Wie erwachsen werden?
"Generation*. Jugend trotz(t) Krise" in der Kunsthalle Bremen

11. Juli 2023 • Text von

Die Pubertät durchleben und erwachsen werden war wohl noch in keiner Generation einfach. Doch in Zeiten von Klimakrise, Post-Covid, Kriegen und dem wachsenden Einfluss von sozialen Medien steht die Gen Z besonderen Herausforderungen und Fragestellungen beim Erwachsenwerden gegenüber, auf die die Ausstellung “Generation*. Jugend trotz(t) Krise” in der Kunsthalle Bremen jetzt blickt. Statt Hoffnungslosigkeit werden hier Gerechtigkeit, Verantwortung und Nachhaltigkeit propagiert.

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Jugendkuratorium “New Perceptions” der Kunsthalle Bremen, Foto: Nicole Benewaah.

Die Ausstellung “Generation*. Jugend trotz(t) Krise” in der Kunsthalle Bremen versucht in rund 110 Werken und 34 künstlerischen Positionen ein vielschichtiges Bild der Generation Z, jener jungen Menschen, die um das Jahr 2000 herum geboren sind, und ihren alltäglichen Herausforderungen zu zeichnen. Wie kann man eigentlich erwachsen werden in einer Welt, die brennt und von Krisen dominiert wird? In einer Zeit, in der die jungen Erwachsenen auf ihren politischen Aktivismus – Stichwort “Klimakleber*innen” – reduziert und teilwiese degradiert werden, präsentiert die vom Jugendkuratorium “New Perceptions” entwickelte Ausstellung in drei Kapiteln eine umfassendere Darstellung der Hürden, Hindernisse und Fragen, die die Gen Z heutzutage umtreiben. Gezeigt werden unter anderem Fotografien, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Erwachsenwerden auseinandersetzen.

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Clément Cogitore, Les Indes Galantes, 2017, Video. Produktion: Opera de Paris – Les Films Pelleas. Choreographie: Igor Carouge, Brahim Rachiki, Bintou Dembele, Videostill, Courtesy the artist, Galerie Elisabeth & Reinhard, Hauff, Stuttgart and Chantal Crousel Consulting, Paris, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023.

Das Kapitel “Körperbilder” in der Kunsthalle Bremen stellt ein zentrales Thema der Jugend in dem Mittelpunkt – die Selbstfindung, die das Entdecken der eigenen Sexualität, Genderidentität und des eigenen Körpers umfasst. In jungen Jahren verändert sich der Körper rasend schnell, sich in seiner eigenen Haut wohlzufühlen, ist ein langjähriger Prozess, der auch das Erwachsensein noch konstant begleiten kann. Wir als Gesellschaft sind stets konfrontiert mit Normen und Schönheitsidealen, die uns nicht nur in der Werbung, sondern durch Instagram, TikTok und Co dauerhaft umkreisen. Junge Menschen, die sich in ihrem Sein noch nicht gefestigt fühlen, sind tagtäglich kuratierten Ideal-Feeds ausgesetzt, die eigene Unsicherheiten verstärken und die Gedanken in eine ständige Unruhe treiben können. Doch wie alles im Leben, hat die Medaille zwei Seiten: wo sich in den sozialen Netzwerken Abgründe auftun können, öffnen sie an anderer Stelle den öffentlichen Diskurs, schaffen Sichtbarkeit für gesellschaftlich relevante Themen wie nie zuvor, verbinden Communities von beispielsweise marginalisierten Menschengruppen, erzeugen mediale Aufmerksamkeit, wo sie dringend gebraucht wird. Die Gen Z ist mit dem Internet aufgewachsen und kennt eine Offline-Welt nur noch aus den Geschichten älterer Generationen.

Die hier ausgestellten Werke gehen all diesen Themen auf den Grund, stellen Fragen nach Ausdruck und Wandel von Körpern, nach dem Erwartungsdruck auf den Social-Media-Plattformen, nach dem eigenen Selbstwert, sozialen Codes und den individuellen Geschichten, die sich in unsere Körper einschreibt – wie es in der beeindruckenden Videoarbeit “Les Indes Galantes” von Clément Cogitore zum Beispiel in einem energischen Tanz-Battle dargestellt wird. Es handelt sich dabei um eine zeitgenössische Inszenierung des barocken Opernballetts des französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau aus dem Jahr 1735, die von indigen Stammestänzen inspiriert wurde. Die Tänzer*innen interpretieren die Oper neu und transportieren in expressiven Bewegungen und mit starker Ausdruckskraft individuelle Geschichten.

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Valentin Goppel, aus der Serie “between the years”, 2021, Fotografie © Valentin Goppel.

In seiner Serie “between the years” hält Valentin Goppel, der selbst der Gen Z angehört, Jugendliche während der Corona-Pandemie und wiederkehrenden Lockdowns fotografisch fest. Eine Zeitspanne, in der die Zeit scheinbar zum Stillstand gekommen ist und vor allem für junge Menschen einen herben Verlust bedeutete – wertvolle Jahre ihrer Jugend, ihrer Unbeschwertheit und Freiheit. Das Ausstellungskapitel der “Mentalen Räume” widmet sich den Privat- und Rückzugsorten, die in den Pandemiejahren an besonderer Bedeutung gewonnen haben, da sie zum Lebensmittelpunkt wurden. Aber auch unabhängig von einer Pandemie, spielen Jugendzimmer, wie sie beispielsweise auch in der Fotoserie “My Room: Teenagers in their Bedrooms” von Adrienne Salinger in den 1990er-Jahren abgelichtet wurden, ebenfalls im Prozess der Selbstfindung eine essentielle Rolle – hier können sie für sich sein, herausfinden, wer sie überhaupt sein wollen, hier sind sie vor der Außenwelt geschützt. Soziale Medien und die ständige digitale Vernetzung haben dazu beigetragen, dass die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum mehr und mehr verwischen. Die Online-Plattformen eröffnen neue Möglichkeiten, sich ein digitales Ich zu erschaffen, gewissermaßen aus der Realität zu fliehen und gleichzeitig aber auch die Chance, sich mit Gleichgesinnten über die eigene Lebensrealität auszutauschen, über traumatische oder rassistische Erfahrungen, Verletzungen, Ausgrenzung, Ungleichheiten oder politische Missstände, um sich damit weniger allein zu fühlen. Das Potenzial zum Bilden von digitalen Gemeinschaften ist hier gegeben.

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Sam Durant, Another World is Possible, 2020, Elektronisches Leuchtzeichen mit PVC Text, 193 x 241,3 x 20,3 cm, Courtesy of the artist and Blum & Poe, Los Angeles/New York/Tokyo, © Sam Durant / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Dan Finlayson.

In dem Abschlusskapitel “Öffentliches Aufbegehren” wird aufgezeigt, welchen Umgang die Jugend mit den Krisen und außergewöhnlichen Herausforderungen ihrer Zeit pflegt, wie sie damit an die Öffentlichkeit tritt und schwierige Themen diskutiert. Der Abschluss der Ausstellung befasst sich mit der jugendlichen Protestkultur und macht deutlich, wie wissbegierig die Gen Z ist, wie sie voller Tatendrang steckt. Es werden individuelle Geschichten erzählt, die die Mitglieder des Jugendkuratoriums “New Perceptions” erfahren haben. Sie handeln von persönlichen Fluchterfahrungen und Migration, von gesellschaftlichen Strukturen und Vorurteilen. Der abschließende Ausstellungsteil zeichnet ein diverses Bild von Jugend und auch von Zusammenleben. Was diese Ausstellung ausmacht ist die Vielstimmigkeit, die hier besonders zum Tragen kommt. Es gibt nicht DIE eine Lebensrealität und auch die Gesamtheit der vielfältigen Lebensrealitäten junger Menschen könnte eine einzige Ausstellung allein niemals abbilden. Dennoch schrecken die Macher*innen dieser Ausstellung in Bremen nicht davor zurück, es zu versuchen, der jungen Generation im musealen Kontext Sichtbarkeit zu verschaffen und ihren Stimmen Raum zu geben während man in der Politik vielerorts noch vergeblich auf einen solchen Akt wartet. Die Auswahl von Kunstwerken junger Newcomer*innen neben etablierten Künstler*innen sowie die unterschiedlichen Themen, Medien und Nationalitäten bringen viele persönliche Geschichten zusammen, die das Leben der Gen Z in der heutigen Zeit beschreiben und leisten einen Beitrag, mit dem sich hoffentlich alle Altersgruppen auseinanderzusetzen versuchen.

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Tom Wood, ohne Titel, aus der Serie “Looking for Love”, 1982–86, Analoger C-Print, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen © Tom Wood, courtesy of the artist.

Bleibt am Ende die Frage: Ist eine andere, eine leichtere Welt für nachfolgende Generationen überhaupt noch möglich? Oder bleibt das Utopie? Von der unbeschwerten Leichtigkeit, die die Lebensphase der Jugend eigentlich ausmachen sollte, ist in der Realität leider nicht mehr viel übrig geblieben. Bei all den schwerwiegenden Themen, denen sich die jungen Menschen zwangsläufig stellen müssen, ist die wohl größte Challenge, nicht daran zu verzweifeln und den Mut zu verlieren. Statt die Köpfe in den Sand zu stecken, legt die Ausstellung “Generation*. Jugend trotz(t) Krise” den Fokus auf soziale Gerechtigkeit, Verantwortung und Nachhaltigkeit, gibt die Hoffnung nicht auf und blickt nach vorne in eine ungewisse Zukunft – wie es auch Sam Durant in seinem Werk “Another World Is Possible” wortwörtlich festhält: Eine andere Welt ist (noch) möglich. Sie zu kreieren, liegt jedoch in unser aller Hände, nicht nur in denen der jungen Bevölkerung. Wir gemeinsam müssen endlich lernen, Verantwortung zu tragen.

WANN: Die Ausstellung “Generation*. Jugend trotz(t) Krise” läuft bis zum 10. September 2023.
WO: Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, 28195 Bremen.