Pubertät-tät—tät
"Nighttime Time" von Jasia Rabiej bei Scherben

5. Oktober 2023 • Text von

Wie ein Echo hallt die Jugend im Leben eines jeden Menschen nach. Manche Erinnerungen verschwimmen, andere sind gestochen scharf. Mit ihrer Soloshow “Nighttime Time” bei Scherben gibt Jasia Rabiej Einblicke in nächtliche jugendliche Sphären. Großteile ihrer digitalen Prints sind aus der Wirklichkeit kopiert und fügen sich in einem Dazwischen neu zusammen. In der Unschärfe entsteht ein unsicheres Gefühl, das zwischen Coffeeshop und Clique Halt sucht.

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Jasia Rabiej: untitled, inkjet print on paper, 51 x 66, 2023. Courtesy of the artist & Scherben.

“Ja, komm, lass treffen” – lässig werden Verabredungen ausgemacht, Uhrzeit abgeklärt, Ort eigentlich egal, Hauptsache abhängen. Die Wichtigkeit solcher Absprachen, ihre absolute Dringlichkeit in einem Alter des sich selbst Suchens versteckt sich in der scheinbar hingerotzten Sprache der Coolness. Langeweile ist der größte Feind eines Jugendlichen, das damit schnell einhergehende Gefühl von Einsamkeit muss unbedingt vermieden werden. Das viele Geld für einen Double Chocolate Chip Frappuccino im Coffeeshop der örtlichen Mall ist nix gegen den zu zahlenden Preis für Einsamkeit, Selbstzweifel und all die Fragen, auf die ein junger Mensch glaubt niemals, vor allem nicht allein, eine Antwort zu finden.

Jasia Rabiej steigt mit ihren Arbeiten, die gerade im Rahmen ihrer Solopräsentation “Nighttime Time” bei Scherben zu sehen sind, direkt in dieses Gefühl der jugendlichen Sinn- und Haltsuche ein. Ihre digitalen Prints fügen sich aus gesammelten Bilderfetzen zusammen. Sie findet sie bei photoblog.pl, einer Social Media-Plattform, die in den 00er-Jahren bei polnischen Teenagern beliebt war, in anderen überwiegend brachliegenden Blogs und in ihrem eigenen Camera Roll.

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Jasia Rabiej: untitled, inkjet print on paper, 56 x 41 cm, 2023. Courtesy of the artist & Scherben.

Zusammengefügt aus sich fernliegenden Lebensrealitäten, erscheint jede Arbeit trügerisch harmonisch, beinahe unvollständig. Irgendetwas fehlt, dieses dramatische, omnipräsente Gefühl des Mangels ist wunderschön pubertär. Melancholie ist im Raum, eine Figur blickt mit mascaraverschmierten Augen ins Nichts, dicke Tränen ziehen dunkle Bahnen auf der jungen Haut. Hinter ihr ein unübersichtlicher Strudel aus Passanten und Polizeirollern. Zwei andere Mädchen schlafen am Rand eines öffentlichen Brunnens, sie kehren sich den Rücken zu, liegen gegenüber und lassen sich in Ruhe, während die Nacht langsam den Tag aus- und Lichter einschaltet. 

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Jasia Rabiej, “Nighttime Time”, Scherben, Exhibition view. Courtesy of the artist & Scherben.

Keine Figur ist real, ihre Identitäten wie ihre Umgebungen sind nicht mehr zu bestimmen und doch sind sie Sinnbilder der Sinnsuche, sie sind gemeinsam einsam. Sie trinken Kaffee mit Sahnehaube, wollen sich zeigen und verstecken ihre Gesichter doch mit großer Geste hinter einer ausgestreckten Hand. Sie liegen in embryonaler Stellung in einem großen Parka eingerollt da, unscharf im Bild, unscharf mit sich selbst. Eine Künstlichkeit entsteht zwischen den Bildebenen, wie in die Welt implantiert wirken die identitätslosen Individuen.

Das größte und einzige schwarz-weiße Werk und das einzige, das direkt auf die Wand geklebt wurde, ohne schützendes Glas vor sich, zeigt drei junge Frauen, die jeweils neben einem Pferd stehen. Eine mit Hello Kitty-T-Shirt, die anderen beiden in Top und tief sitzender Jeans, zwei von ihnen gesichtslos. Drei Jugendliche, die ihrem Hobby nachgehen, eigentlich eine friedliche Situation, in der sich jedoch eine Gefahr versteckt. Alle drei stehen im toten Winkel der Pferde, sie riskieren mehr, als sie womöglich erahnen oder stellen sie ihren Mut auf die Probe?

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Jasia Rabiej, “Nighttime Time”, Scherben, Exhibition view. Courtesy of the artist & Scherben.

Gruppenzwang oder Ahnungslosigkeit? Das ist eine der vielen Fragen, die sich mit den 13 gezeigten Arbeiten in Jasia Rabiejs Show “Nighttime Time” bei Scherben auf die Seele drückt. Eine pure und bewegende Ausstellung, die in Unschärfe, aber ohne Umschweife das dramatische Herz der Pubertät beleuchtet – Bilder, die einsickern wie viele kleine Tropfen.

WANN: Die Ausstellung “Nighttime Time” ist noch bis Sonntag, den 15. Oktober zu sehen.
WO: Scherben, Leipziger Str. 61, 10117 Berlin.

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