Der Giftzwerg hat sich Glück gekauft Kamilla Bischof bei Sandy Brown
24. Januar 2022 • Text von Lara Brörken
Wer kennt sie nicht, diese Latte Macchiato-Wandtattoos in Coffee-Shops oder die Backstein-Motivtapete, die ein rau-warmes Industrial-Gefühl in den Innenraum zaubern soll. Die Shopping-Malls sind zugepflastert mit derartiger sinn- wie hilfloser Symbolik und schlechter Illusion. Kamilla Bischof spitzt es zu. Ihre Arbeiten bei Sandy Brown bilden das “Arthouse”. Ihre Kunst ist die den Konsum-Wahnsinn entlarvende Ware. Und der Giftzwerg? Der versteckt sich und ist doch überall. Come in, we are open! Don’t be shy, say hi!
Dieses Jahrmarkt-Glücksgefühl wird hier plötzlich wieder sehr präsent. Das stolze überfrohe Kinderherz, das fast aus der Brust springt, weil der große weiße Tiger, der nicht mal richtig flauschig war, nach 50 gekauften Losen endlich gewonnen wurde. Stolz wie Oskar konnte der gleichgroße ungemütliche Tiger über den Platz getragen werden und das Kind linst breitgrinsend irgendwie an diesem Plasikmonster vorbei. Vor Kamilla Bischofs großer Leinwand wird die Peinlichkeit dieses absolut irrationalen Glücksgefühls, das sich erkauft wurde, erschreckend deutlich.
Eine in flüchtigen Linien angedeutete Figur schiebt einen Einkaufswagen vor sich her in der ein großer Plüsch-Hund mit kleinem Hut auf dem Kopf und Schild am Ohr sitzt. Das Tier ist der Promi des Bildes, weil die grau-braune Farbe seines weichen Fells herausstechend deckend aufgetragen ist. Der Wagen wirkt in seinen flüchtigen Linien hingegen spärlich, und das Gesicht der Figur grimmig verzogen. Sie hat dieses Jahrmarkt-Gefühl wohl nicht, womöglich hat sie den Hund einfach nur gekauft, wäre ein Los dazwischengeschaltet gewesen, würde sie sicher nicht die Zähne fletschen, sondern gruselig breit grinsen. Die fröhlichen Farben des Hintergrundes deuten ein aufdringliches Happy-Shopping-Interieur an, das seine Wirkung hier scheinbar noch nicht entfalten konnte. Vielleicht färbt es mit dem nächsten Kauf ab, oder mit dem nächsten Kaffee.
Kaffee gibt es hier nämlich überall. An jeder Wand des Ausstellungsraumes lehnen Kartonwände auf denen die Künstlerin rosa Backstein- und braun-beige “Coffee every Day”-Tapeten verteilt hat. Sie destilliert in der Masse und den Dimensionen der Tapeten, in der Übersättigung des Raumes von sinnloser Symbolik und nichtsagender Worte die Absurdität derselben heraus. Jeden Tag und überall wird irgendwo ein “Wake up COFFEE is good idea” übersehen. Grammatik? Sinn? Egal. Hauptsache Kaffee ist großgeschrieben. Hier kann Mensch auftanken, die Flüssigkeit in sich reinpumpen und funktionieren, weiterlaufen wie ein zuverlässiger Motor. Der Kaffee ist in Bischofs Warenhaus das Bindeglied von Mensch und Maschine.
Vor der Kaffeewand sind verschlissene und jugendlich beschmierte Sitzpolster auf Staffelleien inszeniert. Die vier “Polsterbilder” rücken ein Mobiliar ins Licht, das weniger zum Sitzen gedacht ist, sondern eher eine häusliche Gemütlichkeit, wie auch eine Hochwertigkeit im öffentlichen Raum vorzutäuschen versucht. Es scheint, als hätte die Öffentlichkeit, und nicht Bischof, ihre Spuren und Signaturen hinterlassen, als hätte sie die Kunstleder-Polster gesehen, genommen, auf Staffeleien inszeniert und sie so zu Ausstellungsstücken werden lassen. Bischofs Kunst lenkt den Blick auf die übersehenen Absurditäten des Alltags, die allgegenwärtigen Entscheidungen für Quantität und nicht für Qualität. Ihre Kunst hat etwas Detektivisches, sie spürt das Merkwürdige auf und hält den Spiegel vor.
Am stärksten spiegeln die von Bischof genutzten Materialien. Der Donut-Teppich mutet süß und verspielt an, ist aber aus billigstem Plastik. Seine süße Maske ist nur aufgemalt. Genauso die “Käferlampen”, sie kombinieren alles, was Eindruck schinden mag: Strass, Nieten, süße Tierchen, strahlendes Gelb und eine Funktion. Es spricht nichts gegen diese Lampen, wären sie nicht ebenfalls aus Plastik. Sie sind wie ein Softeis mit Schokoguss und bunten Streuseln: viele Toppings, aber dennoch ein kurzes Vergnügen. Die Lampen präsentieren sich wie die neusten Kaffeevollautomaten bei Saturn, aber auf Pappkartons von Chupachups und Chio. Das Scheinbare lauert hier überall, allen Dingen haftet etwas Falsches, Giftiges, Ungesundes an. Sei es das zuckersüße Rosa, das Kunstleder oder das überklebte Instabile der Pappwände.
Der toxische Moment versteckt sich in allem, daher scheint der eigentliche Star der Show hinter der Wand zu sitzen. Es ist das giftgrüne Kerlchen auf der Leinwand im hinteren zunächst nicht einsehbaren Teil des Raumes. Neben dem Bild hängt ein Vorhang und eine Lampe, es herrscht eine Umkleiden-Atmosphäre. Die grüne shreck-ähnliche Figur trägt eine Art schwarzen Bademantel und spitze Hausschlappen. Die rechte Hand tief in der Tasche vergraben schenkt es mit der anderen konzentriert ein Getränk in eine Tasse ein, gewagte These: Es ist womöglich Kaffee. Das Wesen schielt mit großen Augen und hängenden Ohren auf die aus der Kanne fließende Flüssigkeit und versinnbildlicht voll und ganz das Motto: “Wake up COFFEE is good idea”. Während es das tut, befindet es sich selbst in einer großen roten Kaffeekanne.
Der Giftzwerg in der Meta-Kanne. Gefangen im toxischen Kaffee-Teufelskreis verkörpert dieses Kerlchen das, was Kamilla Bischofs gesamtes “Arthouse” zum Ausdruck bringt. Der Giftzwerg sitzt eigentlich nicht in der Kanne fest, sondern vor unseren Augen in der Öffentlichkeit, in jeder Mall, in jedem Coffee-Shop gefangen treibt er seine verlockenden, reizvollen, aber toxischen Spielchen. In jedem Warenhaus wohnt der grüne Geist des “Arthouses”. Die rosarote Brille also jetzt mal alle abnehmen. Hier gibt es kein Happy End, sondern ein desillusionierendes “Sorry, we are closed”.
WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 19. Februar.
WO: Sandy Brown, Goebenstraße 7, 10783 Berlin.