Schönheit hat viele Gesichter
"Beautiful Disruption" von Nadine Ijewere im C/O

8. Juli 2021 • Text von

Sie hat als erste Woman of Color ein Vogue-Cover fotografiert und sagt den normativen Schönheitsidealen den Kampf an: Nadine Ijewere. Wie aufregend die Vielfalt aussieht, schreien ihre Bilder feierlich in die Welt hinaus. Das C/O Berlin zeigt aktuell die weltweit erste Einzelausstellung der Künstlerin.

Rosafarbene Ausstellungswand mit Modefotografien von Nadine Ijewere in der Ausstellung "Beautiful Disruption" im C/O Berlin
Nadine Ijewere, Beautiful Disruption, Installationsansicht bei C/O Berlin, 2021 © David von Becker.

Auch wenn sich im Jahre 2021 endlich positive Entwicklungen hin zu mehr Diversität beobachten lassen, reproduziert die Modeindustrie häufig noch immer die gleichen heteronormativen und weiß-europäisch-geprägten Schönheitsideale. Auf Plakaten, in Werbungen und den großen internationalen Modemagazinen wird uns stereotypisch aufgezeigt, wie wir auszusehen haben, um vermeintlich schön zu sein und gesellschaftliche Akzeptanz zu erfahren. Schlanke Körper, weiße Haut, das perfekte Zahnpasta-Lächeln und glatte Haare sind die gängigen Merkmale, die gesellschaftlich als schön angesehen werden. Die britische Modefotografin mit nigerianischen und jamaikanischen Wurzeln, Nadine Ijewere, möchte dem in ihrer Arbeit entgegenwirken und einen Raum schaffen, an dem andere Gesichter gezeigt und andere Geschichten erzählt werden. Wie spektakulär schön, stilvoll und identitätsstiftend ihr künstlerischer Gegenentwurf aussieht, kann man derzeit im C/O Berlin in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung “Beautiful Disruption” in rund 80 Arbeiten und drei Filmen sehen.

Modeofotgrafien von Nadine Ijewere; links: Zwei Schwarze Männer in bunt gestreiften Anzügen im Wasser; rechts: Lachende Schwarze Frau in einem orangenen Kleid mit großem Tüllrock vor einem blauen Hintergrund
Boys in Rainbow Suits, 2019, a.d.S. Tallawah. // Orange Dress, 2018, a.d.S. Joy as an Act of Resistance für I-D Magazine © Nadine Ijewere.

Nadine Ijewere ist 1992 in London geboren und studierte nach ihrem Schulabschluss zunächst Naturwissenschaften und Mathematik. Später entschied sie sich, aus ihrem Hobby eine Profession zu machen und absolvierte ein Fotografie-Studium am London College of Fashion. Weder sich selbst noch die Personen aus ihrem engen Bekannten- und Freundeskreis konnte sie auf den großen Bildflächen dieser Welt wiederfinden oder sich mit den Abgebildeten identifizieren, was zum Ausgangspunkt ihrer eigenen Fotokunst wurde. Sie wünscht sich eine Mode- und Werbeindustrie, die es schafft, die Diversität und Andersartigkeit der Menschen, die unsere Welt ausmachen, auch tatsächlich abzubilden. Verschiedene Backgrounds, Kulturen, Hautfarben, Gesichtszüge und Haarstrukturen werden von der Fotografin farbenfroh festgehalten und zelebriert.

Mittlerweile nimmt Nadine Ijewere zahlreiche Aufträge für internationale Modemagazine an, um ihre Message hinauszutragen und den bekannten, überperfektionierten Schönheitsnormen den Kampf anzusagen. Mit 26 Jahren fotografierte sie als erste Women of Color 2019 das Januar-Cover der britischen Vogue. Sie brachte Popstar Dua Lipa auf die Titelseite. Dass es sage und schreibe 125 (!) Jahre gedauert hat, bis eine Schwarze Künstlerin ein Vogue-Cover fotografiert und damit eine Sensationswelle innerhalb des Modekosmos auslöst, scheint heute, 2021 und gerade mal zwei Jahre später, unfassbar. Ein merkwürdiges Gefühl-Gemisch aus Wut, Entrüstung und Erleichterung kommt dabei auf. Besser sehr spät als nie?

Modefotografien von Nadine Ijewere; links: Frau mit braunen kurzen Haaren, Sommersprossen, großer Zahnlücke, blauem Lidschatten und einer Blume in der Hand; rechts: Person im Anzug mit langen braunen Haaren und Blumen-Ohrringen, die ernst in die Kamera guckt
Seashell, 2017, a.d.S. Ugly für Vogue Italia. // Flower Earrings, 2019, a.d.S. What‘s Up für Garage © Nadine Ijewere.

Die Ausstellung “Beautiful Disruption” zeigt verschiedene fotografische Serien und Filme aus den letzten vier Schaffensjahren der Künstlerin. Alle Models, die zu sehen sind, wurden von Nadine Ijewere selbst gecastet, auf der Straße, auf Instagram oder direkt aus ihrem persönlichen Umfeld heraus. Ihre Serie “Ugly” wurde 2017 in der italienischen Vogue veröffentlicht und visualisiert vermeintliche Makel auf eine Art und Weise, die provokativer und schöner kaum sein könnte. Das Model trägt zerzauste Haare, eine große Zahnlücke und blauen Lidschatten – von “ugly” keine Spur! Wir brauchen eine Vielstimmigkeit, genauso wie die Vielfalt von Körperformen, Gesichtern und Kleidungsstilen, um der Wahrheit ein gutes Stück näher kommen zu können: nämlich, dass wir alle anders sind und das etwas durchaus Positives ist, aus dem wir lernen und schöpfen können. Ijewere zeigt, wie verdammt gut Andersartigkeit aussehen kann, sie verdient Sichtbarkeit und unsere Aufmerksamkeit. Ihr großes Ziel ist es, mit ihren Bildern einen Beitrag zu leisten, dass Diversität irgendwann zur Norm, zu einer Selbstverständlichkeit, wird und die Gesellschaft sie nicht mehr in Frage stellt. Und das hoffentlich in weniger als 125 Jahren.

Blaue Ausstellungswand mit gerahmten Modefotografien von Nadine Ijewere, im Vordergrund eine Glasvitrine mit Modemagazinen
Nadine Ijewere, Beautiful Disrupti¬on, Installationsansicht bei C/O Berlin, 2021 © David von Becker.

Nadine Ijeweres Fotografien sind auf den ersten Blick vor allem folgendes: unfassbar ästhetisch, high-fashion und instagrammable. Die Menschen und Farben ziehen einen in den Bann, ein Bild ist schöner als das andere. Man stellt zu keinem Zeitpunkt in Frage, dass es diese Bilder in die Welt der Mode geschafft haben. Und doch verbirgt sich hinter ihnen ein wichtiger Diskurs unserer Zeit. Ijewere fordert zurecht eine offenere Modebranche, die nicht nur einen kleinen privilegierten Personenkreis einbezieht, sondern ein realistischeres Bild unserer Gesellschaft zeichnet und möchte für andere Künstler*innen mit unterschiedlichen Backgrounds die Tür öffnen. Neben all der Oberflächlichkeit in unserer Welt, zwischen der Akzeptanz für Zahnlücken, verschiedenste Haarstrukturen und der Auflösung von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, braucht es für jüngere Generationen dringend Räume, an denen ihre individuellen und spannenden Geschichten erzählt und gehört werden können. Und nicht nur, um zufrieden ein Häkchen hinter der “Diversity” machen zu können, sondern um tatsächlich strukturell und gesamtgesellschaftlich etwas zu verändern.

WANN: Die Ausstellung “Beautiful Disruption” läuft noch bis zum 2. September 2021.
WO:
C/O Berlin Foundation, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin.

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