Ein Hoch auf die Selbstreferenz
Alexander Basil in der Galerie Judin

19. September 2023 • Text von

Das immergleiche rosafarbene Gesicht starrt einem aus Alexander Basils Gemälden entgegen – ob aus der Steckerleiste oder dem Wasserglas. In der Ausstellung „Tidings from the Orbit“ zitiert sich der Künstler immer wieder selbst. Ein Rundgang durch die Ausstellung ist so verwirrend wie unterhaltsam.

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Alexander Basil, Untitled, 2023. Photos: Katrin Hammer / © The artist. Courtesy Galerie Judin, Berlin

Wer intensiven Blickkontakt scheut, für den ist der Besuch in der Galerie Judin mindestens eine Herausforderung. Unzählige listige Augen in Alexander Basils Arbeiten suchen ebendiesen. Die Ausstellung „Tidings from the Orbit“ versammelt 25 Gemälde, die allesamt in diesem Jahr entstanden sind. Auf jedem der Bilder ist die gleiche Person zu sehen, in schier unendlicher Wiederholung. Diese Klone, mit kugelrunder, blassrosa Visage und markantem Bart ausgestattet, haben auffallende Ähnlichkeit mit Basil.

Die zahlreichen Versionen des Künstlers sind in den meisten Fällen unbekleidet, krauses Haar ziert ihre offenbar postoperativ vernarbte Brust. Nicht selten nehmen ihre Körper surreale Formen an, zerfließen oder häuten sich. An anderer Stelle montiert Basil ihre Gesichter auf Zimmerpflanzen, eine Kopfschmerztablette oder einen USB-Stick. Und auch als ausgespucktes Kaugummi, als Weinfleck oder Kerze muss der Klon herhalten. Es scheint, als würde Basil jegliche Facetten seiner selbst durchdeklinieren – aber zu welchem Zweck?

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Alexander Basil, Untitled, 2023 / Alexander Basil, Untitled, 2023. Photos: Katrin Hammer / © The artist. Courtesy Galerie Judin, Berlin

Das Setting all dieser Szenarien wirkt vertraut. Es zeigt die Berliner Wohnung Basils, etwa die Küche, das Schlaf- oder Arbeitszimmer. Gleichmäßig schlängelt sich die Maserung des Parkettfußbodens. Man erkennt Laptop und Smartphone, inklusive Kabelsalat. Doch die Architektur folgt nicht ganz dem logischen Raumprinzip und Wände, Böden und Ebenen schieben sich nahezu konstruktivistisch übereinander. Durch dieses Wechselspiel der Perspektiven erhalten die Alltagssituationen eine interessante Vielschichtigkeit.

Doch nicht nur formal wirken die Szenerien verschränkt: Auch inhaltlich scheinen sich die Arbeiten zu überlappen. Manchmal sind zum Beispiel frühere Werke Basils auf den Gemälden zu sehen, als Kunstwerk oder Zeichnung an der Wand, auf dem Laptop oder Handy des Künstlers. Oft meint man, das Dargestellte schon mal irgendwo gesehen zu haben – und kommt dann drauf, dass die gleiche Darbietung an anderer Stelle im Galerieraum stattfindet. Das Passbild etwa, das eben noch frisch ausgeschnitten gezeigt wurde, ist im nächsten Bild schon auf dem Ausweis in Basils Portemonnaie installiert.

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Installationsansicht “Tidings from the Orbit”, Alexander Basil, Galerie Judin. Photos: Katrin Hammer / © The artist. Courtesy Galerie Judin, Berlin

Nun könnte man meinen, dass die Arbeiten wie eine Erzählung aufeinander aufbauen. Sie sind jedoch zu ausschnitthaft, um ein stringentes Narrativ zu liefern. Ihre Verschränkung zieht stattdessen eine gewisse Konfusion nach sich. Je länger man die Arbeiten betrachtet, desto deutlicher werden ihre komplexe Verstrickung und die ständige Selbstreferenz. Basil treibt die Versionsgeschichte seiner selbst auf die Spitze. Nach Vervielfältigung kommt Metamorphose und so entsteigt ein Klon seiner abgestreiften Hülle, die ihrem Inneren selbstverständlich bis aufs Haar gleicht.

Dieses ständige Wiederholspiel wirkt nach einer Weile fast manisch. Dazu passt die gewisse Düsternis in einigen Darstellungen. Eine Situation deutet einen Suizid an, eine andere zeigt selbstverletzendes Verhalten des Dargestellten. Diese Szenen unterstreichen die latente Ausweglosigkeit, die den Arbeiten innewohnt. Gleichzeitig untermauern sie den wahnhaften Charakter der beeindruckend sorgfältigen Gemälde, die allesamt binnen weniger Monate entstanden sind. Die Bilder beinhalten das Komische gleichsam wie das Ernsthafte und vermitteln sowohl inhaltlich als auch formal eine ausgeprägte Surrealität.

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Alexander Basil, Untitled, 2023. Photos: Katrin Hammer / © The artist. Courtesy Galerie Judin, Berlin

Im letzten Raum der Galerie Judin sitzt einer der Klone, diesmal bekleidet, auf seinem Balkon. Hinter ihm kann man seinen vielzähligen Ebenbildern innerhalb der Wohnung bei ihren Machenschaften zusehen. Die chaotische Szenerie kontrastiert mit dem geordnet anmutenden Vordergrund. Ein fast schon plakatives Sinnbild für den Blick auf sich selbst, den Versuch einer Selbstreflexion und vielleicht auch das ständige Hinterfragen unterschiedlicher charakterlicher Facetten.

Eine weitere Arbeit, die wie alle anderen Werke keinen Titel trägt, zeigt die Rückseite eines Gemäldes. Dort klemmt eine Zeichnung, in deren Mitte der runde, rosafarbene Kopf mit den verschmitzten Augen prangt. Einem Sonnensystem gleich, schwirren zahlreiche Planeten um diesen zentralen Punkt. Es ist die perfekte Metapher für das Selbst, das in dieser Ausstellung klar im Fokus steht. Was die Vorderseite des Gemäldes zeigt, bleibt ein Geheimnis. Doch wer die Ausstellung aufmerksam studiert hat, kann sich sicherlich eine Vorstellung davon machen.

WANN: Die Ausstellung „Tidings from the Orbit“ ist noch bis 28. Oktober zu sehen.
WO: Galerie Judin, Potsdamer Straße 83, 10785 Berlin.

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