vorfahren beschäftigte sich in seinem Werk mit karibischer Geschichte und Kultur während und nach der Kolonialzeit. Sein Gedicht erzählt die Geschichte eines Seefahrers, der seine Geliebte, die Inselbewohnerin Maria Concepción hinter sich lässt, um weiterzuziehen.

Carenages Blick auf die dargestellten Objekte erfolgt entweder mikroskopisch nah, wie bei dem Close-Up auf einen Perlenohrring in einem der Motive – oder aus der totalen Ferne. Dieser Perspektivenwechsel beschreibt auch die ambivalenten Zuschreibungen der “Maria Paraffina”. Je nach Blickwinkel kann das Narrativ der Frau mehrdeutig ausgelegt werden: Zwischen exotisierenden und fetischisierten Fantasien während der Kolonialzeit und bewusst gewähltem Lifestyle von nicht-Betroffenen des globalen Westens.

Luiza Furtado, Agulha e Memoria, Skulptur, Dimensionen variabel, 2022. Foto: Anne Meerpohl

Die Formen der Gewalt, denen weibliche Körper ausgesetzt sind, können vielerlei Ursprung sein. Auch Luiza Furtados Textilarbeit “Agulha e Memoria” erzählt vom desensitivierenden Umgang mit Frauenkörpern. Glänzender grüner Stoff, der an Algen erinnern lässt, umspannt ihre Skulptur. Im Bauchbereich versammeln sich rote, entzündete Pusteln, die jeweils mit Nadeln gespickt sind.

Bevor Furtado ihre Skulpturen in Ausstellungen zeigt, trägt sie diese zunächst als Kostüme während Tanzperformances. Ihren Ursprung hat Furtados Tanzpraxis im Ballett, wo sie bereits als junges Kind ein striktes Training begann. Durch das Tragen am Körper wird das Kostüm zu einem schützenden Objekt, welches die schmerzhaften Erinnerungen der strengen Disziplinierung des Körpers im Ballett in sich verschließt. Die Skulptur erzählt allerdings auch von versöhnlichen Kindheitserinnerungen, wie beispielsweise den Momenten, in denen Furtado als Kind am Strand spielte.

Während sie die Arbeit anfertigte, trug sie den Stoff an ihrem eigenen Körper – ein Prozess, der den Aspekt des Um-sich-selbst-Kümmerns verstärkt und ihre neu aufkommende Autonomie selbst in Momenten des Schmerzes spiegelt.

Anne Meerpohl, stepped on a mussel and cut his foot, Ölmalerei, Holz, Folie, 2023. Foto: Anne Meerpohl

Frei von schützenden Grenzen präsentiert sich Anne Meerpohls installative Malerei “stepped on a mussel and cut his foot”. Wie eine Ansammlung von Innereien versammeln sich ihre organischen Formen in hellem Gelb und Rosa auf einem skulptural-anmutenden Holzuntergrund. Eine dünne, fluid wirkende transparente Folie bedeckt die Malerei zur Hälfte. Die geschichtete Materialität der Malerei, sowie die haptische Qualität der Farben lassen an Feuchtigkeit denken, an Weichheit, aber auch Verletzung, wie der Titel der Arbeit suggeriert. Das Motiv der Muschel im Titel und in der Form öffnet die Analogie zum weiblichen Körper am Strand – und damit zu den Erwartungen des “Beach-Bodies”.

Ausstellungsansicht, Santa Maria Paraffina, MOM art space, Hamburg 2023. Foto: Anne Meerpohl

In “Santa Maria Paraffina” verweben sich nicht zuletzt auch die persönlichen Geschichten der drei Künstler*innen fließend: So ist die Heimatstadt Meerpohls Sitz eines Verlags, der Herausgeber von internationalen Sportschifffahrtskarten ist, die bis in die Karibik reichen. Es ist ein westliches Privileg, sich überall frei bewegen zu können, während einige der dort lebenden karibischen Inselbewohner*innen für den Besuch der französischen Insel Martinique ein Visum beantragen müssen. 

WANN: Die Ausstellung “Santa Maria Paraffina” läuft bis Sonntag, den 16. Juli.
WO: MOM art space, Valentinskamp 34A, 20355 Hamburg.

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