Ein Biss vom Mutterkuchen
Sophia Süßmilch bei Russi Klenner

20. September 2021 • Text von

Ihr Wohnzimmer nennt sie liebevoll ihren Uterus. Ein Ort der Gemütlichkeit und Sicherheit ohne den die Welt orientierungslos wäre. Das Süßmilch-Universum prickelt, sprudelt, kratzt und kribbelt. “Im Einklang mit Mutter Natur” ist ein Gesamtkunstwerk. Es hangelt sich über die Wände und kriecht über den Boden von Russi Klenners Räumlichkeiten, die zum warmen Uterus der Künstlerin geworden sind. 

Sophia Süßmilch, Rossi Kleiner, Gott gebiert die Welt wie es ihr gefällt
Sophia Süßmilch: “Gott gebiert die Welt wie es ihr gefällt”, 2021, 120 x 150 cm, Oil on canvas. Courtesy the artist.

Augen und Nippel sind auf dich gerichtet, Augen von Tierchen, Nippel von Sophia. Ganz friedlich wuselt es um dich herum. Eine Schallplatte deiner Wahl kann deinen Besuch untermalen, alles so wie du dich wohlfühlst. Die Musik verhindert nicht, dass die Wesen mit dir zu kommunizieren scheinen wollen. Alle wollen was sagen, alle schnarren und schnauben dir ihre Wahrheit entgegen. So ganz verstehe ich sie nicht, aber das ist ja auch ganz gut. Grillen versteht man ja auch nicht und trotzdem ist ihr klirrender Klang die reinste Ruhe. Widersprüchlich ist die Welt – eben eigentlich gar nicht im Einklang. Bei Sophia bekommst du Einblick in ihren Tausendklang. Und das klingt jetzt esoterisch, ist es aber nicht. Das ist einfach nur die nackte Wahrheit.

Extinction_rebellion_intelligent design anthropoidea, Sophia Süßmilch 2021, Russi Kleiner, Malerei
Sophia Süßmilch: “Extinction rebellion”, 2021, 120 x 90 cm, Oil on canvas. // “Intelligent design (Anthropoidea)”, 2021, 80 x 60 cm, Oil on canvas. Courtesy the artist.

Nacktheit ist ein Thema, das immer wieder in Sophias Malereien und besonders in ihren fotografischen Arbeiten angesprochen wird. In ihrer Welt verliert die Nacktheit ihre Scham. Sie ist pur, sie ist verletzlich und gleichzeitig stark, sie ist der Ursprung der Welt. Eine berührende nackte Wahrheit. Ich kann nur bewundernd ihre Körper ansehen. Ich will mich auch mal nackt auf ein Pferd setzen. Man verbietet sich diese puren Erfahrungen doch eigentlich nur selbst. Warum denn? Die Welt mal so richtig auf der Haut spüren, das muss doch geil sein. Und Sophia macht es einfach. Sie verschmilzt mit dem Pferd und sie träumen gemeinsam davon ein Dromedar zu werden. Am Ende des Regenbogens liegt ein kostbarer Schatz und das ist – ganz klar, oder? – die Vagina. Hier entsteht die Welt. Der Uterus ist das Wohnzimmer der Natur.

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Sophia Süßmilch: “Am Ende des Regenbogens”, 2021, 40 x 60 cm, C-Print, Edition of 10 +4AP. Courtesy the artist.

Das größte Bild, das Sophia bisher gemalt hat, bedeckt fast eine ganze Wand. Eine Gottesanbeterin mit Brüsten. Sie hält in jeder ihrer sechs geknickten Beine eine Blase, in der das Leben heranzuwachsen scheint. Die Blasen sind gefüllt mit Zellstrukturen, Gedärmen, Armen, Haaren, einer Fledermaus, ein Frosch? Um sie herum ranken stachelige Pflanzen mit blauen Blüten. Aus dem Werk heraus sprudeln kleinere Versionen der Lebens-Blasen und verteilen sich im ganzen Raum. Sie sind der Faden, der sich lebendig durch den Raum zieht und dort wo eine kleine Bubble platzt, da ist Leben in Form von Kunst. Also überall im Süßmilch-Unterwasser-All. Ihr Selbstportrait liegt unter der Gottesanbeterin. Sie ist eine große Styropor-Nachbildung mit Penis-Nase und Tattoos. Das Werk heißt “Dreizehn Jahre Psychoanalyse und immer noch kein Gott in Sicht”. Immerhin ist eine Gottesanbeterin in Sicht.

Sophia Süßmilch, Ausstellungsansicht, Russi Klenner
Sophia Süßmilch: “Little did they know that God was infinite chaos, the was divine order, God was just a regular monster”, 2021, 270 x 420 cm, Oil on canvas. // “Dreizehn Jahre Psychoanalyse und immer noch kein Gott in Sicht”, 2021, 210 x 95 x 35, styrofoam, oil paint, lacquer (in 6 parts). Ausstellungsansicht. Courtesy the artist.

Alleine ist hier niemand. Mandy und Randy, Paskal und Chantal oder auch Justin und Kevin sind ja da. Ihre Gesichter sind Vasen, die opulente Federstäuße in sich halten. In ihre schielenden Augen kann man schauen und sich freuen. Kann man mit diesen Ohrmuscheln fliegen? Ich stelle mir vor, wie Mandy mit ihren drei Zähnen einen Strohhalm bedient. Die sabbert bestimmt. Und Rico und Dennis sehen ziemlich zerboxt aus. Weiß ich jetzt nicht, ob ich den beiden nachts auf der Straße begegnen möchte. Aber vielleicht passen sie ja auch gut auf einen auf, wenn man sich mal etwas schwach fühlt.

Diese 41 Arschlöcher da an der anderen Wand sind so dermaßen schön. Bunt und eigensinnig, wie ein Korallenriff. Sie sind kleine Organe, Lungen der Meere und gleichzeig eben auch einfach Darmausgänge. Teilweise sind sie wund, teilweise Mund. Wenn das Leben in einer warmen Blase beginnt und sich auf diesem Wege ausscheidet, dann kann man nur zufrieden sein. Das blühende Leben. 

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Sophia Süßmilch: “Mandy / Randy”, 35 x 20 cm, air drying clay, oil colours, lacquer. Courtesy the artist.

Und es gibt noch mehr zu entdecken. Eine schwarze teerig glänzende Wulst an der Decke ist der aktive Schleim, eine wegweisende Nabelschnur und leitet weiter nach ganz hinten in den Raum, hinein in eine Nische mit Filzlandschaft und Röhrenfernseher. Auf dem Minifernseher sieht man die Künstlerin selbst und eine Freundin, die vor dieser Filzlandschaft in Filz eingewickelt den Filz von ihren Körpern zupfen. Ganz dezent. Mega meta. Genau hingucken! Die Feinheiten sind entscheidend, die Details machen das Leben schön und das Wohnzimmer gemütlich. Und da hinten bei dem blau leuchtenden Diffuser vor dem Altar? Da sitzt Gisela.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 23. Oktober.
WO: Galerie Russi Klenner, Luckauer Str. 16, 10969 Berlin.

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