Klatsch und Tratsch
Gossip Gossip Gossip als queere Strategie

14. Juni 2022 • Text von

Ihr habt mal wieder stundenlang getratscht und danach ein richtig schlechtes Gewissen gehabt? Schluss damit, sagen die Kuratorinnen von Gossip Gossip Gossip. Sie sehen Klatsch und Tratsch als festen Bestandteil femininer und queerer Identität, der zur Wissenserweiterung und zum Ausdruck von Bedürfnissen dient.

Nora Heinisch, Why can’t I hold all these projections?, 2020-ongoing(video loop) at feldfünf. Image: Victoria Tomaschko.

„Je älter ich werde, desto mehr fühle ich, dass Weiblichkeit nicht wirklich dem entspricht, was all die Abbilder von Frauen mich haben glauben lassen,“ erzählt Nora Heinisch. „Ich denke, es ist okay, Rollen zu haben, solange man fluide und selbstbestimmt zwischen den Rollen navigieren kann. Es kann Spaß machen, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und es sich in ihnen gemütlich zu machen. In meinen Augen tragen Abbildungen allerdings dazu bei, dass Rollen unflexibel und zu Gefängnissen werden.“

Die Fotografin Heinisch ist eine von vier Künstlerinnen, deren Arbeiten in der Ausstellung „Fakes, Fictions and Forensics“ Ende Mai zu sehen waren. Sie und ihre Kolleginnen Anna Ehrenstein, Natalie Paneng und Franziska Pierwoss erforschen die weibliche Identität. Die gemeinsame Präsentation war Gegenentwurf zum schlechten Image von „gossip“, zu Deutsch Klatsch und Tratsch.

Installation view „Fakes, Fictions, and Forensics“ at feldfünf. Image: Victoria Tomaschko.

Initiiert und kuratiert haben die Ausstellung Anja Lückenkemper und Sandra Teitge. Die Schau bereits den dritten Akt von Gossip Gossip Gossip. Lückenkemper und Teitge haben die Plattform vor zwei Jahren gegründet, um den namensgebenden Begriff zu untersuchen. Für dieses Jahr haben sie eine fünfteilige Reihe von Performances, Ausstellungen und künstlerischen Aktionen konzipiert.

„Die vier Künstlerinnen in der Ausstellung ‚Fakes, Fictions and Forensics‘ beschäftigten sich mit weiblicher Identität, die nicht singulär, sondern vielschichtig und komplex ist“, erklären Lückenkemper und Teitge. „Sie betrachteten das reduzierte Bild von Frauen, das in der Gesellschaft oftmals ausgestellt wird. Aber sie fragen auch nach der Rolle von Feminismus bei der Festsetzung gewisser Ausschlusskriterien – etwa wenn Feminismus nicht intersektional gedacht wird.“ Sie begreifen „gossip“ als Strategie, ein „Verkomplizieren von weiblicher Identität in eine Vielstimmigkeit, die einen mit eigenen Vorurteilen konfrontiert, aber auch emotional berührt und auch Spaß macht“.

Franziska Pierwoss, Franziska Pierwoss, Studying in the Sunshine, 2022, (carpet, cups) at feldfünf. Image: Victoria Tomaschko.

Aus Sicht von Lückenkemper und Teitge hat „gossip“ zu Unrecht einen schlechten Ruf und ist ein Begriff, dessen Bedeutung als Machtfunktion umgedeutet wurde. „Gespräche unter Frauen werden von Männern oft als ‚gossip‘ diskreditiert. Das wertet dann aber eben auch die Stimmen selbst und die Bedürfnisse der Sprechenden ab, hat also immer noch die gleiche Machtfunktion wie zu der Zeit, als die Umbewertung des Begriffs stattfand.“

Die Kuratorinnen möchten mit der Auseinandersetzung den Begriff „gossip“ wieder mit freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Beziehung zwischen Frauen in Verbindung bringen. „Der schlechte Ruf des Begriffs ging im 16. Jahrhundert einher mit der Herabsetzung der gesellschaftlichen Stellung von Frauen und ihren Stimmen, besonders mit der Hexenverfolgung“, sagen sie.

Anja Lückenkemper und Sandra Teitge. Photos: privat.

„Wir sind an der ursprünglichen Bedeutung interessiert, an ‚gossip‘ als produktive und solidarische Form der Wissensweitergabe und Gemeinschaftsbildung“, so Lückenkemper und Teitge. „Wenn ‚gossip‘ ausgetauscht wird, entsteht immer eine Gruppe von Gleichgesinnten, eine Art Gemeinschaft des Vertrauens.“ Die Literaturwissenschaftlerin Patricia Meyer Spacks schreibe etwa, dass die Teilnehmer*innen am „gossip“ über andere reden und dabei aber über sich selbst nachdenken. Spacks zufolge sei „gopssip“ besonders wichtig für Frauen, aber auch für Arbeiter*innen, Migrant*innen, LGBTQI-Personen oder soziale Minderheiten gewesen – also diejenigen, deren Wünsche, Bedürfnisse und Geschichten nicht überall als Norm auftauchen.

Außerhalb der Norm sind demnach die Möglichkeiten begrenzt, Informationen über die eigenen Wünsche zu verbreiten und Wissen über die eigene Geschichte zu produzieren. Ein interessanter Punkt, finden Lückenkemper und Teitge. Die Kuratorinnen verweisen daher auf eine wichtige Funktion von Klatsch und Tratsch: die Funktion des Ausdrucks von Bedürfnissen und Unsicherheiten sowie der Wissenserweiterung. Sie wollen die Entwicklung eines Verständnisses von „gossip“ dahingehend prägen, diese Funktion mitzudenken, und die in dem Begriff liegende Solidarität ansprechen.

Natalie Paneng, Nicetopia, 2021 (video still) at feldfünf. Image: Victoria Tomaschko.

Der vierte Akt von Gossip Gossip Gossip steht kurz bevor. Mit „Witches, Rituals and Healing“ beziehen sich Coven Berlin, Zoë Claire Miller und Lauryn Youden auf „gossip“ als uralte Form der femininen Wissensproduktion und als heilendes Ritual. Ein „multi-part performative evening“ geeignet, mit alten Denkmustern zu brechen. Und infolgedessen künftig vielleicht mit gutem Gewissen aus tiefstem Herzen tratschen.

WANN: „Witches, Rituals and Healing“, der vierte Akt von Gossip Gossip Gossip, findet am Samstag, den 18. Juni, statt.
WO: Floating University, Lilienthalstraße 32, 10965 Berlin.

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