Gar nicht so störend
"Wild Frictions. Politische Poesien der Störung" im Kunstraum Kreuzberg

23. Juli 2021 • Text von

Covid-19, die wohl größte Krise seit Jahrzehnten, hat uns in eine unangenehme Pause versetzt. Eine erzwungene Unterbrechung, die zum Reflektieren genutzt werden kann. Dass Störungen auch Potenzial haben können, zeigt die Gruppenausstellung „Wild Frictions. Politische Poesien der Störung“ im Kunstraum Kreuzberg. 

Wild Frictions. Politische Poesien der Störung, Ausstellungsansicht, 2021, Kunstraum Kreuzberg. Foto: Luca Girardini

Die Pandemie hat uns in Stillstand versetzt, in eine erzwungene Pause, die von drückender Ruhe begleitet wurde – eine plötzliche, tief in unseren Alltag eingreifende Störung. Unser Zusammenleben wurde neu definiert, die Art und Weise wie wir mit anderen kommunizieren und wie persönlicher Raum in der Öffentlichkeit eingenommen werden kann. Wenn man heute zur Begrüßung die Hand gibt, wird man eher mit irritierenden Reaktionen und Blicken konfrontiert. Was früher ganz trivial war, wurde zu einem entfremdeten Moment. 

Pilvi Takila, The Stroker, 2018, Digital Color Video mit Sound, 14 min. 26 sec., Courtesy the artist and Carlos Ishikawa, London. Foto: Luca Girardini

In der Videoarbeit „The Stroker“, Teil der umfassenden Gruppenausstellung „Wild Frictions. Politische Poesien der Störung“ im Kunstraum Kreuzberg, kuratiert von Sandra Teitge und Amara Antilla, unter anderem mit Arbeiten von Jimmy Robert, Christin Sun Kim, Anna Ehrenstein und Laure Prouvost, erforscht Pilvi Takala wie Individuen persönlichen Raum definieren und Berührungen von Fremden wahrnehmen. Obwohl die Arbeit von 2018 ist, ist sie aktueller denn je. Takala führt in einem Co-Working Space ein künstlerisch-soziales Experiment durch. Als Fremdkörper, da es sich um ein einen members-only Work-Space handelt, geht sie durch die Flure des Gebäudes und setzt alle Personen, die ihr begegnen, mit übermäßigen Berührungen aus – eine lange Umarmung, inniges Streicheln der Schulter oder zu langer Augenkontakt. Alle Mitglieder mit denen Takala so aneinanderstößt sind offensichtlich unangenehm bewegt, immerhin handelt es sich bei den Berührungen ja auch um die einer Fremden – eine Störung. 

Wild Frictions. Politische Poesien der Störung, Ausstellungsansicht, 2021, Kunstraum Kreuzberg. Foto: Luca Girardini

Natürlich existierten auch schon vor der Pandemie klar definierte persönliche Räume, wobei diese aber im Zuge von Social-Distancing expandiert sind. Selbst früher “normale” Körperlichkeiten entziehen sich nun der Banalität. Im Gegenzug wurden andere Formen der Kommunikation ausgeklügelt, um ein soziales Miteinander aufrechtzuerhalten. Aus diesem Moment wurden Alternativen erschaffen, die zwar zunächst ungewohnt, “nicht normal“ waren, nun aber ganz alltäglich sind. Vielleicht ist die Pandemie also auch ein guter Anlass, um von unserem normativen Denken abzuweichen, in das auch vor der Pandemie viele Menschen nicht inkludiert waren, so z.B. – in unserer sich um Visualität kreisenden Welt – sehbehinderte Personen. Passend beginnt die Ausstellung daher nicht mit Visuellem, sondern mit einem haptischen Augenblick, der dennoch auch mit dem Auge erfahrbar ist. Eine fast vier Meter hohe PVC- Folie der Künstlerin Nora Turato versperrt den Eingang der Ausstellung. Die pinken Folienstreifen behindern durch ihre Opazität die Sicht auf die Kunstwerke hinter ihnen – um diese zu entdecken, muss also zwangsläufig eine Berührung mit Turatos Arbeit stattfinden. 

Nora Turato, Alright, Alright, Alright, 2021, PVC-Folie, 390 x 290 cm, Courtesy the artist, LambdaLambdaLambda, Prishtina, Kosovo und Galerie Gregor Staiger, Zürich. Foto: Luca Girardini

Die Folie ist aber explizit keine Versperrung im Sinne eines Nicht-Durchlassen-Wollens, sondern eine bewusst platzierte Störung, die in einen Moment des Pausierens versetzt. Störungen, die zumeist eher negativ wahrgenommen werden, müssen das also gar nicht zwangsläufig sein. Und selbst wenn, kann aus dieser zunächst unangenehmen Erfahrung, wie z.B. auch einer globalen Pandemie doch auch etwas Positives wachsen. Dazu gehört dann unter anderem ein bewussterer Umgang mit unserer Umwelt und das Hinterfragen von scheinbar “normalen” und trivialen Dingen, an denen man ansonsten, eingebettet in die Schnelllebigkeit unserer Welt, vorbeirauscht. Der Name der Arbeit “Alright, Alright, Alright”, eigentlich angelehnt an ein Meme mit Matthew McConaughey, erinnert nicht nur hoffnungsvoll daran, dass am Ende — was auch immer dieses Ende ist — alles „Alright“ sein wird, sondern macht auch darauf aufmerksam, dass es in Ordnung ist, sich zu wiederholen, zu stottern, nicht zu wissen. „Wild Frictions. Politische Poesien der Störung“ pocht auf diese Idee schon im Ausstellungsnamen: Störung, nicht als fataler Bruch, sondern als bewusstseinserregende Poesie.  

WANN: Die Ausstellung läuft bis Sonntag, den 22. August.
WO: Kunstraum Kreuzberg, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin.

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