Der Anti-White Cube
Skulpturale Gesten bei Silent Empire im Funkhaus Berlin

19. September 2017 • Text von

Während der Berlin Art Week versammelten die Kuratorinnen Janine Eggert und Sibylle Jazra eine heterogene Auswahl künstlerischer Positionen Berlins unter dem Titel Silent Empire im Funkhaus. Die einzelnen Werke stehen vor der Herausforderung sich gegen die eindrucksvolle Ästhetik des Ausstellungsraumes zu behaupten.

Anselm Reyle: Untitled, 2012. Mixed Media on canvas, neon, cable, acrylic glass. © Photo: Silent Empire.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befreite sich die Kunst schrittweise von der narrativen Darstellung des Lebens. Mit jedem Schritt zur Abstraktion, hin zu Singularität von Form und Farbe, wurde dem Ausstellungsraum mehr Bedeutung zugeschrieben. Während weder handwerkliches Können, noch inhaltliche Ausdifferenzierung Kunstwerke von weltlichen Objekten unterschied, wurde es zur Aufgabe des weißen Raums, Dinge als Kunst zu deklarieren.
Heute verbindet die zeitgenössische Kunst eine Hassliebe mit dem White Cube. An perfekt verputzten, jungfräulich-weißen Galeriewänden installierte Werke werden oftmals als dekorative Geldanlage für eine übersättigte Sammlerschaft wahrgenommen oder als bildhafte Statussymbole für Artgroupies auf Instagram Accounts rezipiert.

Jenseits der Epizentren des  Kunstmarktes, der sich in der vergangenen Woche anlässlich der Art Week in Berlin versammelt hat, veranstalteten die Kuratorinnen Janine Eggert und Sibylle Jazra die Ausstellung „Silent Empire“ im Ressonanzkörper des Funkhaus Berlin. Das denkmalgeschützte Gebäude beherbergte während der DDR den Rundfunk der Republik. Heute ist es der designierte Off-Space mit architektonischem Charme, der den internationalen Bewohner*Innen dieser Stadt eine Idee vom Berlin der neunziger Jahre gibt. Sichtbeton und zersprungene weiße Kacheln, poröse Wände und roher Boden bestimmen die Ästhetik des atriumhaften Ausstellungsraums von „Silent Empire“. Über drei Ebenen sind 25 künstlerische Positionen verteilt. Neben jungen Berliner Künstler*Innen sind etablierte Namen wie Anselm Reyle, John Bock und Thomas Zipp zusehen.

Daniel Dewar & Grégory Gicquel: STONEWASH PITCHER AND BASIN WASH SET N°4, 2014. Ceramics. © Photo: Silent Empire.

Die über den Raum verteilten multimedialen Gesten werden hier durch den Anti-White-Cube mit Bedeutung aufgeladen. Kleinen, spielerischen Arbeiten gelingt es eine nonchalante Haltung gegenüber den wuchtigen Betonwänden einzunehmen: Daniel Dewar und Grégory Gicquel stellen einen Wasserkrug mit Fuß neben eine Toilettenschüssel, beides in dem Grün der Badezimmer unserer Großeltern, und nennen ihr Werk „Stoneware Pitcher und Basin Wash Set N°4“. Justin Liebermann modelliert aus Keramik einen Schildkrötenpanzer und imitiert den runzeligen Hals der Schildkröte mit einer alten Socke. Beide Werke nehmen nicht nur gegenüber ihrem Medium eine ironische Haltung ein, sondern auch gegenüber der suggerierten Ernsthaftigkeit skulpturaler Setzungen.

Okka Esther-Hungerbühler, Gewinnerin des Berlin Art Prize 2014, geht in ihrer Praxis einen Schritt weiter, indem sie die Sicherheit der ironischen Distanz zum eigenen Werk verlässt. An der Ausstellung im Funkhaus beteiligt sie sich mit einer Installation aus mehreren Stehlen – halb Stehlampe, halb Storch – mit dem Titel „Die Gartenparty“. Diese wesenhaften Gebilde lassen sich kaum als Skulptur bezeichnen. Sie erwecken den Eindruck in einem Moment der Langeweile aus Materialresten im Studio zusammengeschustert zu sein und strahlen in ihrer Beiläufigkeit dennoch eine ungeheure Sensibilität und kompromissloses Selbstbewusstsein aus. In diesem Fall komplementiert der Ausstellungsort die Arbeit von Okka-Esther Hungerbühler, verstärkt ihre Strahlkraft und schützt sie vor der Verwertungslogik des White-Cube.

Sibylle Jazra: Picknick im Niemandsland, 2017. Two umbrellas, print on fabric, hula hoop, wood, acrylics, found materials, plinth. © Photo: Silent Empire.

Auf einem Treppenabsatz des Raumkörpers formt sich eine intime Nische zwischen Betonwänden, wo Lauryn Youden einen Rückzugsort mit dem Titel „SSS: Ein Ort für Erholung, wenn ich krank bin (wegen euch)“ kreiert. Auf dem Boden ist Sand ausgelegt, darauf sind Teelichter verteilt. Ein glühendes Stück Holz verbreitet eine süßlichen Duft, in den Sand sind geometrische Formen gemalt. Lauren Youden experimentiert in ihren Arbeiten mit der Verschränkung von westlicher Medizin und alternativen Heilmethoden und macht ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit psychischer Krankheit den Betrachter*Innen zugänglich. Hinter Glas zeigt sie auf Briefumschläge geschriebene Listen, die ihren Tag strukturieren und in alltäglichen Notwendigkeite Momente der Selbstfürsorge hervorheben. Youdens „Ort für Erholung“ ist bei weiten die fragilste Arbeit der Ausstellung „Silent Empire“ und behauptet sich gleichzeitig am souveränsten gegen den widerständigen Ausstellungsort.

„Silent Empire“ ist eine ruhige Aneinanderreihung von heterogenen künstlerischen Positionen. Dabei hinterlässt das Funkhaus Berlin als Ausstellungsort den stärksten Eindruck. Bei aller Bildhaftigkeit des Nebeneinanders von Materialien und Formen, setzt sich die Mehrheit der skulpturalen Werke hauptsächlich gegen ihr Umfeld ab, ohne neue Erkenntnisräume zu schaffen. Anders verhält es sich mit den Videoarbeiten von Lotte Meret Effinger, Regina de Miguel und Benjamin Zuber, dessen raumgreifendes Werk dem Betrachter sowohl ein Stirnrunzeln, als auch ein Lächeln entlockt. In einer barocken Kirche sprechen Männer mit Schwimmhauben eine Litanei. Als dadaistische Performance changiert die Arbeit zwischen der Bizarrerie von digitalen Bildern und derjenigen der katholischen Kirche. So gelingt es der Videoarbeit von Benjamin Zuber, ihre eigene Nicht-Lesbarkeit nicht mit Arroganz vor sich herzutragen, sondern zum Nachdenken anzuregen.

WANN: Die Ausstellung Silent Empire war vom 08. bis 16. September zu sehen.
WO: Funkhaus Berlin, Nalepastraße 18, 12459 Berlin. Dokumentation online.

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