Die digitale Überhand
Gruppenausstellung "Altered Emotions" in der Artco Gallery

14. Juli 2023 • Text von

Künstliche Intelligenz und Augmented Reality, das Internet und Social Media, sie erobern unseren Alltag kontinuierlich. Es ist kaum zu überblicken, an wie vielen unzähligen Stellen sie bereits ihre digitalen Finger im Spiel haben. Mit “Altered Emotions” zeigt die Artco Gallery zwölf Positionen, die reale und virtuelle Welt miteinander verweben. Was ist Tat der echten und was der digitalen Hand? Ist es an der Zeit, Angst zu bekommen?

Altered Emotions, Installation view, 2023, Artco Gallery
Installation view, “Altered Emotions”, ARTCO Gallery, 2023. Photo: Lourens Samuel.

Von nackten Betonwänden leuchtet Neonlicht, seltsam artifizielle Blumen wuchern vom Boden die Wände hoch und schillernde Kisten werfen ein surreales Licht in den Raum. Es wirkt kühl hier drinnen, auch wenn die Hitze die Außenwelt fest im Griff hat. Ein Raum, in dem die organische Form gänzlich fehlt, Natur, bitte draußen bleiben! Ach, der Hund ist 3D gedruckt, dann geht das natürlich in Ordnung. Mit “Altered Emotions”, kuratiert von Johanne Björklund Larsen und Cille Sch, ist in die Artco Gallery die digitale Welt eingezogen, Hauptmieter ist die künstliche Intelligenz.

Fast alle Menschen bedienen sich heute ihrer Vorteile, lassen Texte schnell übersetzen, googlen eben was oder schreiben in Sekundenschnelle eine Nachricht ans andere Ende der Welt. Digitale Plattformen und künstliche Intelligenz sind kaum noch wegzudenken. Gerade im Falle der KI mag jedoch vielen gar nicht bewusst sein, wie häufig sie ihrem Alltag jetzt bereits nützlich ist. Doch sie ist gleichzeitig ein Endgegner, sie kann schon für alle Texte jeglicher Art schreiben, Bilder, Fotos, Formen und somit auch Kunstwerke generieren. Dafür braucht die KI nur ein paar Sekunden. Für das menschliche Auge und seinen Verstand sind die Ergebnisse kaum noch von denen eines Menschen zu unterscheiden. In vielen Disziplinen scheinen lang erlernte Fähigkeiten bald nicht mehr so dringend gebraucht zu werden. Derart effizient könnte ein Mensch niemals sein.

Katya Quel, The Gardener will soon replant the garden, mixed media installation, 2022, Altered Emotions, Artco Gallery
Katya Quel: “The Mirror Flower Society” part of the series “The Gardener Will Soon Replant the Garden”, mixed media installation, 2022. Photo: Lourens Samuel.

Ist das nun gut oder schlecht? Beängstigend oder faszinierend? Die ausstellenden Künstler*innen 11v151131_m06, Aaron Scheer, Anna Ehrenstein, Arne Grugel, Anna Nezhnaya, Cille Sch, Franco D. Sosio, Johannes Ehemann, Ju Schnee, Katya Quel, Tabitha Swanson und Zoltani helfen bei der Suche nach Antwort auf die Sprünge. Sie machen sich künstlicher Intelligenz zu nutzen, lassen sie, das Internet, digitale- und Social Media-Ästhetik in ihre Praxis einfließen. Mit Videoarbeiten, Fotografie, Malerei, Skulptur, Audio, Collage und Druck umspannen die ausgestellten Werke sämtliche Genres.

Katya Quel spiegelt in den Blütenständen ihrer Arbeit “The Mirror Flower Society” buchstäblich die flüchtigen und floskelhaften Umgangsformen der sozialen Medien. Sätze wie “You are a queen”, “It’s only temporary” oder “It’s not my funeral” stehen auf den spiegelnden Flächen im Zentrum der vielen bunten Pastell-Blumen, deren Blütenblätter schaumige Beulen haben und sich unnatürlich kringeln, wie Flammen züngeln, an Fidget-Spinner oder grobes Sägeblatt erinnern. Eine Fusion aus K-Pop-Ästhetik, Comicwelten und weichgefilterten Schminktutorials. Auch wenn sie unbewegt dort hängen oder auf dem Boden blühen, scheinen sie eine Rotation anzudeuten, maschinell, wie kleine Blumen-Windräder auf einer Wiese, oder wie das sich immer schneller drehende Hamsterrad, in das Instagram und Co fast alle Homo sapiens geworfen hat. 

Julio Clavijo alias 11v151131 m06, Altered Emotions, Artco Gallery
11v151131_m06: “U1vC41v1v1_001”, Print (Ausschnitt), 2022. Photo: ARTCO Gallery.

Vor den zwei Drucken und dem dazugehörigen Video, das Julio Clavijo, alias 11v151131_m06, für die Ausstellung geschaffen hat, packt einen die Neugierde. Was zu sehen ist, nicht einordnen zu können ist unheimlich, aber entfaltet einen intensiven Sog. Eingesogen werden Betrachter*innen unter anderem in einen Wohnraum, in dem ein junges Mädchen mit rosa Haaren und in einem metallischen blauen Anzug steht. Sie sieht verloren und unecht aus, eine lebendige Puppe.

Entstanden ist diese Welt durch eine KI, die sich nach Lust und Laune eines Datensatzes bedienen konnte, in dem 11v151131_m06 historische, kulturelle, rituelle Informationen der Menschheitsgeschichte und spekulative Szenarien, wissenschaftliche Fakten und künstlerische Interpretation einspeiste. Entstanden sind Bilder, die zwischen vor- und unvorstellbarer Zukunftsszenarien stattfinden. Sie lassen spürbar werden, wie sehr der Mensch sein Wohlbefinden an Gewohntes knüpft, Unerklärliches macht ihm Angst, doch unmöglich ist es deshalb noch lange nicht.

“Erschaffe ein Portrait, das Empathie hervorruft” hat Anna Ehrenstein wiederholt einer KI aufgetragen und sie hat es ausgespuckt: Portraits von normschönen jungen Frauen mit Seitenscheitel, kann man nichts gegen sagen, absolut unschuldig sehen sie aus. Ehrenstein hat die KI-Bilder mit Aufnahmen des Gehirns, genauer des orbitofrontalen Kortexes überlagert, sodass Assemblagen entstanden sind, die wie Wackelbilder zwischen leichter Übelkeit und dreidimensionalem Bild vor dem Auge tanzen.

Altered Emotions, Installation view, 2023, Anna Ehrenstein, Artco Gallery
Installation view, “Altered Emotions”, ARTCO Gallery, 2023. Photo: Lourens Samuel.

Auf einer Couch davor ist es Zeit für eine kleine Hypnosetherapie, um das Gehirn in Richtung des Mitgefühls zu lenken, eine Übung der sozialen Neuroplastizität. Über Kopfhörer gibt es Anweisungen: Einatmen, ausatmen, wir gehen Stufe für Stufe eine Treppe hinab. Laut Tania Singer, einer bedeutenden sozialen Neuroplastizitätsforscherin auf die Ehrenstein Bezug nimmt, sind es Wiederholung und Ausdauer, die zu mehr Empathiebildung führen, online, wie offline. Es ist also nur gut, wenn sich möglichst viele dieser Therapiestunde unterziehen! Nehmen Sie bitte bitte bitte Platz.

Leuchtende rötliche Bahnen überspannen ein blaues Rechteck in der Ferne, leiten zu ihm in die Tiefe. Die Fotografien von Arne Grugel sind gestochen scharf und als hätten sie wie das meiste hier, nichts mit der Realität zu tun, als gäbe es das, was zu sehen ist nur in digitalen Sphären oder Mathematikbüchern. Doch Grugels Arbeiten sind ausschließlich analog und unter mehrstündigem Aufwand entstanden. Woran sich Besucher*innen von “Altered Emotions” schon beinahe gewöhnt haben, verkehrt er, hier ist handgemacht, was als artifiziell angenommen wurde. 

Installation view, Altered Emotions, 2023, Artco Gallery Arne Grugel, Tabitha Swanson
Installation view, “Altered Emotions”, ARTCO Gallery, 2023. Photo: Lourens Samuel.

Über einen QR-Code öffnet sich ein Instagram-Filter. Mit dem Handy in der Luft herumwinkend, kann nach einem sandigen Kerzenständer von Tabitha Swanson gesucht werden. Er hängt hier zwischen den Welten herum, in der Augmented Reality, irgendwo über dem Kerzenständer, der wirklich da ist. Aus einer KI generierten dystopischen Landschaft voller Sand, in der sich die Leuchter aus der Düne hinaufzwirbeln oder in Herzform stolz eine Kerze tragen, hat sich die Künstlerin die Form herausgegriffen und bat anschließend einen Sand-3D-Drucker einen solchen nachzudrucken. Die Kerzen mit der titelgebenden Aufschrift “dust, in the end” sind nicht gedruckt. Hinter ihrem Pappaufsteller stehend können Besucher*innen, ganz wie auf dem Rummel, einem Alien-artigen, zweiköpfigen Sandwesen ihre Gesichter leihen und durch die digital erschaffene Schablone in die Realität hineinglotzen.

“Altered Emotions” gewährt Einblicke in die unendlichen Weiten des Digitalen. Es ist unheimlich, wie facettenreich diese schon sind, aber auch wahnsinnig faszinierend. Sie löst, genau wie alle ausgestellten Kunstwerke einen kleinen Realitätsverlust und Misstrauen den eigenen Sinne gegenüber aus. KI ist mit Vorsicht zu genießen, wie die Anwesenheit eines majestätischen Raubtieres, bloß nicht überstrapazieren ist die Devise. Hin- und hergerissen, leicht überfordert und ausgeliefert entlassen einen die industriellen Räume der Artco Gallery dieser Tage in die Wirklichkeit – und das ist auch gut so.

WANN: Die Ausstellung “Altered Emotions” läuft noch Samstag, den 22. Juli. Zur Finissage am 22. Juli wird um 17 Uhr ein Panel stattfinden.
WO: ARTCO Gallery, Frobenstraße 1, 10783 Berlin.

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